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Bildungs-Innovationen auf der CeBIT
Auch das Schulbuch soll lernen

Längst haben digitale Techniken auch in Schule und Hochschule Einzug gehalten. Experten sehen bei der digitalen Bildung in Deutschland allerdings noch viel Luft nach oben. Auf der CeBit werden einige Ideen für den Unterricht von morgen vorgestellt.

Von Alexander Budde | 21.03.2017
    Schülerinnen und ihre Lehrerin beugen sich über ein Tablet
    Schülerinnen und ihre Lehrerin beugen sich über ein Tablet (imago / Westend61)
    Auf der CeBIT, inmitten des Messetrubels, lässt Gesche Joost die Krokodilklemme zuschnappen:
    "Der Calliope sieht aus wie ein kleiner Stern. Mit kleinen Bananen-Steckern haben wir leitende Knete angeschlossen. So entstehen einfache Schalter. Wenn ich jetzt hier die Knete berühre, kann ich eine LED zum Leuchten bringen. Ich kann das also als Hardware-Erweiterung nehmen - und das macht Kindern natürlich totalen Spaß!"

    Die 42-jährige Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin und Internetbotschafterin der Bundesregierung will mit dem Calliope mini einen Schalter umlegen:
    "Es geht darum, dass wir mit der digitalen Bildung in Deutschland gerade im europäischen Vergleich noch nicht gut dastehen. Das Verständnis von Technik wird schon sehr früh geprägt, deswegen müssen wir ab der Grundschule anfangen."
    Gesche Joost
    Gesche Joost, Professorin für Designforschung an der UdK Berlin (Foto: privat)
    Schulcomputer für Drittklässler
    Joost hat sich mit gleichgesinnten IT-Experten und Digitalunternehmern zusammengetan, gemeinsam haben sie den handflächengroßen Computer entwickelt. Mit dem sollen einmal alle Drittklässler in Deutschland arbeiten. Im Prinzip geht es bei dem erfreulich simpel aufgebauten, haptischen Gerät um analytisches Denken:
    "Der Calliope ist im Prinzip ein Minicomputer, der eben nicht YouTube abspielen kann, sondern den man programmieren muss. Das geht ganz einfach mit Wenn-dann-Befehlen. Man kann im Sport-Unterricht einen Schrittzähler bauen oder im Biologie-Unterricht messen, ob die Zimmerpflanze gerade vertrocknet."
    Ähnliche Geräte gibt es zwar auch in anderen Ländern, hierzulande aber sind sie kaum verbreitet. Dabei gibt es natürlich auch in Deutschland Menschen, die mit ihren Ideen und ihrer Forschung den Fortschritt treiben.
    "Der Proband sieht hier eine Physik-Buchseite. Unser System verfolgt seine Augenbewegungen, und je nachdem, was sich der Schüler anschaut, wie lange er es sich anschaut und wie er es sich anschaut, können wir dann maßgeschneiderte Informationen einblenden."
    Nicolas Großmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Kaiserslautern. Auf der CeBIT präsentiert die Forschungsgruppe um Physik-Professor Jochen Kuhn "Hypermind", das intelligente Schulbuch. Ein so genannter Eyetracker, der unterhalb des Bildschirms montiert ist, macht es möglich.:
    "Wir haben hier auch noch eine Infrarot-Kamera, die nimmt gleichzeitig die Temperatur vom Gesicht auf. Hier haben wir festgestellt, der Schüler schaut besonders lange auf dieses Bild, erhöhte Durchblutung, das heißt, vielleicht braucht er hier weitere Informationen um das zu verstehen. Unser Ziel ist es, ein Schulbuch auf dem Tablet oder dem Computer zu haben, das eben für alle Schüler funktioniert."
    Machtverlust durch digitale Konkurrenz?
    16 Bundesländer gestalten Schule im föderalen Deutschland, die föderale Struktur ist nicht immer hilfreich im Zusammenhang. Aber in diesem Gewirr aus Zuständigkeiten gibt es viele Initiativen und Inhalte, die es wert wären, sie mit der Community zu teilen. Hier setzen Projektleiter Jan Renze und seine Forscherkollegen am Hasso-Plattner-Institut mit ihrer Schul-Cloud an:
    "Wenn wir die Schule digitalisieren wollen, ist das Erste, was wir machen müssen: die Rechner raus aus den Schulen, weil die Rechner werden schlecht gewartet, es gibt oft keinen, der dafür zuständig ist. Wir glauben eher daran, dass ich einfache Geräte habe, Smartphones, Tablets aber von überall aus auf Inhalte zugreifen kann, die dann irgendwo hinter dem Vorhang in einer sicheren, Datenschutz konformen Cloud liegen."
    In 25 Pilotschulen soll der modular entwickelte Dienst bald verfügbar sein: Und Was die Nutzer davon haben, erklärt Jan Renze:
    "Wenn Sie Dateien austauschen wollen oder Ihr Lehrer Ihnen diese zukommen lassen will, passiert das alles über die Schul-Cloud. Das ist ein komplexes Projekt – aber im Idealfall ist die Schul-Cloud unsichtbar und es funktioniert einfach!"
    Zurück zu Gesche Joost und ihrem Minicomputer. Vor allem die Lehrer muss sie überzeugen:
    "Die Lehrerschaft spaltet sich. Wir haben viele engagierte, tolle Lehrer und Lehrerinnen, die zu uns kommen und sagen: Wir wollen den Calliope für unsere Klassen einsetzen. Andererseits haben wir auch einige, die Angst haben vor Machtverlust. Sie befürchten, vor den Schülerinnen und Schülern schlecht dazustehen, da die manchmal schon viel weiter sind im Bereich der Digitalisierung. Insofern müssen wir neue Konzepte suchen, in denen vielleicht Lehrer und Schüler in Lerngemeinschaften zusammen sind und sich gemeinsam über den Calliope beugen."
    Im Saarland können schon alle Grundschulen den Calliope kostenlos anfordern, in weiteren Ländern laufen Gespräche oder Pilotprojekte.

    Anm. d. Red.: Einige O-Töne im Text wurden im Sinne der besseren Lesbarkeit geglättet.