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Bilanz nach dem Kulturhauptstadtjahr
Erfolg und Misserfolg in Breslau

Die Verantwortlichen der Stadt Breslau betonen vor allem die Erfolge des Kulturhauptstadtjahrs. So sollen an den rund 2.000 Veranstaltungen etwa 5,2 Millionen Besucher teilgenommen haben. In der Kulturszene ist die Freude nicht so groß - viele blicken mit Sorge in die Zukunft.

Von Markus Nowak | 23.12.2016
    Marktplatz in Breslau / Wroclaw
    Marktplatz in Breslau / Wroclaw (picture alliance / dpa / Robert B. Fishman)
    Die Gruppe "Prisoners By Choice” spielt polnischen Punkrock im CRK in Breslau. Alternative Musiker treten oft im CRK auf. Entsprechend ist auch das Ambiente: Den Eingangsbereich zieren Graffiti, die Besucher sitzen auf ausrangierten Sesseln und über den Dächern pustet das nahe Heizkraftwerk weiße Wolken in den Himmel. Geleitet wird das CRK von einem Kollektiv, dem auch Jarek Biały angehört.
    "Wir waren früher Hausbesetzer. Seit 2000 aber mieten wir diese Räume von der Stadt. 2010 haben wir dann den Titel als bestes alternatives Kulturzentrum in Niederschlesien bekommen. Zur gleichen Zeit lief Breslaus Bewerbung als Kulturhauptstadt und ich habe gehört, wie wir und die Stadt von einer Jury gelobt wurden. Dass es gut sei, alternative Initiativen zu unterstützen. Und für die alternative Szene wurde Breslau der Kulturhauptstadttitel anerkannt. Aber wir bekommen gar kein Geld von der Stadt, sondern finanzieren uns selbst."
    300 Millionen Złoty, umgerechnet knapp 70 Millionen Euro, betrug das Budget der Kulturhauptstadt Breslau 2016. Nach Angaben von Jarek Biały hat das Kulturzentrum CRK davon aber keine Förderung erhalten. Und das, obwohl man mehr sein will als Raum für Kunstschaffende abseits des Mainstreams. Es gehe darum, die benachbarte Bevölkerung zu animieren und das findet sich im Namen wieder. CRK steht für "Zentrum für die Reanimierung der Kultur".
    Veranstalter ziehen positive Bilanz
    Den Anspruch, die Breslauer Bevölkerung zur Beteiligung am Kulturleben zu bewegen, hatte die Europäische Kulturhauptstadt das gesamte Jahr über. Neben Ausstellungen, Konzerten und Performance-Kunst waren viele Programmpunkte für die Breslauer selbst, sagt Magdalena Babiszewska vom Organisationskomitee.
    "Breslau als Europäische Kulturhauptstadt war ein Erfolg. Das sagen nicht nur wir, sondern auch die Bewohner. Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben. In dieser äußert sich die Bevölkerung, was "uns" gelungen ist und was nicht. Sie sagen also nicht, "Euch", also den Organisatoren. Sondern "uns", den Breslauern. Sie identifizieren sich mit der Kulturhauptstadt."
    An den rund 2.000 Veranstaltungen der Kulturhauptstadt Breslau haben ersten Bilanzen zufolge 5,2 Millionen Besucher teilgenommen. Wobei es den acht Kuratoren nicht um die Zahlen und die Teilnahme an Kultur geht, sagt einer von ihnen, der Brite Chris Baldwin.
    "In unserem Kuratoren-Team von Architektur über Oper bis hin zum Theater haben wir vor allem auf Partizipation gesetzt. Wir wollten keine künstlerische Bildung. Sondern, dass die Leute eingebunden sind. Sie konnten vorbeikommen, mitdiskutieren und mitgestalten mit anderen. Klar haben wir auch Niederlagen erlebt, aber insgesamt sehr, sehr große Erfolge."
    Eigenlob gepaart mit wenigen selbstkritischen Worten. Baldwin selbst war Regisseur der großangekündigten Eröffnungsveranstaltung vor einem Jahr. Stromausfall, Verspätung im Ablauf und frostiges Wetter kamen bei den Besuchern und im Feuilleton nicht gut weg.
    Kulturszene ist kritischer
    Und auch das restliche Programm der Kulturhauptstadt wird nicht von allen einhellig als Erfolg gefeiert, sagt die Kulturjournalistin Katarzyna Kaczorowska.
    "Ich weiß nicht, ob wir von einem Erfolg sprechen können, sicher von einer Veränderung. Die Ergebnisse davon werden wir frühestens in einem Jahr sehen. Die Frage aber ist, ob Breslau seiner Bewerbung gerecht wurde, nämlich auch Menschen, die sonst am Kulturleben nicht teilnehmen, einzubeziehen. Da wurden etwa in heruntergekommenen Innenhöfen leuchtende Kunstinstallationen ausgestellt, um die Bevölkerung für Kunst zu sensibilisieren. Diese aber wollte einfach nur, dass man den Hof renoviert."
    Kritik kommt auch von den Breslauer Kunstschaffenden selbst. Nicht nur, weil sie zu wenig einbezogen wurde, sagt etwa der Zeichner und Streetart-Künstler Tomasz Jakub Sysło. Vielmehr geht es um die Perspektiven, was nach 2016 bleibt.
    "Mit Sicherheit bleiben eine Menge Fotos und gute Eindrücke. Aber die Kultur in Breslau wird 2017 einbrechen. Es wird nicht mehr so viel Geld zur Verfügung stehen und die Institutionen müssen wieder um Förderung kämpfen und bangen."
    Die Sorge, dass nach den fetten, wieder magere Jahre für Breslaus Kultur kommen, ist nicht unbegründet. 2017 ist die Stadt Ausrichter eines anderen Großereignisses: der Worldgames. Also quasi einer Olympiade jener Sportarten, die nicht zum offiziellen Wettkampf-Programm der Olympischen Spiele gehören. Dann könnte der Sport zum Rivalen für die Kultur werden. Ob dieser Wettkampf von der Kultur gewonnen wird, bleibt abzuwarten.