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Bilanz des Moritzburg Festivals 2016
Kammermusikabenteuer mit Jubiläum

Alljährlich im August wandelt sich das Städtchen Moritzburg bei Dresden in ein Mekka für Freunde der Kammermusik. In den Spielstätten rund um das Barocke Jagdschloss treffen sich internationale Musiker zum gemeinsamen Musizieren – und um ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Die Moritzburg Akademie feiert 2016 ihr zehnjähriges Bestehen.

Von Manuel Rademacher | 23.08.2016
    Blick auf das sächsische Jagdschloss Moritzburg
    Prunkvoller Rahmen des Kammermusikfestivals: Schloss Moritzburg (picture alliance / dpa / Lars Halbauer)
    Musik: Tschaikowsky, Sextett op. 70
    Mit "Kammermusik in königlicher Umgebung" lockt das Moritzburg Festival einmal im Jahr vor die Tore Dresdens. In der ebenso prunkvollen wie ruhestiftenden Umgebung rund um das barocke Jagdschloss Moritzburg trifft sich seit vielen Jahren eine Gruppe hochkarätiger Musikerinnen und Musiker, um sich im besten Sinne abzuschotten und ganz der kammermusikalischen Arbeit zu widmen. Wer in den anschließenden Konzerten mit wem welche Stücke spielt, entscheidet sich oft erst in Moritzburg selbst, berichtet Jan Vogler, Cellist und Künstlerischer Leiter des Festivals:
    "Das Zusammensetzen wird hier vor Ort geübt und das ist eigentlich das Schönste: es geht immer noch um das Abenteuer Kammermusik. Das interessiert mich sehr. Es gibt ja viele Kammermusikfestivals, die mit einem festen Stamm an Musikern arbeiten und wenn Sie bei uns ins Programm schauen, dann ändert sich in jedem Jahr das Team und das heißt auch, dass man altbekannte Werke immer wieder komplett neu sehen muss. Und dieses Abenteuer, das hält uns eben auch interessiert und das bringt auch für mich das Festival immer wieder in den Vordergrund und ich sag dann immer nach jeden Sommer: ach es war wieder schön, mit den Kollegen über Musik zu sprechen, zu diskutieren, zu spielen und wieder neue Perspektiven zu gewinnen."
    Abenteuer Kammermusik
    Jan Vogler ist unbestritten Anziehungs- und Antriebskraft des Moritzburg Festivals. Seinen Kontakten in Europa, Amerika und Asien ist die hochkarätige wie internationale Besetzung Jahr für Jahr zu verdanken. 2016 konnte er Benjamin Beilman, Kim Kashkashian, Lawrence Power, Valeriy Sokolov und weitere herausragende Musiker nach Moritzburg locken. Ihr "Abenteuer Kammermusik", wie Vogler es nennt, steht dabei ganz im Zeichen der Bewahrung der kammermusikalischen Tradition. Einen Schwerpunkt des Festivals bildete so auch in diesem Jahr die Musik der Romantik. Insgesamt stehen viele Klassiker der Kammermusik auf den Programmen von Schloss und Kirche in Moritzburg – oder der Gläsernen Volkswagen Manufaktur in Dresden, einer von zwei modernen Spielstätten, mit denen das Festival die historischen Orte kontrastiert. Durch einen "Composer in residence" findet seit einigen Jahren aber auch die zeitgenössische Musik einen besonderen Platz, den 2016 der Este Erkki-Sven Tüür einnimmt.
    Teil des Moritzburger Kammermusik-Abenteuers sind seit nunmehr zehn Jahren immer wieder auch 45 Musikstudenten und -studentinnen. Angeleitet von ihren erfahrenen Kollegen rund um die Geigerin Mira Wang, proben sie in einer Akademie sowohl Werke für Kammerorchester als auch Kammerensembles:
    "Die Kammermusik macht sehr viel Spaß. Man guckt und hört auf einander und die lernen sehr viel. Wenn die im Orchester am Ende spielen, gucken die zu dem Dirigent meistens, aber trotzdem hören die alle zu. Das kommt vom Kammermusik zusammen spielen. Ich finde diese Mischung zwischen Kammermusik und Orchester, das ist wirklich toll!"
    Neben der musikalischen Schulung durch erfahrene Musik-Profis besteht der größte Profit der Akademie-Teilnehmer vor allem in einem: Das Festival bietet vielen von ihnen erstmalig eine große Bühne und die Chance sich und ihr Können vor einem fachkundigen Publikum zu präsentieren. Hinzu kommt: In Moritzburg ist die Teilnahme für die Akademisten komplett kostenfrei, die Beiträge werden unter anderem von Paten übernommen.
    Weltweite Anziehungskraft
    Diese hervorragenden Bedingungen haben sich herumgesprochen und in den vergangenen Jahren für weltweite Anziehungskraft gesorgt. Die Kontrabassistin Morgan Daly etwa ist auf Empfehlung ihrer Professoren in New York für den Sommer nach Deutschland gekommen:
    "Die Festivalakademie hat einen sehr guten Ruf in New York und sie ist wirklich umkämpft. Es sind auch ein paar andere New Yorker hier, zum Beispiel von der Juilliard School und es ist für mich eine große Ehre nach Deutschland kommen zu können. Wir müssen in Moritzburg weder eine Teilnehmergebühr und noch Reisekosten zahlen - so etwas gibt es den USA nicht. In Amerika sind alle Sommerfestivals wirklich sehr teuer und hier hat man sogar ein Instrument für mich! Mein Kontrabass musste also nicht mit mir einmal quer über den Atlantik fliegen."
    Eine ähnlich weite Anreise hatten auch andere Teilnehmer, die in diesem Jahr aus 19 verschiedenen Nationen stammten. Neben vielen Deutschen und US-Amerikanern waren untern den Akademisten auch Studenten aus China, Taiwan, Bolivien, Kanada und einer Reihe europäischer Länder. Die weltweite Konkurrenz führt natürlicherweise zu einem Niveauanstieg und so hat sich die Qualität in zehn Jahren Akademie immer höher geschraubt. Jungen Musikerinnen, wie der Geigerin Larissa Cidlinsky, verlangt dies einiges ab:
    "Man muss wirklich sagen, es ist sehr intensiv. Jetzt zum Ende hin wird’s ein bisschen ruhiger, aber in der ersten Woche das war wirklich teilweise zehn Stunden am Tag spielen. Also wir haben Frühstück gehabt, um 9.30 Uhr ging’s los mit drei Stunden Orchester. Dann kurze Mittagspause, dann vier Stunden Kammermusik und dann am Abend noch mal drei Stunden Orchester. Das heißt, man sitzt schon sehr viel am Pult und spielt und man will natürlich alles geben und deswegen ist das schon ein Energieakt."
    Ein Energieakt aber, der sich auszahlte: zum Abschluss der Akademie präsentierten die Teilnehmer in einer "Langen Nacht der Kammermusik" auf ausgesprochen hohem Niveau die Ergebnisse der Arbeitsphase. Dass die Akademie insgesamt ein Erfolgsmodell ist, bewies erst kürzlich eine Meldung aus New York: Nikki Chooi, vor zwei Jahren Konzertmeister des Moritzburg Festival Orchesters, bekleidet von nun an dasselbe Amt an der Metropolitan Opera. Und auch einer der drei Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, der Amerikaner Noah Bendix-Balgley, spielte vor Jahren in Moritzburg am ersten Pult.
    Talentschmiede mit Anfangsschwierigkeiten
    Die Festival-Akademie hat sich also zur Talentschmiede entwickelt und ist aus Moritzburg nicht mehr wegzudenken. Dennoch war der Künstlerische Leiter Jan Vogler nicht von Beginn an von ihrem Erfolg überzeugt.
    "Also die ersten zwei Jahre, muss ich ehrlich sagen, waren wir doch so ein bisschen unschlüssig, ob das halten wird, tragen wird. Es gab schöne Beispiele, schöne Impulse, aber es gab auch immer wieder die neuen Anfangsschwierigkeiten. Gleichzeitig muss ich sagen hat es das Festival auch erfrischt. Wir waren an einem Punkt angekommen, es war ausgereift das Festival, es war irgendwie fertig und in China gibt es ein schönes Sprichwort das sagt: wenn das Haus fertig ist, stirbt der Besitzer. Das ist ein entwas deprimierender Satz aber er ist wahr. Man muss immer weiter bauen, man muss weiter denken, man muss neue Perspektiven eröffnen und in diesem Jahr hab ich zum ersten Mal gedacht, gerade im zahnjährigen Jubiläum: mein Gott das ist nicht mehr weit weg von uns. Also wir können vielleicht Akademie und Festival irgendwann sogar zusammenbringen."