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Biologie
Die Titanwurz blüht in Kiel

Sie stinkt bestialisch - wie ein toter Elefant. Dennoch kommen Pflanzenfans aus nah und fern, um sie einmal zu sehen: Die Titanwurz gehört zu den außergewöhnlichsten Pflanzen der Welt. Anders als andere Pflanzen blüht sie nicht jedes Jahr. Nun war es im Botanischen Garten Kiel wieder einmal soweit.

Von Dietrich Mohaupt | 22.04.2014
    Blick auf eine Titanwurzpflanze (Amorphophallus titanum)
    Sensation in Kiel: DieTitanwurz blüht. (picture alliance / dpa - Christian Charisius)
    Es war ein beeindruckender Anblick – die Titanwurz in ihrer ganzen Pracht: Das große, tiefrote Deckblatt der Blüte voll entfaltet, der Fruchtstand, der sogenannte Spadix, ragte als dicker, leuchtend gelber Kolben etwa eineinhalb Meter hoch in die Luft. Und die Titanwurz kann noch mehr als einfach nur beeindruckend aussehen, betont der Leiter des Botanischen Gartens Kiel, Martin Nickol:
    "Sie sendet nämlich in Wellen übelsten Duft nach Aas, nach Kot aus – Fliegen umschwirren sie, es ragt der Spadix ganz hoch heraus, der erhitzt sich und reißt dann im Regenwald mit einer thermischen Säule tatsächlich diese Duftstoffe auch so weit mit, dass entfernte Bestäuber – also in fünf, acht, zehn Kilometer Entfernung – wahrnehmen: Oh – da tut sich was, da ist offenbar ein Elefant gestorben vor Tagen schon und duftet jetzt so vor sich hin, sodass die Bestäubung dieser Pflanze in Sumatra sichergestellt ist."
    15 Jahre lang ist die Knolle der Kieler Titanwurz herangewachsen, hat dann schon 2012 einmal geblüht – und jetzt, nach nur zwei Vegetationsperioden, wieder. Schon das eine Besonderheit – und diesmal kommt noch dazu: Sie ist am frühen Morgen aufgeblüht, zum ersten Mal konnten Wissenschaftler dieses Verhalten beobachten – normalerweise blüht die Titanwurz in der Dämmerung. Deshalb sind ständig mehrere Kameras auf die Blüte gerichtet, diverse Sensoren sind am Fruchtstand befestigt – die Biologen wollen so den Geheimnissen der Titanwurz auf die Spur kommen, erläutert Reviergärtner Dieter Maaßen.
    "Es gibt sehr, sehr wenige Erkenntnisse über die Blüte, weil es nur – ja, ich glaube, es gab noch keine fünfzig blühenden Pflanzen in Deutschland. Und die sind im Moment am messen – einmal vom Geruch und einmal von der Temperatur her, die haben Wärmebildaufnahmen gemacht und festgestellt, dass die Temperatur sich bis nahezu 40 Grad aufheizt. Woher das kommt und wie die Pflanze das macht – das weiß man nicht und das versucht man dann rauszukriegen."
    Aber nicht nur die Biologen des Botanischen Gartens Kiel interessieren sich brennend für Details rund um die Titanwurz – Gärtner Dieter Maaßen und seine Kollegen sind eigentlich ständig umlagert von neugierigen Besuchern, die zum Beispiel ganz genau wissen wollen, warum die riesige Blume sich nicht selbst bestäubt.
    "Diese Pflanze verhindert das, weil sie vorweiblich ist – das heißt: Die Nabe ist nur am ersten Tag reif und kann Pollen aufnehmen, während der Pollen am zweiten Tag die Pflanze nicht mehr bestäuben kann. Also ist unbedingt ein fremder Blütenstaub notwendig, den die Aasfliege mitbringt und durch den Geruch eben angelockt wird."
    Ein Blick hinter die Kulissen von Wissenschaft und Forschung – spektakuläre Ereignisse wie die Titanwurzblüte sind natürlich ein Highlight, das täglich hunderte Besucher über die Ostertage angelockt hat. Aber der Botanische Garten erfüllt auch im Alltag einen ganz wichtigen Bildungsauftrag, betont Martin Nickol.
    "Oft hören wir hier im Garten: Och, das habe ich auch – also so ähnlich jedenfalls. Und man weiß dann: Also diese Pflanze ist so selten, die ist garantiert nicht irgendwo im Zierpflanzenhandel, aber "so ähnlich" ist ja auch schon mal ein Anfang. Was wir hier im Botanischen Garten haben sind vor allem Pflanzenarten und von denen sind natürlich auch viele Vorgängerpflanzen, Ausgangspflanzen für Züchtungen, aus denen dann Zierpflanzen hervorgegangen sind."
    Ein Tor für Jedermann, ein Zugang zu einer fantastischen Pflanzenwelt soll der Botanische Garten also auch sein. Und natürlich ist er Basis zum Beispiel für das Biologiestudium an der Kieler Christian-Albrecht- Universität, deren Geschichte er seit der Uni-Gründung 1665 begleitet. Für Martin Nickol ist der Garten unverzichtbar.
    "Alles was ich für Kurse, für Vorlesungen brauche, was ich an Pflanzenmaterial brauche, um daran Experimente zu machen, neue Dinge herauszufinden – das ist so der Kern dessen, was wir hier so bevorraten. Es istein wichtiger Aspekt der Arterhaltung – fast jede fünfte Pflanzenart dieses Planeten ist bedroht, da haben wir viele in Kultur, die wir durch Pflegemaßnahmen erhalten."
    Wie eben zum Beispiel auch "Amorphophallus titanum", die Titanwurz - die in ihren heimatlichen Regenwäldern auf Sumatra immer mehr Lebensraum verliert. Inzwischen ist ihre Blütezeit schon wieder vorbei – der große Blütenkolben ist eingeknickt, das Deckblatt hat sich wieder geschlossen. Im Laufe der nächsten Wochen wird die Pflanze vollständig vertrocknen, dann wird nur noch die Knolle übrig bleiben.