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Bilanz von Rio+20 ist "praktisch ein Null-Ergebnis"

Es sei wirklich schade, dass von deutscher Seite das Ergebnis der UN-Umweltkonferenz Rio+20 schöngeredet wird, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hermann Ott. Da alles im Konsens der Staaten geschehen müsse, würden Vorreiter der Klimapolitik gebraucht. Deutschland könne ein Pionierstaat sein.

Herrmann Ott im Gespräch mit Jasper Bahrenberg | 23.06.2012
    Jasper Bahrenberg: Drängende Probleme auf dem Planeten anzugehen, das war das Versprechen der Weltgemeinschaft auf der ersten Konferenz für Umwelt und Entwicklung. Es ging darum, das Klima zu schützen, die Vielfalt der Arten zu erhalten, Wüstenbildung zu bekämpfen. Jetzt, nach der Neuauflage 20 Jahre später ist die Enttäuschung bei vielen Delegierten groß, noch größer aber ist das Entsetzen der Umweltaktivisten. Eine Ansammlung von Floskeln, bestenfalls von vagen Absichtserklärungen, so lässt sich die Kritik an der Abschlusserklärung zusammenfassen – ein Dokument des Versagens. Dabei ist das Problem so drängend wie eh und je: Armut bekämpfen und zugleich die Wirtschaft naturverträglich umgestalten oder nachhaltig, wie es seit einiger Zeit ja heißt. Was bleibt von dem Treffen der 100 Staats- und Regierungschefs in Rio de Janeiro?

    Und am Telefon begrüße ich den Bundestagsabgeordneten und Umweltpolitiker Herrmann Ott von Bündnis90/die Grünen. Schönen guten Morgen!

    Hermann Ott: Guten Morgen!

    Bahrenberg: Herr Ott, wie dürftig ist das Ergebnis der Konferenz aus Ihrer Sicht?

    Ott: Absolut, es ist ja praktisch ein Null-Ergebnis. Es ist wirklich schade, dass auch von deutscher Seite aus das Ergebnis jetzt wieder schöngeredet wird. Es spricht ja schon Bände, dass nicht nur eine doch manchmal forsche Organisation wie Greenpeace, sondern auch eine sonst sehr vorsichtige Umweltorganisation wie der WWF, aufgefordert haben, dieses Dokument nicht zu unterzeichnen. Da muss schon einiges kommen, und das ist ja auch tatsächlich der Fall: Wir haben Rückschritte auf allen Ebenen, und was da als Fortschritt gepriesen wird, die Aufwertung von UNEP, ist tatsächlich nur ein winziger Tropfen auf den heißen Stein.

    Bahrenberg: Was hätte denn der deutsche Minister Peter Altmaier mehr raushandeln können?

    Ott: Na, die Schwierigkeit war ja schon, dass nur zwei Minister aus Deutschland da waren, während ansonsten 100 Staats- und Regierungschefs – und im diplomatischen Geschäft ist es hart. Wer da nicht auf der gleichen Ebene mitmachen kann, der darf eben nicht mitspielen, und hier hätte also nur Angela Merkel wirklich etwas erreichen können. Insofern klar, dass weder Niebel noch Altmaier diesen Text dann am Ende wieder aufmachen konnten.

    Bahrenberg: Die beiden Minister sprechen jetzt davon, man solle die Möglichkeiten nutzen, die in diesem Abschlussdokument stecken, dass ja Peter Altmaier, der Umweltminister auch als alles andere als armselig bezeichnet. Worin könnten diese Möglichkeiten bestehen?

    Ott: Die Möglichkeiten hat natürlich jeder Staat, und das, was wir schon seit einiger Zeit in der Klimapolitik empfehlen, muss, glaube ich, jetzt auch in diesem Rioprozess geschehen. Wir haben ja eine Krise des Multilateralismus, wo ein Staat, ein großer Staat, der sich weigert, allen anderen seinen Willen aufzwingen kann, weil alles im Konsens geschehen muss, und was wir jetzt brauchen, sind tatsächlich Vorreiter, also Pionierstaaten. Das kann Deutschland sein, Deutschland muss ein Kern davon sein, muss vorangehen, um die Dinge weiterzubringen. In der Klimapolitik nennen wir das KLUG, also Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, auch einfach eine Anerkennung, dass nicht alle Staaten gleich weit sind. Aber eben diese Vorreiterallianzen, die muss es jetzt eben geben, und da muss sich Deutschland an die Spitze stellen.

    Bahrenberg: Wo würden Sie sich da eine Initiative denn wünschen, oder haben Sie da ein konkretes Projekt im Auge?

    Ott: Also wo absolut eine Speerspitze notwendig ist, ist zum Beispiel der Arktis-Schutz. Dort schmilzt ganz rapide das Eis, eine Folge des Klimawandels, aber, und das sagt ja vielleicht viel über den Zustand der Menschheit aus, allenthalben bei den Anrainern hebt der Jubel an darüber, dass jetzt endlich die Bodenschätze dort gehoben werden können und auch die fossilen Rohstoffe, die da liegen, womit dann der Klimawandel noch weiter angeheizt wird. Hier verlangen wir zum Beispiel ein Arktis-Schutzgebiet, so wie das auch Greenpeace tut, damit eben diese doch sehr sensible und für das Klima und für die gesamte Ökosphäre Erde wichtige Region geschützt wird.

    Bahrenberg: Sie haben von einem Null-Ergebnis gesprochen, war die Hoffnung auf mehr aber nicht auch blauäugig angesichts der verschiedenen Krisen, die Politiker weltweit derzeit ja nur mühsam überhaupt in Schach halten – Schuldenkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise?

    Ott: Ja, wobei diese Krisen ja doch alle eine gemeinsame Wurzel haben, das ist nämlich die sehr, sehr zerstörerische Art, in der wir wirtschaften. Im Bundestag versuchen wir zum Beispiel über die Enquete-Kommission, Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität, hier einige Pflöcke einzuschlagen, um zu schauen, wie man wirtschaften kann mit bald neun Milliarden Menschen, ohne diesen Planeten zu zerstören, ohne die ökologischen Grenzen zu sprengen. Und das wird eine Jahrhundert-Aufgabe sein, und ich sage, auch wenn ich Vorträge vor Schülern oder Studenten halte, wer scharf ist auf den Nobelpreis für Ökonomie, der sollte jetzt anfangen, in diese Richtung zu forschen, denn das wird in 10, 15 Jahren das beherrschende Thema sein.

    Bahrenberg: Angesichts der vielfältigen Aspekte der Krise reisen aber alle europäischen Spitzenpolitiker durch die Welt mit einem Wort auf den Lippen: Wachstum. Wachstum soll helfen, die Krise zu überwinden, aus der Schuldenfalle herauszukommen, und Wachstum haben ja auch die Grünen als Allheilmittel wiederentdeckt, oder?

    Ott: Nein, also … es gibt eine kurzfristige Möglichkeit über eine Art grünen Keynesianismus, also ein verstärktes Investieren in nachhaltige Technologien, die Wirtschaft in die richtige Richtung zu lenken. Tatsache ist aber doch, dass dieses Wachstum längst ein Fetisch geworden ist, also dem eine magische Wirkung zugeschrieben wird. Wir sollten uns da ehrlich machen und sollten sagen: Was wollen wir tatsächlich? Wir wollen, dass die Menschen Arbeit haben, wir wollen, dass die Menschen einen gewissen Wohlstand haben. Wir müssen unsere politischen Ziele erreichen, und Wachstum, ob das Bruttoinlandsprodukt dabei dann wächst, das muss man erst im Nachhinein schauen. Und das ist auch nur eine Stellgröße unter vielen, also man darf da nicht gebannt drauf schauen, ob sich das jetzt ins Positive oder Negative verändert, weil eben dieser Indikator gar nicht das Richtige aussagt.

    Bahrenberg: Im Programm der Grünen ist ja das grüne Wachstum, die Green Economy ein Schlüsselwort. Ist es nicht insgesamt auch ein Trick der Industriestaaten, um eben auch in wirtschaftlicher Hinsicht ihre Vorherrschaft für die Zukunft zu sichern?

    Ott: Ja, da sprechen Sie etwas an: Einem Grünen blutet natürlich das Herz, wenn man sieht, wie der Begriff der grünen Ökonomie auch jetzt in Rio genutzt worden ist, um dahinter doch ziemlich tiefbraune und schwarze Ökonomie zu verbergen, die also stark von fossilen Brennstoffen lebt, wo auch Atomenergie ein Thema ist. Aber wir haben halt kein Copyright auf den Begriff grün, das darf sich jeder anheften, der will. Das mussten auch andere schon erfahren, aber wir müssen immer wieder deutlich machen, dass da, wo grün draufsteht, auch grün drin sein muss, und dass nicht so eine Art von – wie man sagt – Green Washing dann passiert, dass also Staaten oder Unternehmen sich mit netten kleinen Projekten schmücken, aber das tatsächlich die Grundlage ihrer Arbeitsweise eine zutiefst erdzfeindliche ist.

    Bahrenberg: Wo liegt denn am Ende der Unterschied, dies zum Abschluss?

    Ott: Na, der Unterschied liegt darin, ob ich eine Ökonomie anstrebe oder eine Art der Produktion, die darauf gegründet ist, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Wir zehren ja vom Kapital, es sind ja nicht mehr die Zinsen, die die Erde abwirft, sondern schon seit einiger Zeit zehren wir davon, was an Grundstock bereitsteht. Und das kann natürlich nicht lange gutgehen, und die ökologische Krise wird in einiger Zeit die Finanzkrise doch recht wie einen Sturm im Wasserglas aussehen lassen, wenn nämlich tatsächlich die Bedingungen des Lebens auf diesem Planeten – wir sind ja angewiesen zum Beispiel auf ein stabiles Klima, um überhaupt Landwirtschaft betreiben zu können –, wenn die Bedingungen sich so verschlechtern.

    Bahrenberg: Herrmann Ott, der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, heute Morgen im Gespräch. Haben Sie vielen Dank dafür!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.