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Biografie über Tito
Ein Mensch der großen Leidenschaften

Er war Lebemann und Genießer, Stalins Oppositioneller, aber auch ein gnadenloser Diktator, der seine politischen Gegner verfolgte: Josip Brosz Tito. Bis heute ist die Person des kommunistischen Politikers umstritten. In seinem Buch "Tito. Die Biografie" beschäftigt sich der Historiker Joze Pirjevec mit seiner Lebensgeschichte und der Geschichte Jugoslawiens.

Von Gerwald Herter | 26.09.2016
    Lebemann und Genießer: Der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito mit seiner Frau Jovanka in ihrem Haus auf der Insel Vanga 1956.
    Lebemann und Genießer: Der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito mit seiner Frau Jovanka in ihrem Haus auf der Insel Vanga 1956. ( imago/United Archives International)
    Dass Josip Brosz Tito fast 88 Jahre alt wurde, gleicht einem Wunder. Zuvor hätte er viele Tode sterben können. Tito war in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte im Erster Weltkrieg gekämpft, er war in russische Gefangenschaft geraten, hatte sich dort durch die Wirren der Revolution geschlagen. Im jugoslawischen Königreich agierte er im Untergrund, in Moskau konnte der Kroate den stalinistischen Säuberungen nur mit viel Glück entgehen. Tito war im spanischen Bürgerkrieg im Einsatz, führte die kommunistischen Partisanen im besetzten Jugoslawien an.
    Pirjevecs Buch ist nicht nur eine Biografie
    Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brach er mit Stalin und konnte die jugoslawische Föderation bis zu seinem Tod zusammenhalten – etwa ein Jahrzehnt später fiel das Staatengebilde auseinander. Der slowenische Historiker Joze Pirjevec hat so viele Fakten gesammelt, dass seine Biografie auch eine lesenswerte Geschichte Jugoslawiens ist. Auf sein Urteil über den "Genossen Tito" muss man jedoch lange warten. Ganz am Schluss des Buchs, kurz vor den Fußnoten wagt er es - wenn auch sehr vorsichtig:
    "Ungerecht wäre es natürlich, seine Geschichte mit der Feststellung zu schließen, dass Josip Brosz – trotz seiner 35-jährigen Diktatur - ein Tyrann gewesen sei, wie es Stalin einer war. Im Gegenteil, gerade weil er sich dessen Tyrannei widersetzt und in Jugoslawien den Selbsverwaltungssozialismus mit mehr oder weniger menschlichem Antlitz geschaffen hat, blieb er zahlreichen Zeitgenossen als Staatsmann im Gedächtnis, dem man Dankbarkeit schulde".
    Das allein würde Titos Opfern und Tito selbst kaum gerecht und mit der wissenschaftlichen Präzision, die das ganze Buch prägt, ergänzt der slowenische Historiker dann auch ein paar Zeilen später:
    "Andererseits lassen sich aber auch weder die anfänglichen Grausamkeiten des Tito-Regimes (Nachkriegsmassaker, Goli Otok), noch sein letztliches Scheitern übersehen, denn ohne seine kohäsive Kraft war Jugoslawien in dieser Form weder am Leben zu erhalten noch ließ sich das Selbstverwaltungsexperiment in eine moderne und pluralistische Demokratie transformieren."
    Das Phänomen der "Jugonostalgie"
    Dass sich Jugoslawien 1980 "in dieser Form" befand, auch dafür war Tito verantwortlich oder besser gesagt, er war daran schuld. Diese Erkenntnis beginnt sich in den meisten früheren jugoslawischen Republiken erst langsam zu entwickeln. Selbst das hat mit den Nachwirkungen einer Diktatur zu tun, die am Ende zwar gewisse Freiheiten bot, aber längst keine Demokratie war. Restbestände der Zensur gab es weiterhin, die Geheimdienste waren mächtig und die Propaganda blieb wirkungsvoll. Viele Mythen werden jetzt sogar neu belebt. Das Phänomen der "Jugonostalgie" ist dafür ein Zeichen. Die Sehnsucht nach den angeblich so "guten alten Zeiten" wächst, weil die Gegenwart in vielen früheren jugoslawischen Republiken von Unsicherheiten und Beschwerlichkeiten geprägt ist, die es früher der Legende nach nicht gab. Dass der Aufstieg Jugoslawiens, die Industrialisierung, der steigende Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten "auf Pump" erfolgte, auch das schreibt Pirjevec. Und die dunkelsten Seiten dieser Diktatur breitet er so umfangreich aus, wie das nach derzeitigem Quellenstand geht. Nach dem Bruch mit Stalin ließ die jugoslawische Führung ein Internierungslager auf der Adria-Insel Goli Otok errichten, um Partei und Staat von "Karrieristen", "Wankelmütigen" und "feindlichen Elementen" zu säubern.
    Ein menschenunwürdes Regime
    "Das Regime auf Goli Otok war extrem roh und grausam, denn es strebte nach der Vernichtung der Menschenwürde, was die Machthaber mit der Behauptung begründeten, dass man die Gefangenen umerziehen müsse. Das versuchte man zu erreichen mit mangelhafter Versorgung mit Nahrung und Wasser, mit Schwerstarbeit, die keinen richtigen Sinn hatte – Brechen und Transportieren von Stein -, und aller möglichen physischen und psychischen Gewalt".
    Obwohl die jugoslawischen Kommunisten von Moskau abrückten, kopierten sie dennoch Stalins Methoden.
    "Nach russischem Vorbild mussten die Sträflinge bei der Ankunft ein Spalier älterer Gefangener passieren, die sie mit Stöcken, Steinen oder einfach mit nackten Fäusten blutig prügelten. Und das war nur ein Vorgeschmack".
    Weniger ausführlich beschreibt Pirjevec in seiner Tito-Biografie die Nachkriegsmassaker. Dabei wurden nicht nur deutsche Soldaten, sondern auch Angehörige verfeindeter Widerstandsgruppen, Royalisten, sogenannte Kollaborateure und unschuldige Zivilisten ermordet, etwa Deutsche, die auf jugoslawischem Gebiet gelebt hatten.
    Große Männer machen große Geschichten
    "Große Männer machen große Geschichte" oder irgendwann eben auch nicht mehr. Pirjevec folgt dieser klassischen historischen Methode sehr konsequent. Das hat Vor- und Nachteile, vieles wirkt zwangsläufig, alternativlos. Dass Tito auch Spielräume hatte, kommt oft etwas zu kurz. Pirjevec hat sein Werk chronologisch aufgebaut. Er durchbricht dieses Muster nur an wenigen Stellen, etwa im Exkurs über "Tito und die Frauen":
    "Tito war ein Mensch von großen Leidenschaften, in seinen persönlichen Wünschen und seinem Hunger auf alles, beim Essen und Trinken, in Liebe und Feindschaft."
    Der slowenische Historiker brandmarkt in vielen Abschnitten die Prunksucht des "Genossen Tito" und seiner kommunistischen Mitstreiter, die eigentümliche Affinität des jugoslawischen Staatspräsidenten zu Uniformen gehörte dazu und zeigte sich schon, als er noch Partisanenführer war. Tito starb im Mai 1980 einsamer, als die pompöse Beerdigungsfeier es vermuten ließ. Ihm war offenbar klar, dass Jugoslawien zum Scheitern verurteilt war. Pirjevec hat viele Quellen ausgewertet, die anderen Tito-Biografen noch verschlossen geblieben waren: Komintern-Akten etwa oder Einschätzungen der CIA. Gewichtige Dokumente der jugoslawischen Geheimdienste gehören nicht dazu. Diese Biographie wird kaum das letzte Buch über Tito sein, sie bietet viele Ansatzpunkte für weitere Forschungen. Junge Historiker versuchen derzeit in Belgrad eine Gedenkstätte für die Opfer Titos zu errichten. Die deutsche Justiz hat gerade erst damit begonnen, sich mit den Verbrechen des jugoslawischen Geheimdienstes in Deutschland zu befassen.