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"Bildung für alle"

Jeder, der geeignet und willens ist, muss die Möglichkeit haben zu studieren – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Vor 40 Jahren bekam dieser bildungspolitische Glaubenssatz mit dem BAföG Gesetzeskraft. Die sozialen Schranken bestehen weiter: Nur jeder vierte Student wird heute gefördert.

Von Monika Köpcke | 26.08.2011
    "Das war in der Tat eine große Errungenschaft nach unserem Sozialstaatsprinzip, und ja, das war eben das Neue, dass es einen Rechtsanspruch gab auf individuelle Förderung, wenn der Entsprechende anderweitig die Mittel nicht zur Verfügung gestellt bekommt."

    Als Generalsekretär des deutschen Studentenwerks begleitete Dieter Schäferbarthold die Einführung des BAföG. Im Sprachgebrauch ist BAföG längst zum Synonym für die Geldzahlungen geworden, die der Staat bedürftigen Studenten überweist. Wörtlich genommen steht BAföG für "Bundesausbildungsförderungsgesetz". Am 26. August 1971 wurde es im Bundestag verabschiedet.

    "Die Wahrheit ist, dass wegen der Vernachlässigung unseres Bildungswesens tragende Grundrechte unserer Verfassung Tag für Tag verletzt und missachtet werden."

    Im Oktober 1965 sprach der Philosoph und Pädagoge Georg Picht im Audimax der Universität Heidelberg zu seinen Studenten:

    "Gegen diese Zustände demonstrieren wir heute. Die Regierungen und Parlamente müssen jetzt handeln. Tun sie es nicht, so steht schon heute fest, wer für die dritte große Katastrophe in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts verantwortlich ist."

    "Die deutsche Bildungskatastrophe": Diesen programmatischen Titel hatte Georg Picht bereits seiner aufsehenerregenden Artikelserie gegeben, die er 1964 veröffentlicht hatte. Seine Bilanz war niederschmetternd: Es gebe zu wenig Abiturienten und zu wenig Studenten. Das dreigliedrige Schulsystem sei zu undurchlässig und eine Quelle sozialer Benachteiligung, weil es dem Großteil der Kinder Aufstiegschancen verwehre und wertvolles Bildungspotenzial ungenutzt lasse. Picht prophezeite:

    "Der bisherige wirtschaftliche Aufschwung wird ein rasches Ende nehmen, wenn uns die qualifizierten Nachwuchskräfte fehlen, ohne die im technischen Zeitalter kein Produktionssystem etwas leisten kann. Wenn das Bildungswesen versagt, ist die ganze Gesellschaft in ihrem Bestand bedroht."

    "Bildung für alle" – unter diesem Motto leitete die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt ab 1969 umfassende Reformen ein. Mit dem neuen BAföG konnten nun auch mehr und mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien die Universitäten besuchen.

    Fast die Hälfte aller Studenten wurde damals gefördert, ohne davon etwas zurückzahlen zu müssen. Doch bald erlebte die Bundesrepublik ihre erste Rezession, das Geld wurde knapper, und so wurde seit Mitte der 70er-Jahre schrittweise ein Teil der Unterstützung nur noch als Darlehen gewährt.

    In der Ära der Kohl-Regierung wurde 1983 das BAföG in ein reines Darlehen umgewandelt. Die Konsequenz: Viele Kinder aus Familien, die ein Studium nicht selbst bezahlen konnten, ließen sich von dem Schuldenberg abschrecken und verzichteten aufs Studieren. 1990 ruderte die Politik wieder zurück: Um dem Mangel an jungen Fachkräften entgegenzuwirken, muss das BAföG seitdem nur noch zur Hälfte zurückbezahlt werden.

    40 Jahre BAföG haben die sozialen Schranken nicht überwinden können: Nur jeder vierte Student wird heute gefördert. Ausschlaggebend für die Aufnahme eines Studiums sind noch immer die Bildung und das Einkommen der Eltern. In der neuesten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks liest sich das so:

    "Studierende haben im Schnitt 812 Euro im Monat zur Verfügung. 87 Prozent von ihnen werden von ihren Eltern finanziell unterstützt. Von 100 Akademiker-Kindern studieren 71, von 100 Kindern aus Familien ohne akademische Tradition schaffen nur 24 den Sprung an die Hochschule."