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Biografie
Matthias Claudius - ein bescheidener Charakter

Er hat mit "Der Mond ist aufgegangen" Verse verfasst, die ins kollektive Gedächtnis unserer Kultur übergangen sind: Dichter und Journalist Matthias Claudius. Der Musikwissenschaftler Martin Geck hat über den vor 200 Jahren verstorbenen Dichter eine Biografie verfasst, die zwischen Annäherung und Distanzierung wechselt.

Von Angela Gutzeit | 19.01.2015
    Matthias Claudius (1740-1815)
    Matthias Claudius (1740-1815) wollte lieber ein Lebenskünstler sein, als Leben in Kunst zu überführen. (Leisching)
    Es gibt Melodien und Verse, die lange Zeit im kollektiven Gedächtnis einer Kultur bleiben - auch bei Leuten, die behaupten, keine Ahnung von Musik und Lyrik zu haben. In hiesigen Breiten wird beim Anblick des Mondes wohl nicht nur an Raumfahrt gedacht, sondern auch an das Abendlied von Matthias Claudius. "Der Mond ist aufgegangen": Diese Verse schildern zunächst Natureindrücke, - Mond, schweigender Wald, weißer Nebel - dann gehen sie in eine kleine Predigt über, sprechen von der menschlichen Torheit; schließlich werden sie zum Gebet mit der Bitte um einen ruhigen Schlaf.
    Martin Geck, Jahrgang 1936, Professor für Musikwissenschaften, hat sich bisher mit den Lebens- und Werkgeschichten von Komponisten wie Mozart, Beethoven, Schumann und Wagner auseinandergesetzt. Jetzt veröffentlichte er eine Biografie des Dichters und Journalisten Matthias Claudius, der von 1740 bis 1815 lebte. Im kleinen Wandsbek, damals noch kein Stadtteil von Hamburg, sondern zu Dänemark gehörend, brachte er den "Wandsbeker Boten" heraus, ein Blatt, das sich im feuilletonistischen Teil mal obrigkeitskritisch, mal harmoniegesättigt an ein überwiegend gebildetes, aufstrebendes Bürgertum wandte.
    Die Karriere von Claudius
    Claudius kam aus einem evangelischen Pastoratshaus, hatte Jura studiert und sich dann der Dichtung und dem Journalismus zugewandt. Er schlug sich durch, wie es für viele Literaten typisch war, wenn sie denn keine steilen Karrieren machten: Neben dem Schreiben eigener Texte übersetzte man. Oder man fand eine Stelle als Sekretär, oder man nahm Schüler als zahlende Kostgänger auf. Mit etwas Glück und guten Verbindungen bekam man vielleicht auch eine kleine Jahresrente von einem adeligen Mäzen, die aber oft nicht fürs Leben reichte, zumal, wenn man eine große Familie hatte. So ging es auch Matthias Claudius.
    Er lebte in einer Zwischenzeit, zwischen Romantik und Aufklärung, und deren Widersprüche prägten auch ihn. Mit spürbarer Sympathie beschreibt Geck einen gläubigen, oft mit gespielter oder tatsächlicher Einfalt daherkommenden, sehr populären Autor; einen Familienmenschen, der nicht gerade von protestantischem Arbeitsethos geschüttelt wurde. Claudius war ein bescheidener Charakter, mal etwas frömmelnd, dann wieder nüchtern, oft auch charmant. Sein Ehrgeiz hielt sich in Grenzen; er wollte lieber ein Lebenskünstler sein, als Leben in "Kunst" zu überführen und auf irgendeinem künstlerischen Olymp Platz zu nehmen.
    Reaktion auf Goethes "Werther"
    Bezeichnend für diese Seite war Claudius' Reaktion auf Goethes "Werther". Dies Werk wurde wegen Werthers Selbstmord aus unglücklicher Liebe teils heftig kritisiert und als "gottlos" bezeichnet. Im "Wandsbeker Boten" erschien ein harmloser Vierzeiler als Antwort; da erklärt ein Mensch namens Fritze, Zitat: " Nun mag ich auch nicht länger leben, / Verhasst ist mir des Tages Licht; / Denn sie hat Franze Kuchen gegeben,/ Mir aber nicht." Solche spielerische, subtile Respektlosigkeit war eine Seite von Claudius. Eine andere war sein wachsender Konservatismus. Claudius setzte mehr auf eine "Erleuchtung von oben" als auf das aufklärerische "Licht der Vernunft". Wenn die Schöpfung gottgewollt war, dann war es wohl auch die Gesellschaftsordnung; er gehörte zu den Gegnern der Französischen Revolution. Martin Geck zeichnet ein differenziertes Bild von Claudius, das auch seine eigene Irritation an dem oft moralisierenden Erbauungsliteraten nicht verschweigt.
    Eine gute Biografie muss nicht gefällig sein, sie soll aber auch nicht gerade als Abrechnung aus dem sicheren historischen Abstand daherkommen. Martin Geck zeigt anhand von Zeitgenossen wie Lessing oder Klopstock, welche Denk-, Schreib- und Handlungsspielräume sich für andere Autoren öffneten, während Matthias Claudius sich mehr und mehr in mystische Regionen zurückzog.
    Ausblicke auf eine Zeit politischer, ökonomischer und sozialer Umbrüche
    Über das Bild von Claudius hinaus liefert Martin Geck immer wieder konkrete Ausblicke auf eine Zeit politischer, ökonomischer und sozialer Umbrüche. Der in den Grafenstand erhobene Großunternehmer Schimmelmann war lange Zeit ein Mäzen von Claudius. Das prosperierende Handelsbürgertum wollte repräsentieren wie die Aristokratie; daher ließ Schimmelmann in Wandsbek ein Schloss errichten, einen Park anlegen - und der stand, untypisch für die Zeit, der Bevölkerung offen. Ein Fortschritt; ein Vorzeigeprojekt modernen Unternehmertums, schreibt Geck. Schimmelmann, der als preußischer Heereslieferant zu Vermögen gekommen war, scheffelte Geld mit einem ausgeklügelten Dreieckshandel. Er tauschte in Westafrika bedruckte Baumwolle, Rum und Flinten gegen Sklaven. Die schufteten in den amerikanischen Südstaaten auf Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen. Die Erzeugnisse kamen zurück nach Westeuropa und wurden, möglichst in eigenen Fabriken, zu Kattun und Rum verarbeitet. Dann ging der Kreislauf von vorne los.
    Matthias Claudius wusste von der Sklaverei; sie galt als "normal" oder gar als "gottgegeben". Eines seiner Gedichte zeugt von einem vagen Mitleid mit dem "armen schwarzen Mann". Und dabei blieb es. Dieses Schweigen lässt sich nicht nur damit erklären, dass Claudius finanziell abhängig von seinem Mäzen Schimmelmann war, der ihm phasenweise zu einer Stelle als Buchprüfer verhalf. Martin Geck betont: Das Weltbild von Matthias Claudius wurde insgesamt zunehmend konservativer, es verhärtete im Alter. Damit, so Geck, wurde Claudius "unzeitgemäß" gerade unter seinen jüngeren Zeitgenossen, die sich der Aufklärung zuwandten. Man möchte hinzufügen: Die Erfahrung, im Alter "unzeitgemäß" zu werden, ist kein Einzelschicksal.
    Keine veränderte Forschungslage
    Die Biografie eines vor jetzt bald 200 Jahren verstorbenen Mannes wird in der Regel nicht mehr geschrieben, weil sich eine völlig veränderte Forschungslage ergeben hat. Im Fall des Matthias Claudius sind die Quellen erschlossen. Martin Geck erklärt im Nachwort die persönlichen Motive, über Claudius zu schreiben. Seit seiner Kindheit hat er ein Faible für die Verse dieses Dichters. Hinzu kommt: Geck, der zuletzt eine Biografie über den "Meister" Richard Wagner veröffentlichte, versteht den maßvollen, bescheidenen Claudius als Gegenbild zu diesem hochfahrenden, ehrgeizigen Komponisten. Geck sagt: Weil Biografien immer auch dem Vergleich und der Selbstvergewisserung dienten, könne man die kontemplativen Züge des schlichten Claudius durchaus würdigen. Der suchte sein Glück eben nicht darin, zu eigener Größe zu kommen, sondern besah sich lieber den weißen Nebel und den Mond.
    Gecks Biografie wechselt zwischen Annäherung und Distanzierung; und die wenigen Passagen, wo sein Text in der Annäherung selbst leicht betulich wird, schmälern den Wert seines gesamten Buches nicht: eine nuancenreiche, gelassene, nachdenkenswerte und gut lesbare Lebensbeschreibung.
    Martin Geck: "Matthias Claudius. Biografie eines Unzeitgemäßen", Siedler-Verlag, 320 Seiten, 24,99 Euro.