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Bildung im Strafvollzug
Lernen hinter Gefängnismauern

Von Almuth Knigge | 18.10.2014
    JVA Würzburg - am Rande des Industriegebietes - etwas außerhalb der Stadt. Das Gefängnis in Franken gehört zu den jüngeren, progressiveren, bayrischen Justizvollzugsanstalten. An den Wänden hängen Angebote zu Alphabetisierungskursen. Außerdem Verhaltensregeln - mit dem Schlafanzug darf man beispielsweise nicht den Gang betreten.
    Arnd Bartel ist Anstaltslehrer. Chef der Schulabteilung. Neben einer gut ausgebauten Sozialtherapie punktet Würzburg mit einem umfangreichen Bildungsangebot. Auf C1, der Studentenabteilung, hat Rainer Sachse Dienst. Ein ruhiger, besonnener Beamter - in Uniform.
    "Wir haben als Vollzug und als vollstreckende Behörde einen Behandlungsauftrag, und das beinhaltet insbesondere die schulische und berufliche Ausbildung."
    Aber - er sagt das sehr leise, bei vielen seiner Kollegen hat sich dieser Gedanke noch nicht durchgesetzt.
    "Wir haben Bedienstete, die gesagt haben, wie kann das sein, dass einer, der langfristig inhaftiert ist, die Möglichkeit bekommt, zu studieren. Das Verständnis dafür muss erst mal geprägt werden."
    Nicht nur verwahren
    Sachse sitzt im Wachraum gegenüber dem sogenannten Hörsaal, einem kleinen Raum, vielleicht 20 Quadratmeter groß, in dem 16 Computer stehen - mit Internetzugang, im Gefängnis - wo normalerweise schon das Recht auf das Briefgeheimnis aufgehoben ist - Internet - aber Sachse und seine Kollegen lesen vom Wachraum aus mit. Das Internet ist nur dazu da, um an der Fernuni Hagen studieren zu können.
    "Der Sinn der Inhaftierung ist ja ein ganz anderer - das heißt, die werden ja hier nicht verwahrt, und gehen dann auf Arbeit oder beschäftigen sich mit ihrer Haft, sondern die sind da, um aus ihrer Haftzeit was zu machen, deswegen haben sie sich angemeldet zum Studium, und das Niveau von der Verwahrung hin zum Studium ist natürlich ein ganz anderes." - "Aber die anderen sollen ja auch nicht nur verwahrt werden." - "Tja, sollte man meinen, aber wie ist es denn oft?"
    Knapp zehn Prozent der Gefangenen sind in Bildungsmaßnahmen, Schulabschlüsse, Ausbildungen - Koch ist sehr beliebt - zehn Prozent sind nicht viel, räumt Bartel ein - Dennoch:
    "Es ist wichtig, dass wir hier die Leute von der Zukunft nicht abschneiden und es ist wichtig, dass wir durch unsere Arbeit hier präventiv sind."
    Motivation durch Prüfungen
    Wieder draußen im Biergarten mit Bernhard, 66 Jahre alt, mehr als die Hälfte davon saß er im Knast. Einbruch, Diebstahl. Seine vorerst letzte Station ist Würzburg. Er überlegt lange, was er antworten soll auf die Frage, ob es auch irgendetwas Positives gegeben hat in seiner langen Haftzeit - dann aber kommt es: die Schule.
    "Jede bestandene Prüfung gibt dir Kraft, gibt dir Selbstbewusstsein, was glaubst du, wie das war? Als 43-Jähriger hatte ich einen Hauptschulabschluss. Ich konnte den ja nicht machen, weil es das zu meiner Zeit nicht gab - Hauptschulabschluss. Ich hatte den besten Hauptschulabschluss im ganzen Landkreis. Und ein Jahr später die Mittlere Reife."
    Bernhard spricht fließend Englisch und Französisch.
    "Ja, verstehst du, du kannst ja was, du bist ja gar nicht so, diese Null, wie man dir immer gesagt hat. Und nicht, weil du jetzt das Zeugnis hast, sondern weil du diese Befriedigung hast, du kannst etwas, du hast den Kampf aufgenommen und du hast den Kampf gewonnen. Und jetzt kämpfe ich weiter, es lohnt sich."
    Zwei Jahre ist Bernhard jetzt in Freiheit - so lange hatte er es vorher nie geschafft.