Dienstag, 23. April 2024

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Biodiversitätsrat der UNO kommt nach Bonn

Die wissenschaftliche Erfassung des Artenschwundes in der Welt wird künftig aus Bonn gelenkt: Eine Auszeichnung für Deutschland sei das, sagt der Umweltforscher Carsten Neßhöver. Größte Aufgabe: Auch die Politik muss künftig davon überzeugt werden, dass "eine intakte Natur auch der Wirtschaft zugutekommt".

Das Gespräch führte Georg Ehring | 23.04.2012
    Georg Ehring: Bonn wird immer mehr zur Stadt der Vereinten Nationen. Das Sekretariat des neuen Welt-Biodiversitätsrates soll hier seinen Sitz bekommen, das hat die Staatengemeinschaft bei einer Tagung in Panama beschlossen. Der Welt-Biodiversitätsrat hat auf seinem Gebiet ähnliche Aufgaben wie der Welt-Klimarat (IPCC) beim Klima: Es geht um die wissenschaftliche Erfassung des Artenschwundes in der Welt. Über die Aufgaben, die auf ihn zukommen, möchte ich jetzt mit Carsten Neßhöver vom Umweltforschungszentrum Leipzig sprechen, er ist auch Projektkoordinator des Netzwerkforums zur Biodiversitätsforschung. Guten Tag, Herr Neßhöver.

    Carsten Neßhöver: Einen schönen guten Tag!

    Ehring: Herr Neßhöver, zunächst einmal: Was konkret soll dieser Rat machen?

    Neßhöver: Sie hatten schon gesagt: Zum einen soll er sich eben damit beschäftigen, die wissenschaftlichen Grundlagenerkenntnisse zum Artenschwund, aber auch zum Schwund eigentlich unserer Lebensgrundlagen im Allgemeinen, also der Dienstleistung, die die Natur uns bringt, zusammenzustellen. Natürlich weiß man da schon sehr viel, deswegen geht es auch darum, Politikoptionen aufzuzeigen, wie man eben diesem Schwund besser begegnen kann. Das sind also verschiedene Aufgaben, die er dort hat.

    Ehring: Wie kommt es, dass das Sekretariat jetzt nach Bonn kommt? Ist das eine Auszeichnung für Deutschland?

    Neßhöver: Natürlich ist das eine Auszeichnung für Deutschland. Es gab fünf Länder, die sich darum beworben hatten, so gesehen war durchaus eine große Konkurrenz dort, und Deutschland und vor allem der Standort Bonn kann mittlerweile damit werben, dass man dort sehr viele Sekretariate und Organisationen internationaler Art gerade im Umweltschutz angesiedelt hat. Da es bei diesem Rat auch sehr um Netzwerken geht, war das sicherlich auch ein guter Grund dafür, es nach Deutschland zu holen.

    Ehring: Der Hintergrund ist ein dramatisches Schrumpfen der Artenvielfalt, obwohl zumindest ja mehr über den Naturschutz geredet wird als früher. Was wird zu wenig getan?

    Neßhöver: Die Gründe für den Naturverlust oder den Artenverlust sind ja vielfältig. Es sind natürlich in erster Linie auch Gründe, die in wirtschaftlichen Aktivitäten, im demografischen Wandel und so weiter zu sehen sind, und deswegen ist man mehr und mehr zu dem Schluss gekommen, dass es eben nicht einfach nur mit klassischen Naturschutzmaßnahmen getan ist, sondern man muss versuchen, Ideen des Naturschutzes und des Naturerhaltes auch in andere Politikfelder zu tragen, und gerade da soll der Rat einen wichtigen Beitrag leisten.

    Ehring: Gegenmaßnahmen – warum müssen sie international koordiniert werden? Entscheidend ist doch immer das, was vor Ort passiert.

    Neßhöver: Das ist gerade beim Naturschutz natürlich eine besondere Herausforderung. Man muss die vielen Ebenen, wo man handelt, verbinden. Auf der lokalen Ebene müssen Dinge geschehen, aber auch auf der globalen Ebene, wir haben ja große internationale Konventionen auch zur biologischen Vielfalt, genauso wie beim Klimawandel, und dort geht es darum, diese verschiedenen Ebenen zusammenzubringen und auch zum Beispiel das Wissen, was wir in vielen, vielen Orten auf der Welt haben, wie man guten Naturschutz machen kann, zu verbreiten, und dafür soll die Plattform auch da sein. Sie soll eine Austauschplattform von guten Erfahrungen sein.

    Ehring: Woran scheitert der konkrete Naturschutz? Die Weltgemeinschaft hat sich ja das Ziel gesetzt gehabt, den Schwund der Artenvielfalt zumindest zu bremsen, und das hat nicht funktioniert.

    Neßhöver: Es scheitert natürlich immer noch am politischen Willen und an den vielen Zielkonflikten, die man beim Naturschutz hat, weil man immer noch der Meinung ist, in vielen Ländern und in vielen Zusammenhängen, dass die wirtschaftliche Entwicklung und der Naturschutz nicht vereinbar sind. Es ist in vielen Fällen sicherlich auch so und da muss man Kompromisse finden. Aber man muss eben auch immer deutlicher machen, dass eine intakte Natur auch der Wirtschaft zugutekommt. Wir haben immer knappere natürliche Ressourcen und auch diese Dinge stärker hervorzuheben und dort auch neue Ansätze zu entwickeln, dafür ist natürlich ein solches weltweites Gremium auch sehr hilfreich.

    Ehring: Wo liegt der Wert der Artenvielfalt, jetzt auch in wirtschaftlicher Hinsicht?

    Neßhöver: Letztendlich ist der unendlich, kann man ganz klar sagen, weil ohne eine intakte Natur könnten wir nicht existieren. Aber nur um eine Zahl zu nennen: Allein der wirtschaftliche Nutzen, den uns die Insekten, die Bestäuberorganismen weltweit bringen in Form von Agrarprodukten, liegt bei 550 Milliarden Euro pro Jahr, und das macht deutlich, dass der wirtschaftliche Wert in vieler, vieler Hinsicht enorm ist.

    Ehring: Bonn wird mit dem Sekretariat ausgezeichnet. Wie steht es denn um den Naturschutz in Deutschland? Ist der besser als in anderen Ländern?

    Neßhöver: Zumindest haben wir als Deutschland ja immer noch einen relativ guten Ruf dabei. Wir müssen aber gerade jetzt in dieser Zeit, wo man sich sehr auf die Energiewende auch konzentriert hat, natürlich aufpassen, dass da nicht einiges, was man vielleicht an guten Entwicklungen gesehen hat über die letzten Jahre, wieder ins Stocken gerät, dass zum Beispiel jetzt der Naturschutz bei der Entscheidung über den Netzausbau in den Hintergrund gerät. Gerade auch die Diskussion wieder um die europäische Agrarpolitik zeigt, dass da Deutschland weiterhin der Bremser ist, den Naturschutz dort stärker zu integrieren und zu berücksichtigen. Deutschland hat einen guten Ruf international in diesem Bereich und den gilt es, natürlich jetzt auch zu bestätigen, und da wird man auch jetzt hohe Erwartungen haben, die Entwicklung des Rates durch Deutschland noch weiter voranzutreiben.

    Ehring: Herzlichen Dank an Carsten Neßhöver.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.