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Biochemie
Heimlicher Zuckerklau bei grünen Pflanzen

Grüne Pflanzen erzeugen ihre Kohlenstoff-Verbindungen nicht immer selbst, wie man lange dachte. Biochemiker der Uni Bayreuth fanden heraus: Statt ihren Photosynthese-Apparat anzuwerfen, stehlen sie die benötigten Zucker von anderen Organismen.

Von Volker Mrasek | 30.07.2014
    Das Rote Waldvöglein (Cephalanthera rubra) (Orchidee des Jahres 2000) wächst in trockenen bis frischen Laub- und Mischwäldern, an Waldsäumen, Waldwege-Böschungen und auf Waldwiesen.
    Viele Orchideen lassen sich bei der Zuckerversorgung von anderen Pflanzen helfen. (picture alliance / dpa / DB Heinz Baum)
    "Wir gehen jetzt in den Mühlenraum und bereiten die Proben vor."
    Julienne Schiebold, Doktorandin an der Universität Bayreuth, betritt ein Labor des dortigen Zentrums für Ökologie und Umweltforschung:
    "Hier lagern jetzt unsere Orchideen-Proben. Die wurden jetzt getrocknet bei 105 Grad für 48 Stunden. Sind jetzt ordentlich trocken. Deswegen rascheln sie."
    Die Orchideenblätter steckt die Ökologin im nächsten Moment in eine Kugelmühle.
    "Die werden jetzt fünf Minuten lang geschüttelt. Und dann haben wir ein fein gemahlenes Pulver."
    Was dann folgt, ist eine sogenannte Isotopen-Analyse der Pflanzenpartikel. Es werden bestimmte chemische Elemente untersucht, die in den Blättern stecken, um zu sehen, woher sie stammen.
    Grüne Pflanzen sind gar nicht immer autotroph
    Die bisherigen Messungen zeigen etwas Erstaunliches. Grüne Pflanzen erzeugen ihre Kohlenstoff-Verbindungen gar nicht immer selbst, wie man lange dachte. Sie sind nicht unbedingt autotroph, so das Fachwort dafür. Statt ihren Photosynthese-Apparat anzuwerfen, stehlen sie die benötigten Zucker manchmal von anderen Organismen.
    Gerhard Gebauer, Leiter des Labors für Isotopen-Biogeochemie an der Bayreuther Hochschule:
    "Pflanzenwissenschaftliche Lehrbücher beginnen häufig mit dem Satz: Grüne Pflanzen sind autotroph. Und wir können gerade mit unserer Isotopenforschung zeigen, dass das nicht immer stimmt."
    Gebauers Arbeitsgruppe sammelt dafür seit Jahren eifrig Belege. Und zwar bei Orchideen:
    "In Mitteleuropa gibt es 86 Orchideen-Arten. Wir haben noch nicht alle untersucht, aber mehr als die Hälfte. Und von denen können wir heute mit Fug und Recht behaupten: Keine dieser untersuchten Orchideen-Arten ist tatsächlich vollständig autotroph."
    Viele Orchideen wachsen in Wäldern. Dort leben Bäume in Symbiose mit Pilzen im Boden. Sie umhüllen die Wurzeln ihrer Wirte. In dieser Lebensgemeinschaft versorgen Bäume ihre Pilz-Partner mit Kohlenhydraten aus der Photosynthese. Im Gegenzug liefern die Pilze Wasser und Mineralstoffe:
    "Und in diese Zwei-Partner-Beziehung klinkt sich die Orchidee ein und klaut dem Pilz, was er gerade vom Baum bekommen hat."
    Ein Fall von heimlichem Schmarotzertum! Orchideen wie die verschiedenen Waldvögelein-Arten können sich dadurch stärker verbreiten:
    "Der große Vorteil ist eben, dass sie sich unabhängig machen können von dem, wovon Pflanzen eigentlich leben, nämlich Photosynthese zu betreiben. Und dazu brauchen sie Licht. Sie können dadurch in den tiefsten Schatten von Wäldern vordringen und dort am Waldboden konkurrenzlos leben. Und wenn eben ein Individuum sehr dunkel steht, dann lebt es mehr auf Kosten des Pilz-Partners. Wenn es eher in einer Waldlichtung steht, dann macht es auch noch mehr Gebrauch von der Fähigkeit, Photosynthese betreiben zu können."
    Verräterische Isotope
    Doch wie lässt sich der Kohlenhydrat-Klau der Orchideen überhaupt nachweisen? Er läuft ja im Wurzelraum ab, also im Verborgenen. Gebauers Team hilft dabei die Analyse der Isotopen von drei verschiedenen Elementen in den Pflanzenblättern:
    "Pilze unterscheiden sich von Pflanzen in ihrer Kohlenstoff- und Stickstoff- und - jetzt wissen wir auch - Wasserstoff-Isotopenzusammensetzung. Und wenn sich eine Pflanze teilweise vom Pilz ernährt, dann baut sie die Isotopenzusammensetzung des Pilzes auch in ihre Biomasse ein. Und wir können das zurückverfolgen."
    Eine Versorgung durch Pilze statt durch die eigene Photosynthese - das konnten die Bayreuther Forscher inzwischen auch bei Wintergrün nachweisen, einem Heidekrautgewächs. Und zuletzt auch bei Orchideen-Arten, die auf Bergwiesen wachsen - wobei nicht klar ist, was dabei der Nutzen für die Pflanzen ist. Denn Sonnenlicht für die Photosynthese steht an diesen Standorten reichlich zur Verfügung.
    Gerhard Gebauer kann sich jedenfalls vorstellen, dass noch viele andere grüne Pflanzen nicht wirklich autotroph sind, sondern Kohlenstoff-Verbindungen bei Pilzen klauen. Und dass diese Strategie den Schmarotzern noch andere Vorteile bringen muss: "Ich warte eigentlich auf die nächsten neuen Überraschungen."