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Bildungssystem in NRW
Sekundarschulen sind zu unbekannt

Seit fünf Jahren gibt es in NRW eine alternative weiterführende Schulform: die Sekundarschule. Sie führt bis zur zehnten Klasse und ist danach für alle Abschlüsse offen. Laut einer aktuellen Studie ist sie in unmittelbarer Konkurrenz zur Gesamtschule allerdings nicht überlebensfähig. Außerdem ist sie noch zu unbekannt.

Von Kai Rüsberg | 03.09.2016
    Unterricht an der Heinz-Brandt-Sekundarschule in Berlin-Weißensee.
    Eltern wollen ihre Kinder lieber auf eine Schule schicken, die den besten Abschluss ermöglicht. (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Die Türen quietschen an Bochums neuester Schule, die schmucklos Sekundarschule Südwest heißt. Die zur Zeit 480 Schüler zwischen der fünften und neunten Klasse können hier den mittleren Schulabschluss erreichen. Nach Klasse zehn ist Schluss. Wollen sie später Abitur machen, ist ihnen aber ein Platz in einer kooperierenden Schule sicher, sagt Schulleiterin Ulrike Busse.
    "Ich bin von unserem Konzept, gerade mit den Kooppartnern in der Oberstufe, so überzeugt, dass ich mir für die Sekundarschule Bochum SW keine eigene Oberstufe wünsche. Weil wir individuelle Förderung so groß schreiben möchten in unserem System."
    Fünf weiterführende Schulformen in NRW
    Die Sekundarschule ist in NRW die fünfte weiterführende Schulform, die nach der vierten Klasse zur Wahl steht. 2011 entstand sie als Kompromiss aus dem politischen Streit um die Zukunft der Hauptschule und eine Ausbreitung von Gesamtschulen, so beschrieb es damals Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
    "Wir haben gemeinsam etwas Neues gestaltet, die Sekundarschule und das ist ein guter Kompromiss, der uns gelungen ist."
    Die rot-grüne Landesregierung hatte ein Jahr zuvor mit der Gemeinschaftsschule einen Schulversuch gestartet, der das von der Opposition präferierte gegliederte System aufbrechen sollte und auf gemeinsames Lernen in kleinen Klassen setzte. Der Streit darum endete mit dem Schulkonsens:
    "Wir wollen die Schülerzahlen herunterbringen."
    Schülerzahlen stagnieren
    Doch: Fünf Jahre später ist von dem Elan Einiges verflogen. 117 Sekundarschulen wurden in NRW gegründet, aber die Zuwächse bei Neugründungen und Schülerzahlen stagnieren. Und auch das Versprechen kleiner Klassen wurde nur zum Teil verwirklicht, sagt Schulleiterin Busse.
    "Die Gemeinschaftsschule sollte starten mit 23 Kindern, die Sekundarschule mit 25 Kindern. Der Kompromiss ist zulasten der neuen Schulform gegangen. Das kann man so sagen."
    Während in ganz NRW nur sieben Prozent der Grundschüler zur Sekundarschule wechseln, ist der Andrang an einigen Orten wie in Duisburg Rheinhausen groß, beschreibt Schulleiterin Martina Zilla Seifert.
    "Wir sind für vier Züge geplant, im letzten Jahr sechs-zügig, und jetzt sieben-zügig. Wir wachsen, ganz stark."
    Schon im zweiten Jahr lernen an der Schule mehr als 300 Kinder.
    "Wir sind eine sehr gute Schule und das ist mein Problem. Im vollkommen falschen System. Ich halte Sekundarschulen nicht für zielführend. Weil die Eltern die Systeme wollen, die eine Oberstufe vorhalten."
    Gesamtschulen überlaufen
    In der Umgebung gibt es keine Alternative von Haupt- oder Realschulen und die Gesamtschulen sind überlaufen.
    "Ein Drittel kommt freiwillig, aber die sagen, wir melden uns gar nicht bei den anderen Schulen an. Da haben wir sowieso keine Chance. Und Zweidrittel ist von den Gesamtschulen abgelehnt. Im letzten Jahr war das total gruselig. Wenn wir dann Kindern gesagt haben, ihr müsst mit uns kooperieren, dann haben die gesagt: Prima, wir wollen sowieso nicht hier sein."
    Das System der Sekundarschule entsteht in einer Zeit, in der gleichzeitig Abitur und Studium als Ideal für jeden Schüler propagiert wird, sagt die Duisburger Schulleiterin:
    "Insgesamt ist es so, dass die Eltern keine Vorstellung haben, was gutes Lernen ist. Sie wählen sehr stark prestige- und statusbezogen. Die Eltern wollen Schulen, die den höchsten Abschluss ermöglichen. Und das ist die Sekundarschule nicht."
    Mangelnde Bekanntheit der Sekundarschule
    Die Bochumer Schulleiterin Ulrike Busse sieht das Problem in der mangelnden Bekanntheit und Aufklärung der Eltern, und sogar der Grundschullehrer, die sie eigentlich beraten sollten.
    "Ich würde der Landesregierung einen Vorwurf machen, denn wenn man so ein System an den Start bringen möchte, dann muss man sie auch ganz anders vermarkten. Dann muss propagiert werden: Das ist die Schulform der Zukunft. Es kann nicht sein, dass nach vier Jahren es immer noch Schulleiter in Grundschulen gibt, die nicht wissen, ob sie diese Schulform empfehlen können. Weil sie nicht wissen, was sich dahinter verbirgt."
    Das Schulministerium meint, die Sekundarschule würde sich an den Bedürfnissen von Eltern und Kindern sowie den Gegebenheiten vor Ort orientieren. Außerdem leiste das längere gemeinsame Lernen einen wichtigen Beitrag, um die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft zu verringern.
    Gefahr des schlechten Images
    Ulrike Busse fürchtet aber, dass die Sekundarschulen in der Gefahr sind, das Image einer Resteschule zu bekommen, zu der diejenigen kommen, die woanders keinen Zugang haben.
    "Es könnte sein, dass, wenn da nicht umgesteuert wird, und die Schulleiter nicht unterstützt werden, dass es darauf hinaus läuft."