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Bildungsfonds für Analphabeten
"Unser Vorschlag ist, dass es von Privatleuten finanziert wird"

Das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie schlägt vor, die Schulung von Analphabeten mithilfe eines Fonds zu finanzieren und so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verstärken. "Wenn gerade diejenigen qualifiziert werden, die bislang hinten runterfallen, rechnet sich das auf Dauer besonders für die öffentliche Hand", sagte Institutsdirektor Dieter Dohmen im DLF.

07.10.2015
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    Auch unter den Flüchtlingen in Deutschland gibt es - neben zahlreichen überdurchschnittlich Ausgebildeten - einige Analphabeten. (picture-alliance/ dpa / Oliver Berg)
    Sandra Pfister: Viele der Flüchtlinge, die gerade zu uns kommen, sind hoch gebildet. Sie erfüllen nicht das Klischee des afghanischen Hirtenjungen, der nie eine Schule von innen gesehen hat. Doch eben diesen Hirtenjungen gibt es auch, machen wir uns nichts vor, nicht alle Flüchtlinge werden als Ingenieure oder Ärzte unseren Fachkräftemangel lindern! Mal ganz abgesehen davon, dass es ohnehin bei uns siebeneinhalb Millionen Analphabeten gibt, die so unbeholfen lesen wie Grundschüler. Wie viel Geld muss Deutschland ausgeben, damit die eklatantesten Mängel bei der Grundbildung jetzt beseitigt werden? Das hat das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie jetzt untersucht. Ich habe vor der Sendung mit Dieter Dohmen gesprochen, das ist dessen Direktor, und ich habe ihn gefragt, auf welche Summe er denn gekommen ist!
    Dieter Dohmen: Das hängt immer davon ab, welche Maßnahmen man genau in den Blick nimmt. Aber wollte man tatsächlich den funktionellen Analphabetismus unter den Erwachsenen und den älteren jungen Menschen sozusagen, also denen zwischen 15 und 25 beseitigen, ist man in der Gesamtsumme schnell bei 50 Milliarden Euro und darüber hinaus.
    Pfister: Wenn wir von 50 Milliarden pro Jahr reden, dann ist das fünfmal mehr, als der deutsche Staat jetzt schon für die Unterbringung und die Versorgung der Flüchtlinge ausgibt. Das kann sich der deutsche Staat vielleicht so einfach nicht leisten. Wo soll denn diese Summe herkommen?
    Dohmen: Die Summe kommt offenkundig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus den öffentlichen Haushalten, die sind absolut knapp und knirsch, insofern ist dort nichts zu holen. Unser Vorschlag ist, dass es von Privatleuten finanziert wird über einen sogenannten Education Investment Fond, in den also Privatpersonen, Kapitalgesellschaften, Stiftungen, Lebensversicherungen oder Versicherungen überhaupt, aber auch natürlich Unternehmen einzahlen, durch den dann sozusagen die öffentliche Hand dabei unterstützt wird, Bildungsmaßnahmen für Flüchtlinge, zusätzliche Studienplätze, mehr Kita-Plätze, mehr Ganztagsschulplätze zu finanzieren und, wenn die jungen Menschen oder auch die Erwachsenen dann hinterher eine Anstellung finden, daran zu partizipieren, weil, Menschen in Beschäftigung, oder die eine höhere Beschäftigung haben, zahlen mehr Steuern, zahlen mehr Sozialversicherung, das heißt, für den Staat lohnt sich das und in vielen Fällen fallen auch keine Sozialabgaben an. Also, insofern lohnt sich das. Und wenn dann dieser Fonds zum Beispiel mit einem Drittel an diesen fiskalischen Erträgen, wie wir das nennen, beteiligt wird, kommt schon eine ordentliche Rendite zusammen.
    Pfister: Ja, für den Staat lohnt es sich, so wie Sie es vorrechnen, aber lohnt es sich auch für die Investoren?
    "Jeder Auszubildende zahlt ja zumindest Sozialversicherungsbeiträge"
    Dohmen: Nichts gegen Gönnergeist, nehmen wir gerne, aber ansonsten ist der Fonds schon darauf angerichtet, Erträge zu erwirtschaften. Also, als Beispiel die fiskalische Rendite eines zusätzlichen ... zum Beispiel 100.000 zusätzlichen Studienanfängern liegt bei etwa 27 Prozent, wenn der Fonds ein Drittel davon bekommt, sind das stattliche neun Prozent. In Zeiten wie heute durchaus eine attraktive Rendite, ähnliche Renditen erreichen Sie mit einer besseren praxisorientieren Berufsorientierung beziehungsweise einem schnelleren Übergang in Berufsbildung, aber auch mit frühkindlicher Bildung, die gut und umfassend ist.
    Pfister: Aber es ist natürlich ein sehr lang angelegtes Konzept, weil Sie ja abwarten müssen, bis diejenigen, die Sie jetzt nachschulen, ganz sicher in Lohn und Brot sind, und das auch alles wieder erwirtschaften.
    Dohmen: Ja, das kommt darauf an, über welche Bereiche wir reden. Reden wir über ein Studium, dann fallen die ersten Renditen – nehmen wir ein Masterstudium – nach drei bis vier Jahren an, reden wir über Berufsbildung, also mehr Ausbildungsplätze für junge Menschen, dann fallen die zum Teil auch durchaus direkt an, weil, jeder Auszubildende zahlt ja zumindest Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Betriebe. Für andere fallen zum Beispiel Hartz-IV-Sätze et cetera weg. Also, es gibt Bereiche, in denen fallen die Erträge sehr schnell an, es gibt aber natürlich andere Bereiche, nehmen wir den frühkindlichen Bereich, da brauchen Sie 15 bis 20 Jahre, bevor Sie das volle Potenzial an Erträgen erwirtschaften können. Das erfordert langfristige Horizonte. Aber nehmen wir zum Beispiel jemanden, der heute 20, 25 oder 30 ist, der kann ruhig Anlagehorizonte von 30 oder 40 Jahren in den Blick nehmen, denn dann kommt er oder sie so langsam ins Rentenalter und ist auf das Geld angewiesen.
    Pfister: Haben Sie schon mal bei Stiftungen und Versicherungen nachgefragt, ob die so eine Art Investitionsfonds interessant fänden?
    Dohmen: Bisher haben wir es noch nicht gemacht beziehungsweise allgemeine Gespräche geführt. Wir haben auch mit der öffentlichen Hand und mit einigen Ministern und zum Teil auch dem Kanzleramt gesprochen, dort stößt das Konzept durchaus auf erstes Interesse. Aber man sieht natürlich auch die Probleme, die dahinterliegen, das heißt die langen Vorfinanzierungshorizonte und die natürlich nicht hundertprozentig sicheren Erträge. Gleichzeitig wird aber auch deutlich signalisiert, ja, wenn dieses Konzept funktioniert und letztlich ein Stück weiter durchdacht ist, dann kommt das für uns durchaus infrage. Und wir kommen jetzt auch genau auf den Markt, weil wir das Gefühl haben, ja, nicht nur aufgrund der Flüchtlingssituation, sondern auch aufgrund der zunehmenden Knappheit der öffentlichen Haushalte ist der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden und das Konzept anzudiskutieren und mit den entsprechend Interessierten voranzutreiben.
    Pfister: Das heißt, wie geht es jetzt politisch weiter? Wird das Konzept ernsthaft in die politische Debatte eingespeist oder kriegen Sie den Auftrag, es weiterzuentwickeln und zu präzisieren?
    Dohmen: Also, natürlich wollen wir das Konzept ernsthaft in die politische Diskussion werfen, wir haben auch hier Gespräche geführt. Und die Signale sind: Ja, das wird nicht ganz einfach, aber das können wir uns sehr gut vorstellen. Und das andere Signal: Wir brauchen dringend Unterstützung, weil es die öffentlichen Haushalte alleine nicht stemmen können.
    Pfister: Wenn es funktionieren würde, dann wäre so ein Bildungsinvestitionsfonds vielleicht eine Möglichkeit, alle möglichen anderen Bildungsinvestitionen auch zu finanzieren. Und das könnte teilweise ja noch lukrativer sein für die Anleger, wenn es dann wirklich um Hochschulfinanzierung geht und nicht um Finanzierung von sehr niedrig Qualifizierten, die es im Zweifelsfall gar nicht zu einem lukrativen Studium bringen?
    Dohmen: Ich würde Ihre Argumentation umdrehen: Wenn wir über fiskalische Renditen, also eingesparte Sozialausgaben und höhere Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen reden, dann sind gerade die Investitionen in die gering Qualifizierten ausgesprochen lukrativ, weil der Anteil der gering Qualifizierten, der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, mit 50 Prozent oder 55 Prozent ausgesprochen niedrig ist. Bei den anderen Qualifikationen sind es 90 oder 95 Prozent. Und zugleich ist die Arbeitslosenquote extrem hoch, unter anderem weil sie gering qualifiziert sind. Also, insofern lohnt es sich für den Staat, gerade hier zu investieren und nicht nur bei den hoch Qualifizierten. Und insofern zielt der Fonds auch explizit darauf ab, die klassischen Investitionsmuster zu durchbrechen, die heißen, wir fördern im Prinzip – das gilt jetzt nicht für die öffentliche Hand, aber für private Investoren –, wir fördern insbesondere diejenigen, die eh schon gut ausgestattet sind. Und stattdessen wollen wir uns darauf fokussieren, dass gerade diejenigen qualifiziert werden, die bisher immer noch ein Stück hinten runterfallen. Weil, genau das rechnet sich auf Dauer für die öffentliche Hand viel, viel stärker.
    Pfister: Das sagt Dieter Dohmen, Direktor des FiBS, des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Ich danke Ihnen darum!
    Dohmen: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.