Samstag, 20. April 2024

Archiv

Bill of Rights
Petitionsrecht, Waffenbesitz und Redefreiheit

Nach dem Sieg in der Glorreichen Revolution in England wurde Wilhelm von Oranien die Krone angeboten - unter Bedingungen: In der "Bill of Rights" hatte das Parlament sich neue Rechte ausbedungen, Mitbestimmung über Steuern und die Einberufung eines Heeres. Am 23. Oktober 1689 traten die neuen Regeln in Kraft.

Von Jochen Stöckmann | 23.10.2014
    Das Foto vom Mittwoch (24.11.2010) zeigt die Roben der Richter des Ersten Senats sowie ein Richterbarett beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe während der Urteilsverkündung zum Gentechnikgesetz.
    Bereits im Jahr 2000 hat Udo di Fabio - damals Bundesverfassungsrichter - die englische Bill of Rights als Muster für eine künftige gesamteuropäische Verfassung hervorgehoben. (Uli Deck dpa/lsw)
    Als die Engländer 1688 den allzu eigenmächtigen Jakob II. davonjagten, feierten sie die Absetzung des Monarchen als Erfolg der "glorious revolution". Gar so radikal aber war der Umsturz nicht: Schon im nächsten Jahr hob man Wilhelm von Oranien auf den Thron, Favorit von Europas Protestanten, und seine Frau Mary, die Tochter des eben entmachteten katholischen Königs. Auch die "Bill of Rights", am 23. Oktober 1689 mit der Amtseinführung des neuen Königspaares in Kraft gesetzt und bis heute bei jeder Krönungszeremonie in Westminster feierlich beschworen, scheint von revolutionärem Gedankengut kaum berührt. Ganze drei allgemeine Bürgerrechte finden sich in dem Paragrafenwerk.
    "Die geistlichen und weltlichen Lords und die Gemeinen in vollzähliger und freier Vertretung dieser Nation erklären, dass die Untertanen das Recht haben, Petitionen an den König zu richten, dass die Untertanen protestantischen Glaubens Waffen zu ihrer Verteidigung besitzen dürfen und dass die Freiheit der Rede an keinem anderen Gerichtshof oder Orte außerhalb des Parlamentes unter Anklage oder infrage gestellt werden sollte."
    Die Wahl der Parlamentsmitglieder solle "frei sein"
    Petitionsrecht, Waffenbesitz und Redefreiheit - das immerhin hatte sich das Inselvolk erkämpft. Als sehr viel wichtiger aber sollten sich jene Regelungen erweisen, die das Parlament dem neuen Monarchen abgerungen hatte. Damit war ein Streit entschieden, der letztlich den jahrzehntelangen Bürgerkrieg ausgelöst hatte: Regiert ein König allmächtig aus göttlichem Recht heraus oder ist er eine Amtsperson, also den Gesetzen unterworfen? Letzteres war nun der Fall, in der Bill of Rights wurde festgelegt:
    "dass die angemaßte Befugnis, kraft königlicher Autorität und ohne die Zustimmung des Parlamentes Gesetze außer Kraft zu setzen ungesetzlich ist; dass die Wahl der Parlamentsmitglieder frei sein sollte."
    Wohlgemerkt: "frei sein sollte" - ganz genau oder gar präzis war die Freiheit der Wahl ebenso wenig definiert wie der Turnus der Parlamentssitzungen, die "des Öfteren" abgehalten werden sollten. Und so musste William Pulteney, erfahrener Parlamentarier und prominenter Debattenredner, eingestehen:
    "Je mehr ich über diese Bill nachgedacht habe, desto weniger verstand ich sie."
    Parlament im Zentrum des politischen Geschehens
    Eben diese Mehrdeutigkeit aber, der stets aufs Neue geforderte Interpretationsbedarf eines unscharf formulierten Gesetzes förderte die Balance der Kräfte, rückte das Parlament ins Zentrum des politischen Geschehens. Nicht von einem Tag auf den anderen, sondern mit den Jahrzehnten verschob sich die Autorität des Staates. Zwar sah Wilhelm von Oranien bald davon ab, sich in juristische Entscheidungen einzumischen und verzichtete auf sein "Recht" als König, sämtliche Zölle für das eigene Budget zu vereinnahmen. Aber ganz ohne Einfluss blieb er nicht, davon zeugt die "Fraktionierung" in eine Whig- und eine Tory-Partei:
    Fern von Despotismus
    "Nun muss sich auch der König, der das Parlament nicht ausschalten kann, innerhalb des Parlaments eines festen Anhangs versichern. Die parlamentarische Entwicklung dieser "Fraktionen" kann jedoch nurmehr aus dem neuen Spannungsfeld des Parlaments verstanden werden, das sich im folgenden Jahrhundert zwischen dem öffentlichen Räsonnement eines kritischen Publikums und dem korrumpierenden Einfluss eines auf indirektes Regiment angewiesenen Königs entfaltet."
    Vorbild für eine gesamteuropäische Verfassung
    Soweit Jürgen Habermas in seiner 1962 erschienenen Studie über den "Strukturwandel der Öffentlichkeit". Sehr viel schlichter, ganz einfach von Herzen und dennoch im Geiste der Aufklärung hatte Ende des 18. Jahrhunderts Carl Friedrich Bahrdt seine Sympathien für das englische Politik-Modell geäußert:
    "So sicher, so frei, so fern von Despotismus und Willkür der Richter lebt man nirgends."
    Und schließlich hat im Jahr 2000 Udo di Fabio - damals Bundesverfassungsrichter - die englische Bill of Rights als Muster für eine künftige gesamteuropäische Verfassung hervorgehoben:
    "Es ging von vornherein um geeignete Formen für die Entfaltung von politischer Vernunft und Pragmatismus: Wenn Verfassung in diesem Sinne nur Instrument der Machtbeschränkung zu Gunsten aller und der vernünftigen Machtausübung wäre, dürften keine ernsthaften Einwände gegen eine allmähliche Konstitutionalisierung Europas erhoben werden können."