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"Biografie" eines Landes aus der Perspektive seiner Bewohner

Die Studie des Belgiers David van Reybrouck über den Kongo ist für Detlef Felken, Cheflektor bei C.H. Beck, das Buch des Jahres 2012. Glänzend geschrieben, spiegele der Autor in der Geschichte des afrikanischen Landes die des ganzen Kontinents.

Von Niels Beintker | 31.12.2012
    Detlef Felken: "Es ist kein besonderes Verdienst, alt zu sein. Jedes Programm – das gilt für alle Häuser – muss wieder neu beweisen, dass es sich lohnt die Bücher des Verlages zu kaufen und zu lesen."

    Vielleicht trifft es ja das Wort gediegen am besten: der lange Konferenztisch aus hellem Holz, die Stühle mit Polstern in einem edlen Rotton. An drei Wänden Vitrinenschränke voller Bücher, Hardcover-Titel aus dem eigenen Programm. Einmal in der Woche kommt hier die Lektoratskonferenz zusammen. Die neun Lektoren um Detlef Felken, die Presseleiterin, der Vertriebschef und der Verleger Wolfgang Beck.

    Detlef Felken: "Da schlagen die Lektoren die Buchprojekte vor. In der Regel wird das schriftlich gemacht. Dann diskutieren wir darüber, am Ende trifft der Verleger die Entscheidung. Von daher sitzen wir hier tatsächlich in der Bücherwerkstatt oder in dem Laboratorium, in dem dann eben die Beschlüsse gefasst werden, die zu konkreten Beck-Büchern führen."

    Etwa 250 Titel erscheinen jedes Jahr im Verlagsbereich "Literatur – Sachbuch – Wissenschaft", einem eigenständigen Teil des großen juristischen Fachverlages C.H. Beck. Detlef Felken, 55, arbeitet seit über 20 Jahren im Verlag. Seit 2000 ist er Cheflektor und verkörpert, vom Äußeren her, eigentlich auch ein wenig den gleichermaßen wertkonservativen wie liberalen Geist des Münchner Bücherhauses: Tweed-Jackett, dezente Krawatte, dunkle Cordhose, kahler Kopf. Auf dem eigenen Schreibtisch, erzählt er, liegen gerade die Korrekturfahnen zu einem neuen Interviewband des Historikers Fritz Stern, diesmal mit dem Grünen-Urgestein Joschka Fischer. Ist der Bestseller so gut wie sicher? Felken wiegt den Kopf:

    "Von unserem Programmprofil her, in dem ja überwiegend Hochschullehrer, Professoren, Wissenschaftler veröffentlichen, ist das gar nicht so naheliegend. Wir sind aber genau wie alle anderen Verlage darauf angewiesen, dass wir auch kaufmännisch-ökonomisch funktionieren. Und da tun natürlich Bestseller ungeheuer gut. Unsere Philosophie ist schon, dass das vom Platz passen muss."

    Bei C.H. Beck wird auf Qualität gesetzt. In diesem Herbst etwa wurde die erste Auflage einer umfangreichen Martin-Luther-Biografie zurückgezogen und komplett neu gedruckt – wegen eines winzigen, aber doch prägnanten Fehlers: das Geburtsdatum des Reformators in der Einleitung war falsch. Detlef Felken sagt, die Käufer eines Beck-Buches sollten sich blindlings auf die inhaltliche Qualität verlassen können:

    "Wir treten immer da auf den Plan, wo ein Wissenschaftler sich an eine allgemeine Öffentlichkeit wenden will. Dann müssen sich beide Seiten etwas bewegen. Der Wissenschaftler muss aus dem engeren Fachgebiet heraustreten. Und das Publikum muss eine gewisse Neugierde mitbringen und bereit sein, sich einzulassen nicht nur unterhalten zu lassen, sondern sich zu bilden im Sinne des Wortes."

    Beides – Bildungslust, aber auch eine ansprechende Form der Darstellung – gilt für das Buch, das Detlef Felken auf den hellen Konferenztisch gelegt hat: "Kongo. Eine Geschichte", eine umfangreiche Studie des belgischen Archäologen und Theatermachers David van Reybrouck über die Geschichte des zentralafrikanischen Landes. Eine Geschichte, die über den Kongo hinaus, beispielhaft für Afrika steht, sagt Felken über sein Lieblingsbuch 2012:

    "Man erfährt unendlich viel über die Lebensverhältnisse in Afrika, über die Geschichte des Kontinents insgesamt, über die Mentalität der Menschen, über die Erfahrungen von Kolonisation und Dekolonisation bis hin zur Vernetzung Afrikas in die ganze Welt. Mich hat ungeheuer beeindruckt, dass der Autor sein Buch beschließt mit einem Kapitel, in dem wir nicht mehr in Afrika sind, sondern in einer Enklave von Kongolesen in China und zwar in der Hafenstadt Guangzhou. Und er auf ungeheuer lebendige und scharfsinnige Weise dem Leser anschaulich macht, wie die Vernetzung der Welt bereits fortgeschritten ist."

    Eine Szene vom Anfang des Endes der Diktatur Mobutos hat den Wahl-Münchner besonders beschäftigt. Felken zieht eine dunkle Brille aus dem Jackett, setzt sie auf, hält kurz inne.

    In der Passage beobachtet der kongolesische Machthaber gerade im Fernsehen, wie einer seiner wenigen Diktatoren-Freunde verhaftet wird. Erst einmal aber denkt er, er sieht eine Schildkröte auf der Mattscheibe:

    "Nein, es war keine Schildkröte, es war ein Mann, der aus einer Luke unten an einem Schützenpanzer kroch oder eher herausgeschoben wurde. Vor dem graugrünen Stahl bewegte er den Oberkörper so unbeholfen – die Arme an den Rumpf gedrückt, die Hände noch im Inneren des Panzers –, dass er einer Schildkröte ähnelte. Ein Soldat auf der Straße ergriff den Mann von außen und zog ihn heraus, als mache er die Arbeit einer Hebamme. Die Videoaufnahmen waren gelblich und unscharf. Die Szene wirkte winterlich. Aber Mobuto erkannte den Mann sofort. Es war Nicolae Ceausescu."

    Detlef Felken blickt auf. Er setzt die Brille wieder ab, legt sie vor sich auf den Tisch:

    "Da müssen Sie erst mal darauf kommen, ein Kapitel so zu beginnen, mit diesem symbolischen Bild. Dass der eine Diktator den anderen sieht, wie er wie eine Schildkröte aus dem Panzer gezogen wird. Das Buch ist gespickt mit solchen Bildern, die dem Ganzen einen unwiderstehlichen Glanz und eine literarische Kraft geben, dass man's auch wirklich gerne liest. Wenn ich das sehr salopp sagen darf: Es rockt."

    Und ist auch deshalb ein Buch, das der Vielleser Detlef Felken nicht mehr aus den Händen legen konnte, wie er sagt. Im Programm seines Verlages, sind Bücher wie dieses eine Ausnahme. Ein deutscher Hochschullehrer schreibt anders als ein belgischer Theatermann und Publizist. Trotzdem sieht der Cheflektor ein verbindendes Element: das Bemühen um historische Aufklärung. Kaum ein anderer hat sich so sehr etwa mit der deutsch-jüdischen Geschichte auseinandergesetzt wie der Münchner Verlag: Für Felken auch ein persönliches Anliegen:

    "Ich gehöre einer Generation an, die noch ganz im langen Schatten des Holocaust gestanden hat. Das hat mich in meiner intellektuellen Sozialisation von früh an geprägt, und das wird sich auch nicht mehr ändern. Und ich fühle mich dem auch schon verpflichtet."

    Im kommenden Jahr wird C.H. Beck 250 Jahre alt. Zu den Büchern, die Detlef Felken für das Jubiläum vorbereitet, werden historische Darstellungen gehören, wie etwa eine neue deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aber alles zu seiner Zeit, sagt Detlef Felken und geleitet zum Ausgang. Ganz alte Schule – auch hier.

    David van Reybrouck: Kongo - Eine Geschichte.
    Suhrkamp Verlag 2012, 783 Seiten, 29,95 Euro
    ISBN: 978-3-518-42307-3