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Bilder, Klischees und Narrative
Wie an den RAF-Terror erinnert wird

Die Geschichte des RAF-Terrorismus ist im Wesentlichen bekannt – auch wenn es noch Leerstellen gibt wie die, wer Generalbundesanwalt Buback 1977 ermordet hat. Bei einer Tagung in Potsdam ging es nun darum, ob und wie sich die Erinnerungskultur um die Baader-Meinhof-Bande verändert hat.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 28.09.2017
    Die Verhaftung von Holger Meins (gespielt von Stipe Erceg) in einer Szene des Films "Der Baader Meinhof Komplex". Der Film erzählt die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 70er Jahren – er kam 2008 in die Kinos, Regie führte Uli Edel.
    Die Verhaftung von Holger Meins (gespielt von Stipe Erceg) in einer Szene des Films "Der Baader Meinhof Komplex". Der Film erzählt die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 70er Jahren – er kam 2008 in die Kinos, Regie führte Uli Edel. (picture-alliance/ dpa)
    Die gesellschaftspolitische Deutung der RAF setzte lange vor dem Suizid von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe im Gefängnis Stuttgart-Stammheim im Oktober 1977 ein.
    Den Medien lieferten die Sprengstoffanschläge, Entführungen und Morde der Baader-Meinhof-Bande, wie sie damals hieß, Schlagzeilen. Den medialen Diskurs der 70er Jahre hat der Kulturwissenschaftler und Historiker Hanno Balz untersucht. Dass Frauen eine Waffe in die Hand nahmen, deutete die konservative Seite als Teil der weiblichen Emanzipation, die linksliberale als deren Perversion.
    Baader als Muttersöhnchen, Schmidt als souveräner Manager
    "Wir haben natürlich dann dieses positive Bild von traditioneller Männlichkeit. Das war der Mann im Staatsapparat. Das war zum Beispiel Helmut Schmidt als souveräner Manager. Der hat einfach gemacht. Das waren die Polizei, die Ermittler, die alten Bastionen von überlegener Männlichkeit. Dann gab es aber die anderen Männer. Das waren auch die zum Beispiel in der RAF, denen die Männlichkeit teilweise abgesprochen wurde. Baader wäre angeblich ein verweichlichter Muttersohn gewesen. Trotz seiner ganzen Macho-Sprüche war er doch im Grunde ein Muttersöhnchen und hätte beim Sex immer das Licht ausgemacht."
    Dass der Blick auf die drei RAF-Generationen sich in der Erinnerungskultur seit 1977 immer wieder verändert hat, war zwar die Hauptthese der Tagung "Re-Framing RAF" - aber nicht unumstritten.
    Alle zehn Jahre verschieben sich der politische Kontext und die mediale Kulisse, vor der sich die Dramen der RAF abspielen, ist der emeritierte Professor für Filmwissenschaften Thomas Elsaesser überzeugt. Das betrifft auch die der RAF zugeschriebene Bedeutung.
    "So hat sich zum Beispiel der Fokus im 21. Jahrhundert entscheidend auf die führenden Protagonisten beider Seiten des Konflikts verlagert – allen voran Andreas Baader, aber auch auf Horst Herold, den Polizisten, der die Rasterfahndung erfand und mit dem Satz 'Wir kriegen sie alle' berühmt wurde. Zuvor hatte sich das Interesse auf die Reaktion der Bevölkerung oder die so genannten Sympathisanten konzentriert, wie das beispielsweise in den Filmen der späten 70er Jahre der Fall war, wobei vor allem Betroffenheit, Angst und Verunsicherung die emotionale Grundierung bildeten."
    In der Erinnerungskultur ist die frühere Kritik der RAF an der so genannten kapitalistisch-imperialistischen, von der NS-Vergangenheit belasteten Gesellschaft immer mehr verloren gegangen. Stattdessen drängt die terroristische Gruppierung als Medienphänomen in den Vordergrund, kritisierten die Experten.
    Daran sei die RAF nicht unwesentlich beteiligt. Hat sie doch neben Bekennerschreiben eine Vielzahl von Fotografien und Audiobändern sowie Briefe und Manifeste hinterlassen.
    Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe gelang es nach ihrer Inhaftierung 1972, durch Ton- und Bildcollagen jahrelang Einzug in die bürgerlichen Wohnzimmer zu halten, betont Thomas Elsaesser. Darin verkehrten sie ihre Rolle vom Täter zum Opfer.
    Narrativ der Häftlinge: Einzelhaft - Folter - Auschwitz
    "Dass sie in vollem Umfang von fünf Jahren im Vorfeld ihrer Gerichtsverhandlungen eine erfolgreiche Werbekampagne für sich selbst inszenieren konnten, spricht Bände auch über das weit verbreitete Unbehagen, den Verdacht und das Misstrauen gegenüber der Regierung, dem Strafjustizsystem und der Polizei damals. Die Stammheim-Häftlinge schafften es, den Begriff Einzelhaft mit Folter und Folter mit Auschwitz zu verknüpfen und sich damit in ein anderes Narrativ mit einzuschreiben, das mobilisiert werden konnte, vor allem, um die Unterstützung internationaler, besonders französischer Intellektueller wie Jean-Paul Sartre und Michel Foucault zu gewinnen."
    So bekannte Fotos wie das vom RAF-Mitglied Holger Meins, nach einem Hungerstreik im Gefängnis verstorben, haben sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Ähnlich das Bild von dem am Boden liegenden Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 bei einer Studentendemonstration in Berlin von der Polizei erschossen wurde. Es ist als Teil eines Re-Enactments in Filme wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" aus dem Jahr 2008 eingebaut.
    Wurden bis Mitte der 80er Jahre sieben Filme über die RAF produziert, spielte die terroristische Gruppierung im anschließenden Jahrzehnt kaum eine Rolle. Erst seit Mitte der 90er erlebte sie mit 13 Produktionen wieder einen Durchbruch, beispielsweise durch den Zweiteiler "Todesspiel" von Heinrich Breloer von 1997 oder "Black Box BRD" von Andres Veiel.
    Corina Erk von der Universität Bamberg hat die RAF im "Post-2000-Kino" untersucht. Dem Klischee, dass dieses Terrorismus hauptsächlich durch Waffen, Sonnenbrillen und Autos abbildet, widerspricht die promovierte Literatur- und Medienwissenschaftlerin. Ein Teil der neueren Filme befasse sich durchaus mit Zeitgeschichte und gehe biografisch vor wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Uli Edel aus dem Jahr 2008.
    Die RAF im "Post-2000-Kino"
    "Die zweite Gruppe der Filme würde ich als popkulturelle RAF-Filme bezeichnen wollen, die sich eben sehr stark ironisch auch dem ganzen Sujet annähern. Die beispielsweise wie 'Baader' als Biopic durchaus die Figuren in den Blick nehmen, aber das von einer durchaus auch medienkritischen Seite. Die eben auch zeigen: Wie kommt dieses Bilder-Arsenal der RAF zustande? Und was sind da so Fragen wie Wahrheit? Kann man das sagen im Kontext der RAF, was sind da wirklich wahre RAF-Bilder?"
    Dagegen stehen in den RAF-Familienfilmen, wie Corina Erk sie nennt, die Kinder der Terroristen im Fokus. Die "Innere Sicherheit" von Christian Petzold oder "Das Wochenende" nach einem Roman von Bernhard Schlink thematisieren, wie diese ihre abwesenden Eltern, über die sie nur negative Schlagzeilen lasen, verkraftet haben.
    Die Botschaft, die das Post-2000-Kino über die RAF transportiert, hält sie für ambivalent.
    "Es werden immer wieder diese Erinnerungen und letztlich auch immer wieder dieselben Bilder weitergegeben. Und das mag auch zu einer gewissen Ikonisierung beitragen. Dekonstruktion findet insofern statt, dass die Filme sich durchaus, indem sie verschiedene Medien integrieren, indem sie zeigen beispielsweise wie 'Baader', dass die Terroristen sich permanent selbst aufgenommen haben mit der Kamera in diesem Film, dass sie durchaus fragen - nach der Rolle von Medien oder Selbstbild-Konstruktion der Terroristen. Und dass sie da so einem positiv konnotierten Mythos RAF auch entgegentreten."
    Die früheren RAF-Mitglieder Andreas Baader neben Gudrun Ensslin vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess am 31. Oktober 1968
    Die früheren RAF-Mitglieder Andreas Baader neben Gudrun Ensslin vor der Urteilsverkündung im Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess am 31. Oktober 1968 (dpa - Manfred Rehm)
    Wie sich die Bilder über die RAF bis heute verändert haben – das diskutierten Historiker und Medienwissenschaftler Unter dem Titel "Re-Framing RAF - Terrorismus in der audiovisuellen Erinnerungskultur" in einer gemeinsamen Tagung vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und dem Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften.