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Binnenwanderung
"Fremdenfeindlichkeit gibt es auch unter Deutschen"

Menschen, die innerhalb Deutschlands ihren Wohnort wechseln, erleben ähnliche Probleme wie Zuwanderer aus dem Ausland. Das hat der Soziologe Ralf-Burkhard Hamm im Rahmen einer Studie zur Integration von Binnenwanderern herausgefunden. "Wir erwarten in Deutschland häufig, dass jemand sich vollständig an das Aufnahmegebiet anpasst", kritisiert Hamm. "Wir verwechseln da Integration und Assimilation."

Ralf-Burkhard Hamm im Gespräch mit Sarah Zerback | 21.01.2015
    Ein Glas Rollmops und ein Glass Spreewaldgurken stehen hinter einer Postkarte mit einem roten Herz
    Auch bei Binnenwanderen gibt es "eine Menge Integrationsprobleme", sagt Ralf-Burkhard Hamm. (imago / Westend61)
    Sarah Zerback: Die gute Nachricht erst mal vorweg: Deutschland wird als Zuwanderungsland immer attraktiver. Das zeigen zumindest die jüngsten Zahlen des Migrationsberichts, die das Kabinett heute diskutiert hat. Gute Nachrichten sind das vor allem deshalb, weil nur so die schrumpfende Bevölkerung ausgeglichen werden kann, denn durch Geburtenrückgänge und Abwanderung veröden ja ganze Regionen. Besonders in Ostdeutschland führt das schon heute zu massiven sozialen Problemen und auch zu ökonomischen Kosten. Das ist eben die Kehrseite.
    Umso wichtiger ist es, Zuwanderer und Zugezogene möglichst gut zu integrieren - ein Thema, mit dem sich Ralf-Burkhard Hamm, Soziologe aus Berlin, besonders intensiv befasst hat. Fünf Jahre lang hat er an einer Studie zur Integration von Binnenwanderern gearbeitet und herausgearbeitet, was das eigentliche Kernproblem von Integration ist. Und ihn habe ich vor der Sendung zunächst einmal gefragt, welche Regionen davon besonders betroffen sind, also wer da von wo nach wo wandert innerhalb Deutschlands.
    Ralf-Burkhard Hamm: Zunächst ist es erst mal so, dass circa 50 Prozent der Binnenwanderer eigentlich direkt in das benachbarte Bundesland wandern, also da keine Fernwanderung vornehmen, sondern in die nächstgelegene Region gehen. Und dann ist es so, dass ein Trend zu beobachten ist, dass eigentlich sehr viele Menschen vom ländlichen Bereich in die Großstädte wandern.
    Das ist ein Trend, der besteht schon seit 100 Jahren circa. Dann gibt es sehr, sehr starke Wanderungsströme nach Süddeutschland. Die kommen von Ost- oder von Norddeutschland nach Süddeutschland, also nach Bayern oder Baden-Württemberg. Und dann gibt es auch sehr überraschende Dinge, die ich in der Studie festgestellt habe, zum Beispiel, dass circa 30 bis 50 Prozent der Ostdeutschen, die abwandern, gar nicht nach Westdeutschland ziehen, sondern in den neuen Bundesländern bleiben.
    Zuwanderung bringt Standortvorteile
    Zerback: Und für die Regionen selber jetzt, sowohl die, wo abgewandert wird, als auch die, wo zugewandert wird, was bedeutet das für die?
    Hamm: Das heißt erst mal zum Beispiel für Süddeutschland, also gerade für Bayern oder Baden-Württemberg, dass die ihre Bevölkerungsstruktur deutlich verjüngen, weil dort in die Region besonders viele 18- bis 24-Jährige ziehen, und so kann man dann sozusagen die fehlenden Geburten, die stattfinden, ausgleichen.
    Ein weiterer Vorteil für die Region ist, dass natürlich Zuwanderer Erfahrungswissen und neue Ideen mit in die Region bringen und dass diese Fachkräfte, die dann meist auch in die Region kommen, häufig ein Standortvorteil für die Region sind, weil Unternehmen natürlich auch gucken, wie viele Mitarbeiter kann ich dort finden, die qualifiziert sind oder hochqualifiziert sind, und von daher bedeutet natürlich auch Zuwanderung für die Region selbst einen Standortvorteil.
    Es gibt Steuergelder, zum Beispiel Landeszuweisungen oder Bundeszuweisungen. Das sind pro 4000 Zuwanderer circa 20 Millionen Euro. Das sind Zahlen von 1998. Und das heißt natürlich, mit dem Geld kann man arbeiten, zum Beispiel Theater oder Infrastruktur betreiben. Das Problem ist: Die Region, wo diese Menschen wegziehen, da fehlt wiederum dieses Geld und da fehlt das Geld dann für Verkehr oder für viele, viele andere Dinge, die dann geschlossen werden müssen, oder für Flächen, die zurückgebaut werden müssen. Für die Region entsteht natürlich dann ein ziemlich hoher Schaden auch.
    "Eine Menge Integrationsprobleme"
    Zerback: Das sind jetzt erst mal viele ökonomische, wirtschaftliche Faktoren. Wie sieht es denn gesellschaftlich aus? Wo so viel Bewegung ist, wo so viele Migrationsströme sind, da gibt es ja auch Probleme, Konflikte. Welche?
    Hamm: Es gibt natürlich Verteilungsprobleme zunächst einmal, die bis hin zu Fremdenfeindlichkeit geht. Das ist das Erstaunliche in der Studie, dass man auch wirklich empirisch messen konnte, dass es so was wie Fremdenfeindlichkeit unter Deutschen gibt, zum Beispiel in Baden-Württemberg gegen Ostdeutsche. Aber auch in Ostdeutschland gibt es Fremdenfeindlichkeit gegenüber Westdeutschen.
    Es gibt Verteilungsprobleme. Die Ungleichheit, die soziale und die ökonomische Ungleichheit in den Regionen steigt. Die Gebiete, die Zuwanderung haben, die profitieren davon; die anderen Regionen, dort entsteht ein Schaden. Da wird das Armutsgefälle zwischen den Bundesländern noch größer.
    Und dann gibt es natürlich auch eine Menge Integrationsprobleme. Gerade bei den Nord-Süd-Wanderern, von den Norddeutschen, die nach Süddeutschland gehen, da ist es so, dass circa 40 Prozent der Migranten, der Binnenwanderer desintegriert sind.
    "Wir verwechseln da Integration und Assimilation"
    Zerback: Und das ist ja ganz interessant. Das ist ja was, was Sie rausgefunden haben in Ihrer Studie, dass es da eine Menge Gemeinsamkeiten gibt bei der Integration von Zuwanderern aus dem Ausland und innerhalb Deutschlands. Welche Gemeinsamkeiten sind das, mal ganz abgesehen von Sprache, von religiösem Hintergrund?
    Hamm: Gemeinsamkeiten gibt es eine Menge. Das ist das Erstaunliche. Das fängt an von der Isolation des Binnenwanderers. Zum Beispiel viele Ostdeutsche, die in Westdeutschland leben, die leben dort isoliert. Ähnlich ist es auch mit Westdeutschen zum Beispiel, die in Ostdeutschland leben. Die leben so in einer Community und haben relativ wenig Kontakt zu den Ortsansässigen.
    Eine Ähnlichkeit ist auch die fehlende Akzeptanz von der kulturellen Differenz. Das heißt, wir erwarten in Deutschland häufig, dass jemand, der kommt, sich vollständig an das Aufnahmegebiet anpasst. Wir verwechseln da Integration und Assimilation. Wir erwarten also, dass der Fremde, zum Beispiel ein Norddeutscher, der nach Bayern geht, dass der Bayer wird. Und wenn Migranten zum Beispiel dazu nicht bereit sind, dann werden die häufig dadurch bestraft, dass sie isoliert werden oder dass man den Kontakt mit ihnen meidet.
    Isolation überwinden
    Zerback: Und was wäre da Ihre Lösung? Sie haben sich ja in Ihrer Studie auch damit befasst, wie denn Integrationskonzepte aussehen können, wie Integration gelingen kann. Wie denn?
    Hamm: Zunächst mal ist es wichtig, glaube ich, die Isolation zu überwinden von vielen Zuwanderern. Man könnte zum Beispiel ein Mentorenprogramm auflegen oder so eine Art Patenschaft. Das heißt, Ortsansässige suchen sich einen Migranten aus und sagen, ich übernehme eine Patenschaft, ich betreue den so ein bisschen, ich kümmere mich um den, gucke so ein bisschen, dass ich den aus der Isolation raushole.
    Aber viel wichtiger ist es, glaube ich, auch, dass wir akzeptieren, dass der andere erst mal eine eigene Kultur mitbringt und auch diese Kultur haben darf, dass aber trotzdem eigentlich er zum Zielgebiet dann gehört und auch Mitglied der Gemeinschaft ist, dass wir ihn nicht ausgrenzen und dass wir ihm auch Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringen.
    Zerback: Sagt Ralf-Burkhard Hamm, Soziologe aus Berlin. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hamm.
    Hamm: Ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.