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Bio im großen Stil

Bioprodukte sind im Trend. Doch mehr Nachfrage heißt auch, dass mehr produziert werden muss. Ein Hamburger Betrieb setzt daher vornehmlich auf großflächigen Anbau und bewirtschaftet rund 35.000 Hektar in Ostdeutschland und im Baltikum.

Von Axel Schröder | 03.08.2012
    Siegfried Hofreiter kann sich in Szene setzen: Für das "Hamburger Abendblatt" ließ sich der Chef des Hamburger Agrarmultis KTG am Ufer der Binnenalster ablichten. Neben ihm ein riesiger runder Strohballen, gleich daneben ein mächtiger Trecker mit angehobener Schaufel. Der gelernte Landwirt führt den – gemessen an der landwirtschaftlich genutzten Fläche – größten Agrarbetrieb in Westeuropa.

    KTG ist keine Abkürzung, sondern, so Hofreiter, ein Fantasiename, ohne Bedeutung. Vor allem in Ostdeutschland und neuerdings im Baltikum werden 35.000 Hektar, eine Fläche so groß wie Köln, bewirtschaftet. Mit besonderem Anspruch, so Hofreiter:

    "Bio für alle! Die großflächige Landwirtschaft bietet die Möglichkeit, eben Bioprodukte anzubauen, die 1990, -91, -92 Reformhausprodukte waren. Und hier haben wir ein Konzept verfolgt, das Gott sei Dank sich besser entwickelt hat, als wir es selbst uns haben träumen lassen."

    Das Kruzifix hängt rechts neben einem alten Bauernschrank an den kahlen Bürowänden in der KTG-Zentrale, eingerahmt unter Glas fällt das Dankesschreiben der Welthungerhilfe ins Auge: Vor zwei Jahren hat Hofreiter der Organisation 25.000 Euro gespendet. Und in den Firmenbroschüren prangen die unterschiedlichsten Ökosiegel: das EU-Biosiegel und sogar das Bioland-Emblem.

    Das war vor Kurzem Auslöser für eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Bioland und KTG, denn der Ökolandbau-Verband und der Großagrarier sind nicht Vertragspartner, die Produkte des Agrarmultis genügen den strengen Bioland-Kriterien nicht. Ein Gerichtsbeschluss verbietet es nun KTG, die firmeneigenen Broschüren mit dem Bioland-Emblem weiter zu verbreiten. Hofreiters "Bio für alle"-Philosophie findet auf etwas über 50 Prozent der KTG-Flächen statt, der Rest, gibt der Firmenchef zu, wird konventionell bestellt.

    Auf zehn bis fünfzehn Prozent der Fläche wächst außerdem der Treibstoff für die Reaktoren der KTG Biogas AG. Die Tochterfirma soll in den kommenden Jahren stark wachsen, der gerade erst erfolgte Börsengang der Biogassparte bescherte dem Unternehmen die nötigen Investitionssummen. Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace, kritisiert die weitere Expansion von KTG. Er fürchtet gravierende Nebenwirkungen für kleinere Landwirtschaftbetriebe:

    "Mit diesem Geld werden natürlich die bestehenden Strukturen völlig umgekrempelt. So ein Betrieb wie jetzt KTG Agrar – das hat es bis jetzt nicht gegeben. Im Grunde genommen sind das die neuen Feudalherren in diesen Regionen."

    In diesen Regionen würden, so der Greenpeace-Experte, nun mit einem großen, hochmodernen Maschinenpark und einem Minimum an Arbeitskräften die Felder bestellt. Kleine landwirtschaftliche Betriebe würden auf diese Weise verdrängt:

    "Das Geld, was ich dort erwirtschafte, fließt natürlich zum größten Teil zu denen, die das Geld liefern, zu den Aktionären. Und das, was übrig bleibt, wird dann vielleicht noch verteilt. De facto bleibt natürlich weniger übrig. Was bisher dort erwirtschaftet worden ist von den landwirtschaftlichen Betrieben in den neuen Bundesländern, das floss ja als Wertschöpfung in die Region. Und davon fließt jetzt halt immer mehr ab."

    Bei KTG widerspricht man dem Umweltschützer. Und führt als Gegenbeispiel die Umgebung von Putlitz an: In der kleinen Stadt in Mecklenburg-Vorpommern habe erst KTG Agrar die Landflucht stoppen können und neue, zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen.
    Die Expansion in Richtung Ostdeutschland startete Siegfried Hofreiter Mitte der neunziger Jahre zusammen mit seinem Bruder Werner. Der hatte die landwirtschaftlichen Großstrukturen in den USA kennengelernt, während Siegfried Hofreiter seine Erfahrungen auf dem heimischen Erdbeerhof in Bayern machte. Nicht überall waren die Brüder mit den großen Plänen willkommen. Einigen alteingesessenen Bauern ging die Expansion zu schnell, zu ruppig voran. Siegfried Hofreiter weist den Vorwurf zurück: KTG werde immerhin nur dort tätig, wo es schon zu Ostblock-Zeiten sehr große Agrarbetriebe gab. Und dass durch die eigene Geschäftspolitik ein Teller-Tank-Problem entstehen könnte, auch das glaubt Hofreiter nicht. Dabei warnen Experten vor einer Verdrängung von Pflanzen für die Nahrungsproduktion durch immer mehr Energiepflanzen für Biogasanlagen, zum Beispiel Mais. KTG-Chef Hofreiter sieht diese Gefahr, trotz der wachsenden Biogas-Tochter, nicht:

    "Wir erzeugen auf den Feldern im ersten Halbjahr Getreide für Mensch und Tier. Das wird jetzt gerade geerntet. Und 24 Stunden später sind die Felder schon wieder erneut bestellt mit einer Zweitfrucht: eine Kultur, die bis Oktober auf ein bis zwei Meter Höhe heranwächst und Biomasse bildet. Ein hervorragendes Input-Material für Biogas-Anlagen. Also, unsere Antwort heißt: Tank und Teller, von einer Fläche."

    Durch diese Fruchtfolge, so Hofreiter, könnten sich die Böden dann auch erholen.
    Der Greenpeace-Experte Martin Hofstetter misstraut dieser Darstellung. Um ihre einhundert Biogasanlagen am Laufen zu halten, rechnet er vor, müsste die Firma entweder bei anderen Anbietern Nutzpflanzen einkaufen oder diese auf fast der Hälfte der KTG-eigenen Fläche selbst anbauen:

    "Dafür braucht man 15.000 Hektar nur allein für die Biogasanlagenerzeugung. Das sind extrem auf Ertrag angebaute, sehr langweilige Kulturen, wo neben diesen Erntepflanzen im Grunde genommen nichts mehr wächst. Mit hohem Herbizid-Einsatz und so weiter. Und das ist schädlich für die Umwelt."

    Angesprochen auf diese Kritik bleibt KTG-Chef Hofreiter gelassen. Sein Unternehmen halte sich an die vorgeschriebenen Grenzwerte. Außerdem müsse auch der Großbetrieb KTG stets darauf achten, die eigenen Böden ertragreich zu bewirtschaften, ohne Rücksicht auf Verluste dürfe man die Felder nicht bestellen. Die zukünftigen Absätze sieht er gesichert, denn in den Regalen von Edeka oder Rewe, zwei großen Abnehmern der KTG-Produkte, werden aller Voraussicht nach immer öfter Bio-Produkte stehen:

    "Wir haben bisher immer versucht, mit dem Biomarkt einigermaßen mitzuwachsen. Und ich wage mal die Prognose: Wenn der Biomarkt step by step weiterwächst, werden wir auch mit wachsen. Und wenn der Biomarkt stagniert, werden wir langsamer wachsen."

    Aber darüber macht sich der gebürtige Bayer keine Sorgen: Bio boomt. Und im Ernstfall kann KTG auch mehr konventionelles Getreide anbauen. Die aktuellen Unternehmenszahlen sprechen für den Erfolg des Unternehmens: Zuletzt stieg der Umsatz um sagenhafte 72 Prozent auf 77 Millionen Euro in 2011. Die größte Einzelaktionärin ist Hofreiters Frau, Beatrice Ams: Sie hält 46 Prozent der KTG-Agrar-Aktien.