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Biografie über Rachel Carson
Die Mutter aller Ökos

Rachel Carson gilt bis heute als Pionierin nicht nur der amerikanischen Umweltbewegung. Ihr Buch "Der stumme Frühling über die Auswirkungen von Pestiziden auf unsere Ökosysteme führte zum Verbot des Insektengifts DDT. Anlässlich ihres 50. Todestages schildert Dieter Steiner in einer Biografie das Leben und Wirken der literarisch begabten Biologin.

Von Rebecca Hillauer | 14.04.2014
    Einsatz von Pestiziden in Russland
    Rachel Carson schilderte in ihrem Buch "Der stumme Frühling" die Wirkung von Pestiziden auf unser Ökosystem. (picture alliance / dpa / Foto: Rogulin Dmitry)
    "Ich bin überzeugt, dass es noch nie eine größere Notwendigkeit als heute gegeben hat, über die natürliche Welt zu berichten und sie zu interpretieren. Die Annahme scheint mir vernünftig, dass je klarer wir unsere Aufmerksamkeit auf die Wunder und die Realitäten des uns umgebenden Universums richten können, desto weniger Zerstörungslust empfinden werden."
    Das Zitat von Rachel Carson, das Dieter Steiner seiner Biografie über die Meeresbiologin vorangestellt hat, könnte nicht aktueller sein. Doch sind die Worte bereits mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Rachel Carson hatte mit ihrer Buch-Trilogie über das Leben im Meer bereits drei Bestseller geschrieben. Nun sorgte sie sich zunehmend um die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen der flächendeckenden Besprühung mit Insektiziden.
    DDT erschien als Wundermittel
    Dieter Steiner: "Damals nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte so etwas wie eine Aufbruchsstimmung. Man hatte das DDT gefunden, das dann eingesetzt erfolgreich in Neapel nach der Landung der Alliierten in Süditalien, um eine Typhus-Epidemie zu bekämpfen. Oder dann noch im Pazifik, solange der Krieg noch gegen Japan im Gange war, damit die Soldaten nicht an Malaria erkrankten, auch erfolgreich. Und dachte dann: Jetzt haben wir das Wundermittel. Das kann man jetzt für alles brauchen, wo man mit Insektenschäden zu tun hat."
    Dieter Steiner war bis zu seiner Emeritierung Professor für Quantitative Geographie und Humanökologie am Geographischen Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. 2011 erschien sein Buch "Die Universität der Wildnis" über den amerikanischen Naturschützer John Muir. Danach lag es für ihn nahe, endlich eine deutschsprachige Biografie über Rachel Carson zu schreiben, die mitten im Kalten Krieg ihre Stimme gegen den vermeintlichen Fortschritt erhob.
    Steiner: "Da gab es schon eine Kontroverse mit Leserbriefen von Leuten, die sich beschwerten über eine Kampagne mit DDT gegen die Moskitos, von der Luft aus versprüht auch. Und diese Frau Hawkins hatte mit ihrem Mann zusammen an der Atlantikküste privat so eine Art Vogelschutzreservat. Da fand eine solche Befliegung statt mit DDT. Und sie hat dann einen Brief geschrieben an die Zeitung, und beschrieben wie sie dann die toten Vögel zusammen gelesen hat. Und hat dann auch einen Brief an die Rachel Carson geschrieben. Und das war dann der endgültige Auslöser, dass sie sich gesagt hat, ich muss mich ernsthaft mit diesem Problem beschäftigen."
    "Der stumme Frühling" schlug ein wie eine Bombe
    Das Resultat ihrer Recherchen, das Buch "Silent Spring" ("Der stumme Frühling"), erschien 1962 – und schlug in den USA ein wie eine Bombe. Eine hitzige Debatte entbrannte über das Für und Wider von DDT. Präsident John F. Kennedy verkündete, mit Verweis auf Carsons Buch, er werde eine Untersuchungskommission einberufen. Die chemische Industrie setzte derweil alles daran, Rachel Carsons Fachkompetenz zu diskreditieren.
    Dieter Steiner, der zu der Zeit als junger, aufstrebender Dozent an der Universität von Chicago tätig war, bekam von der ganzen Aufregung nichts mit, gesteht er. Das Gefühl, für seine Unaufmerksamkeit eine Schuld abtragen zu müssen, sei eine wichtige Motivation für sein Buch gewesen. Rachel Carson, schreibt er darin, hätte ein ökologisches Bewusstsein entwickelt, als die Ökologie noch kein anerkanntes wissenschaftliches Fach gewesen sei. Hinzu käme ihre literarische Begabung.
    Steiner: "Sie war natürlich schon bekannt durch die Meeresbücher, das waren alles Bestseller. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, denke ich, hätte ein Buch wie 'Silent Spring' nicht eine so große Aufmerksamkeit erregt. Aber weil sie die Fähigkeit hatte, etwas, ich sage mal, in poetischer Weise zu beschreiben, eben auf eine Weise zu beschreiben, die dann verständlich war für normale Leute, das hat sicher eine Rolle gespielt."
    Angestellte der Fischereibehörde
    Rachel Carson, die 1907 in Springdale, Pennsylvania, geboren wurde, wollte ursprünglich Schriftstellerin werden und studierte englische Literatur. Doch dann entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Biologie - in den 1920er-Jahren ein Studium in einem für Frauen schwierigen Feld. Im Anschluss fand sie eine Anstellung bei der Fischereibehörde als Redakteurin für Informationsbroschüren. Um ihr Gehalt aufzubessern, schrieb sie nebenbei Fachartikel für Zeitschriften.
    Buchzitat: "Ich dachte, ich hätte die Schriftstellerei für immer aufgegeben, sagte sie später. Es kam mir nicht in den Sinn, dass ich mit der Wissenschaft etwas bekam, über das ich schreiben konnte."
    Steiner: "Und sie hat deshalb dann auch, weil sie gegen ein Establishment, wenn man so sagen will, angetreten ist, natürlich ziemlich aufs Dach bekommen. Und es ist absolut erstaunlich, eigentlich unglaublich, dass sie das fertig gebracht hat, weil sie ständig auch noch krank war. Das ist an sich eine unglaubliche Geschichte, wie sie sich da durch gebissen hat."
    Das Verbot von DDT in den USA und in Europa – das maßgeblich auf ihr Buch "Silent Spring" zurückging - erlebte Rachel Carson nicht mehr.
    Steiner hält mit seiner Meinung nicht zurück
    In seiner Biografie greift Dieter Steiner vor allem auf die Literatur zurück, die seither in den USA über Rachel Carson erschienen ist. Manche statistischen Angaben wirken daher nicht mehr auf der Höhe der Zeit. In einem 16 Seiten langen Epilog gibt Dieter Steiner aber eine Übersicht über die Entwicklung bis heute. Dabei hält der Autor nicht mit seiner Meinung zurück. "Wir lenken", schreibt er, "etwas boshaft formuliert, die Vergiftung der Umwelt in geordnete Bahnen!"
    Sein persönlicher Zugang zum Thema ist jedoch nicht hinderlich, er lässt ihn vielmehr die Essenz wiedergeben: Rachel Carsons ganzheitliche philosophisch-ethische Betrachtungsweise des Lebens und der Natur.
    Steiner: "Und ich würde fast sagen, das Wichtigste ist das, was sie in einem Artikel, den sie mal geschrieben hat über 'How to Help Your Child to Wonder': den Kindern die Gelegenheit von Naturerlebnissen zu geben. Und irgendwie beizubringen, wir haben da ein großes Wunder, das uns umgibt. Wenn wir denken, wie die heutigen Generationen aufwachsen, mit den ganzen elektronischen Geräten, ist das vielleicht die wichtigste Frage und das wichtigste Erbe von Rachel Carson."
    Dieter Steiner: "Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie"
    Oekom Verlag, 360 Seiten, 19,95 Euro