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Bilderberg-Verschwörungsfantasien
"Eine sehr bequeme Haltung, aber auch eine sehr reaktionäre"

Verschwörungstheorien hätten etwas zutiefst Reaktionäres, sagte der "Handelsblatt"-Journalist Christian Rickens im DLF. Statt seine politischen Einflussmöglichkeiten als Bürger zu nutzen, sei es viel einfacher zu sagen: "Das wird doch eh alles bei den Bilderbergern entschieden, da habe ich doch sowieso keinen Einfluss."

Christian Rickens im Gespräch mit Birgid Becker | 09.06.2016
    Monteure der Schönlein Verkehrstechnik GmbH installieren am 07.06.2016 vor dem Kempinski Hotel Taschenbergpalais in Dresden (Sachsen) einen Absperrzaun.
    Die Bilderberg-Konferenz findet hinter Absperrungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. (dpa / Sebastian Kahnert)
    Birgid Becker: In Dresden trifft sich heute eine Elite aus Reichen und Mächtigen zur sogenannten Bilderberg-Konferenz, an der das Besondere ist, dass man nunmehr zum 64. Mal nicht wirklich weiß, was dort geschieht. Was sich aber aus dem Vakuum an Verschwörungstheorien stricken lässt, dazu gleich mehr.
    Zumindest die Sache mit der Hymne, die hat sich ja eben aufgeklärt. Keine Verschwörung, nur eine vorbeiziehende Touristengruppe. Aber die Bilderberg-Konferenz selbst, die ist ein wahrer Magnet für Verschwörungstheorien. Damit einen guten Tag an Christian Rickens, Redakteur beim "Handelsblatt" und Autor eines Buches über Verschwörungstheorien in der Wirtschaft.
    Christian Rickens: Guten Tag, Frau Becker.
    "Natürlich ist es demokratietheoretisch bedenklich, wenn sich Eliten unter Ausschluss der Öffentlichkeit austauschen"
    Becker: Bilderberg-Konferenz - seit 1954 gibt es diese Zusammenkunft der Mächtigen und fast ebenso lange gibt es die Vorstellung, da sei ein Lobby-Klub dabei, eine neue Weltordnung zu stricken, wenn nicht gleich die Weltherrschaft an sich zu reißen. Aus Sicht des Experten für Verschwörungstheorien, die Zutaten, die stimmen ja alle: viele mächtige Menschen, möglichst wenig, das nach draußen dringt. Das taugt schon für die Legendenbildung?
    Rickens: Ja. Aber wenn das jetzt wirklich eine geheime Weltregierung wäre, warum würde man denn dann wissen, dass sie sich in Dresden in diesem Hotel treffen? Ich glaube, wenn es eine wirkliche geheime Weltregierung gäbe, dann wäre sie auch geheim und man würde gar nicht erst mitbekommen, dass es solche Treffen gibt. Also im Ernst: Der erste Vertreter, der das in dem Beitrag im O-Ton gesagt hat, der hat das ja ganz treffend zusammengefasst. Natürlich ist es demokratietheoretisch bedenklich, wenn sich Eliten unter Ausschluss der Öffentlichkeit austauschen. Aber das heißt ja nicht, dass diese Eliten dort einer Meinung sind und dass sie dann dort auch Entscheidungen fällen. Und der Gedanke, dass dort jetzt der neue Bundespräsident ausgekungelt wird, was ja in dem Beitrag auch anklang, das halte ich für ziemlich absurd. Wenn es so etwas gäbe, dann gäbe es da wirklich andere Foren, um solche Entscheidungen vorzubereiten.
    "Dann muss man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen"
    Becker: Wenn nun den Bilderberg-Organisatoren an mehr Sympathie gelegen wäre, ja dann müssten sie wohl die Konferenzregeln ändern. Allein schon diese Sache mit dem Teilnehmerkreis, kommen darf nur, wer vom Vorsitzenden der Konferenz - das ist jetzt der erwähnte Chef des Versicherungskonzerns Axa - persönlich eingeladen ist, das ist schon eine ziemlich dicke Packung an Geheimniskrämerei. Warum?
    Rickens: Es gibt natürlich das Bedürfnis bei gesellschaftlichen Eliten, sich auszutauschen, ohne dass die Öffentlichkeit dabei ist. Dann kann man unbefangener reden. Dann muss man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Dann kann es einem ja auch nicht so passieren, wie es zum Beispiel Rainer Brüderle passiert ist, dass man mal leichtfertig etwas sagt gegenüber dem BDI, war es damals, dass man ja den Ausstieg aus der Atomkraft nur aus wahltaktischen Gründen beschlossen habe, und dann wird man dafür hinterher in den Medien verprügelt. Das ist natürlich angenehmer, wenn all das nicht passiert. Und deswegen wie gesagt: Man kann das sehr bedenklich finden. Ich würde mich nur dagegen wehren, es für eine geheime Weltregierung zu halten.
    Paradoxerweise gibt es ja andere Foren, die völlig offen und völlig transparent sind, wo Journalisten ein- und ausgehen und wo in Wirklichkeit wahrscheinlich viel mehr bedenkliche Entscheidungen vorbereitet werden. Ich denke da zum Beispiel an das Jahrestreffen des World Economic Forum, das jedes Jahr in Davos stattfindet, was ein Riesenmedienzirkus ist. Da tritt Bono auf, da gibt es Partys und Journalisten immer mitten drin. Wenn es etwas gibt wie eine informelle geheime Weltregierung, wo tatsächlich alle wichtigen Leute zusammenkommen und dann sich abseits dieser großen Runden absprechen, dann wird das in Davos sein und nicht in Dresden.
    Becker: Mal anders draufgeguckt. Von den wirklich intimen Treffen erfährt die Öffentlichkeit ja im Gegensatz wahrscheinlich tatsächlich gar nichts. Die Bilderberg-Teilnehmer, die haben doch ganz andere Möglichkeiten, sich zu treffen und auszutauschen, die mittlerweile nicht weniger berüchtigten Family-Office- Zusammenkünfte etwa.
    Rickens: Ja. Family Office, das sind ja die Geldanlage-Büros der großen vermögenden Familien. Die gibt es. Die sind natürlich jetzt auch gar nicht so sehr an politischen Entscheidungen interessiert. Aber wenn ein Henri de Castries von einem großen Versicherungskonzern wie Axa will, dass die deutsche Politik etwas in der Versicherungsaufsicht oder im Versicherungsrecht ändert, ja dann wird er sich um einen Termin bemühen, entweder im zuständigen Ministerium oder eben gleich im Kanzleramt, und seine Lobbyisten werden dafür sorgen, dass er den Termin auch bekommt. Das heißt dann immer noch nicht, dass die Politik dann so entscheidet, wie die Axa das möchte, aber so einer ist eben auch nicht darauf angewiesen, nach Dresden zu fahren zu so einer Konferenz, um sich mal mit wichtigen Leuten aus der Politik zu unterhalten.
    "Erst mal ist es ja einfach nur eine Zusammenkunft unter Ausschluss der Öffentlichkeit"
    Becker: Ist es eigentlich wirklich klug von Politikern, von Ursula von der Leyen, von Wolfgang Schäuble, von Thomas de Maizière, die ja angeblich alle dabei sein sollen, wenn sie sich solch einer sinisteren Runde anschließen? Das wertet die Geschichte ja auch enorm auf. Müsste die Botschaft nicht sein: Nein, demokratische Politiker kungeln nicht?
    Rickens: Ja, damit würde man ja dann insgeheim schon einräumen, es handelt sich um Gekungel. Erst mal ist es ja einfach nur eine Zusammenkunft unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Frage ist berechtigt. Man könnte aber auch noch eine andere Theorie aufstellen. Es war in der Vergangenheit eher so, dass eine Teilnahme an dieser Konferenz eigentlich das Ende einer politischen Karriere sehr schnell besiegelt hat, völlig ohne kausalen Zusammenhang, aber es war irgendwann mal Jürgen Trittin da und im Jahr darauf endete dann die rot-grüne Koalition und Trittin war sein Ministeramt los. Es war mal Christian Lindner, der FDP-Vorsitzende da, im nächsten Jahr flog die FDP aus dem Bundestag. Das ist eher eine Anti-Indikation für eine politische Karriere.
    Becker: Sind Sie jetzt selber verschwörungstheoretisch unterwegs?
    Rickens: Nein! Das ist eine reine Korrelation, das ist überhaupt keine Kausalität. Ich wollte nur sagen: Wenn diese Konferenz - diese Theorie gibt es ja - quasi Leute einlädt, um sie in den inneren Zirkel der Macht aufzunehmen, dann haben sie aber in der Vergangenheit sehr oft danebengelegen.
    "Kausalitäten machen für uns das Leben einfacher, weil wir uns Dinge leichter erklären können"
    Becker: Aber genau so funktionieren ja Verschwörungstheorien. Aus Korrelationen werden Kausalitäten.
    Rickens: Ja genau! Das ist in der Tat so. Da haben Sie einen sehr guten Punkt. Das ist ein Muster, das es bei ganz vielen Verschwörungstheorien gibt. Man sagt hier, da ist das eine passiert, da ist das andere passiert, und dann wird ein Zusammenhang konstruiert, der eine Kausalität herstellt, die nicht notwendigerweise gegeben ist. Der Grund ist einfach: Wir mögen Kausalitäten. Kausalitäten machen für uns das Leben einfacher, weil wir uns Dinge leichter erklären können.
    Becker: Haben Sie übrigens an der Stelle eine Lieblings-Verschwörungstheorie? Der Weihnachtsmann wurde von Coca-Cola erfunden, oder der Untergang der Titanic war ein Versicherungsbetrug, oder die Mondlandung war ein Fake. Was ist denn Ihre liebste Verschwörungstheorie?
    Rickens: Meine liebste Verschwörungstheorie ist eine, die gar nicht so bekannt ist, aber das haben ja die besten Verschwörungstheorien an sich. Wussten Sie, dass der Opel Manta, einst ja ein sehr erfolgreicher Sportwagen, gezielt von Porsche erledigt wurde, diskreditiert wurde, und dass sich Porsche zu diesem Zweck die Manta-Witze ausgedacht hat. Da gibt es bei YouTube ein wunderbares Video, das das alles aufdeckt. Porsche hat Karl Dall bezahlt, um sich 100 Manta-Witze auszudenken, die in Umlauf zu bringen und auf diese Weise die Manta-Fahrer so zu diskreditieren, dass keiner mehr einen Opel Manta gekauft hat.
    Becker: Und so schlecht ist die Welt, man glaubt es kaum. Auf der anderen Seite: Wenn man aufhört, über Verschwörungstheorien zu lächeln, dann hat das Ganze doch einen sehr ernsten Kern. Verschwörungstheoretiker oder die Theorien sind ja Indizien dafür, dass ihre Anhänger das Vertrauen in Institutionen, in das Rechtssystem, ja in die Demokratie verloren haben.
    Rickens: Das stimmt und für mich haben diese Verschwörungstheorien etwas zutiefst Reaktionäres, denn man verliert das Vertrauen, aber man lenkt das ja nicht in eine politische Aktivität, die dann darauf irgendwie abzielt, Machtverhältnisse zu ändern, sondern man lenkt es ja in so eine selbst gewählte Ohnmacht. Man sagt ja, da gibt es die da oben und die treffen sich und die kungeln und da ist dann eh alles entschieden und ich habe ja sowieso keine Chance, das zu beeinflussen, anstatt die politischen Einflussmöglichkeiten, die man als Bürger hat, zu nutzen, um die Dinge, die einen stören, zu verändern, denn das ist natürlich möglich. Es erfordert halt Engagement und Geduld und es führt auch nicht jedes Mal zum Erfolg, aber da ist es natürlich viel einfacher zu sagen, ja das wird doch eh alles bei den Bilderbergern entschieden, da habe ich doch sowieso keinen Einfluss. Eine sehr bequeme Haltung, aber auch eine sehr reaktionäre.
    Becker: Danke! - Ein Versuch, Licht ins Dunkel der Verschwörungstheorien zu bringen, war das von Christian Rickens, Redakteur beim "Handelsblatt" und Autor des Buches "Das Glühbirnenkomplott". Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.