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Biografie über Kim Jong-un
Nordkoreas Diktator aus der Nähe

Mythen und Legenden ranken sich um Kim Jong-un. Über den nordkoreanischen Machthaber ist wenig bekannt - und wenn vor allem Skurriles. Nach jahrelangen Recherchen hat die amerikanische Journalistin Anna Fifield seine Biografie vorgelegt, die jetzt auf Deutsch erschienen ist.

Von Martin Tschechne | 18.05.2020
Der Diktator Kim Jong-un bei einer Militärparade in Pjöngjang
Der Diktator Kim Jong-un bei einer Militärparade in Pjöngjang (picture alliance/dpa/Sputnik/Iliya Pitalev)
Ein Sushi-Meister aus Japan, der an den Hof des Herrschers in Nordkorea kommt und aufsteigt zum Erzieher für den Kronprinzen. Onkel und Tante, die dessen Schulzeit in der Schweiz begleiten und sich danach ins Exil absetzen. Überläufer, Weggefährten, eine ebenfalls geflohene Cousine. Schließlich ein ehemaliger Basketball-Star aus Chicago mit einem unstillbaren Geltungsbedürfnis – die Journalistin Anna Fifield hat ein feines Gespür für Menschen, die im Leben des Diktators Kim Jong-un eine Rolle gespielt haben. Sie weiß, wo sie zu finden sind. Und sie kann zuhören.
Natürlich bleibt die Reporterin der "Washington Post" die Absurditäten dieser Biografie nicht schuldig: den grotesken Personenkult, der schon bei seinem Großvater und Dynastiegründer Kim Il-sung Formen annahm, die selbst einen Stalin moderat erscheinen lassen. Die klebrigen Huldigungen durch die Hofschranzen, das nie nachlassende Elend des Volkes, Hungersnöte, Misswirtschaft, drakonische Strafen für jeden abweichenden Gedanken, dazu die Weltferne des Kindes, das in unfassbarem Reichtum, doch hinter meterhohen Mauern heranwächst, das mit elf Jahren eine scharfe Waffe führt und als Erwachsener die Abschussrampen für Atomraketen so legen lässt, dass er deren feurigen Schweif von seinem Schreibtisch aus sehen kann.
"Als Junge hatte sich Kim Jong-un für alle Arten von Maschinen begeistert, erzählte mir seine Tante. Er wollte immer herausfinden, wie sie angetrieben wurden. Zur Not ließ er einen Schiffsingenieur kommen, der es ihm erklärte. Für sie enthüllte sich darin ein Aspekt seiner Persönlichkeit, der zwei Seiten hatte: Einerseits konnte er sich unglaublich gut konzentrieren, aber auf der anderen Seite tendierte er dazu, sich in eine Idee zu verbeißen. Sie bezeichnete ihn nicht als 'obsessiv', aber im Grunde war es das, was sie meinte."
Täuschung und Ablenkung
Bei aller Fülle des Materials aber ist Anna Fifield klug genug, sich nicht allein vom Offensichtlichen leiten zu lassen. Dazu ist sie zu weit herumgekommen, im Land selbst und unter denen, die es verlassen haben. Was sie dabei gelernt hat: Der Augenschein kann täuschen. Manchmal, weil Außenstehende die Zusammenhänge nicht kennen, manchmal, weil es genau so sein soll. Täuschung und Ablenkung gehören zu den Methoden, mit denen die Kims seit 1948 in der dritten Generation die wohl zäheste Diktatur der Welt am Leben halten.
"Sieben Jahrzehnte nach der Gründung der Demokratischen Volksrepublik Korea sah ich nicht einmal im Ansatz Risse in der kommunistischen Fassade."
Die Fahne Nordkoreas
Nordkorea - Unter wachen Augen
Atomprogramm, Raketentests, Totalitarismus – Nordkorea ist kein Land, das gute Assoziationen weckt. Es ist nach außen hin streng abgeschottet, international weitestgehend isoliert und von den Vereinten Nationen mit Sanktionen belegt.
Worum es der Autorin also geht, ist über die Beobachtung hinaus die Analyse: Warum trägt der ohnehin dickliche Diktator diese altmodisch kastenförmigen Anzüge? Warum diesen Haarschnitt, für den er im Rest der Welt als Witzfigur belächelt wird? Weil er damit die Nähe zu seinem Großvater demonstriert, den das Volk immer noch als den großen Führer verehrt. Warum ließ er seinen Halbbruder 2017 vor den Augen der ganzen Welt ermorden? Nein, sagt Fifield und bestätigt wieder einmal, wie genau sie die Techniken des Diktators studiert hat: Die Frage der Nachfolge an der Spitze der Dynastie hatte Kim Jong-uns Mutter schon geklärt, als ihr Sohn noch ein Kind war. Aber der Bruder hatte sich als Informant mit der CIA eingelassen. Warum machte der Diktator seinem Onkel einen Schauprozess und ließ ihn hinrichten? Warum einen seiner Generäle mit einer Luftabwehr-Rakete erschießen? Die Reporterin belegt es immer wieder: Wer die absolute Macht behalten will, der muss sie auch anwenden – so hart und drastisch wie möglich.
Sachlicher Blick auf Skurrilitäten
Einen besonderen Blick in den Maschinenraum der Diktatur gewährt die Episode um den Basketballspieler Dennis Rodman. 2013, den Gipfel seiner Karriere hatte er hinter sich, aber seine Auftritte als B-Promi – unter anderem in der Fernseh-Show "The Apprentice" mit Donald Trump als Moderator – waren umso schriller. Außerdem war bekannt, dass der junge Herrscher in Pjöngjang ein Fan der Chicago Bulls war, bei denen Rodman seine Glanzzeiten erlebt hatte. Während also die offizielle Außenpolitik sich schwertat mit dem Diktator, während seriöse Medien keinen Zugang fanden – kamen ein paar flippige Typen aus dem Kommerz-Fernsehen auf die Idee, den abgehalfterten Star als Köder einzusetzen. Und siehe da: Kim Jong-un biss an.
"Erst zu diesem Zeitpunkt bemerkten die Nordkoreaner, dass Vice News kein normaler Nachrichtensender war. Doch jetzt konnten sie nicht mehr zurück. Der große Nachfolger erwartete einen Basketballer. Also verlangten sie wenigstens ein Treffen mit der Muttergesellschaft. In Manhattan dann erzählten sie der Vizepräsidentin des Senders, Nina Rosenstein, wie gut ihnen die Serie "Homeland" gefiele. Hm, erwiderte Rosenstein, das laufe aber auf Showtime, einem Konkurrenzsender. Dann fragte sie ihre Besucher, ob sie "Game of Thrones" gesehen hätten. Sie schauten fragend. Am Ende verließen sie das Haus mit einem großen Stapel DVDs."
Ist das nun rührend? Ist es witzig? Oder einfach nur entsetzlich? Die Korea-Kennerin Fifield bleibt sachlich. Doch sie vergisst nicht, den Atomtest zu erwähnen, mit dem Kim Jong-un zwei Wochen vor dem Eintreffen der Basketball-Delegation dem Rest der Welt demonstriert hatte, dass er eben nicht der naive Trottel ist, als den das Spaß-Fernsehen aus Amerika ihn hinstellen wollte. Wer sich so billig über ihn lustig zu machen versucht, so die Pointe des durchtriebenen Diktators, der ist am Ende selbst der Trottel.
Anna Fifield: "Kim. Nordkoreas Diktator aus der Nähe" - Biografie
aus dem Englischen übersetzt von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann, Edition Körber, 416 Seiten, 24 Euro.