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Biologie
Ein Sinn für Wale

Um Wale zu finden, suchen Biologen die Meeresoberfläche mit Ferngläsern nach dem sogenannten Walblas ab, der hohen Atemfontäne des Wals. Das kann viele Stunden dauern. Ein neues System soll die Tiere schneller aufspüren - dabei kommt militärische Spürtechnik zum Einsatz.

Von Piotr Heller | 11.12.2013
    Ein Rammhammer schlägt Pfähle in den Meeresboden, auf denen eine Windkraftanlage entstehen soll. Pro Windrad sind mehrere Tausend dieser Schläge nötig. Solcher Unterwasserlärm kann den Meeresbewohnern schaden. Um sie zu schützen, müssen die Baufirmen die Arbeiten einstellen, wenn zum Beispiel ein Wal in die Nähe kommt. Doch den muss man erst mal finden. Keine leichte Aufgabe, weiß Olaf Böbel vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung:
    "Ich selber war jetzt fast zwei Jahre wirklich auf See, dabei habe ich natürlich nicht nur zwei Jahre aufs Wasser geguckt, doch schon viele Stunden damit zugebracht. Das Frustrierende ist, dass man ständig Angst hat, dass man ihn übersieht. Das ist dann doch für jemanden, der aus der Physik kommt, eine Motivation zu versuchen, eine technische Lösung zu finden, um sicher zu sein, dass wen ich in die eine Richtung gucke, nicht 100 Meter hinter mit etwas passiert und ich das nicht mitbekomme."
    Also machte sich Olaf Böbel mit einem Team daran, eine Art sechsten Sinn für Wale zu entwickeln, eine Walerkennungsmaschine. Dazu nutzten Sie eine Infrarotwärmebildkamera der Rüstungsfirma Rheinmetall Defence Electronics. Eigentlich wurde sie entwickelt, um militärische Anlagen gegen Angriffe zu sichern, Camps in Afghanistan etwa. Olaf Böbel hat sie im Krähennest des Forschungsschiffes "Polarstern" eingebaut.
    "Die Kamera nimmt im Grunde das Wärmebild der Umgebung auf. Man muss sich das vorstellen, wie eine normale Rundumpanoramaaufnahme. Nur, dass sie eben nicht die Farben zeigt, sondern die Wärme der Umgebung. Warme Objekte sind hell, kalte Objekte sind schwarz. Was man auf dem Bild letztendlich sieht, ist die Sicht aus dem Krähennest von ungefähr 110 Metern vom Schiff bis zum Horizont."
    Also die komplette Umgebung des Schiffes. Taucht dort ein Wal zum Atmen auf, erscheint sein körperwarmer Blas als weißer Fleck auf dem Wärmebild.
    "In einem kalten Hintergrund, nämlich dem kalten Ozean, entsteht eine warme thermische Anomalie, die sich dann räumlich verteilt. Das ist das Verwehen des Blases mit dem Wind. Das Ganze dauert etwa drei Sekunden und ist eine sehr typische Signatur."
    So typisch, dass Olaf Böbel und sein Team einem Computersystem beibringen konnten, das Ausatmen der Wale automatisch zu erkennen. Um den Computer dafür zu trainieren, brauchten sie zunächst viele verschiedene Infrarotaufnahmen von Atemfontänen. Sie sammelten solche Aufnahmen, indem sie die Infrarotkamera bei ihren Expeditionen mitlaufen ließen und gleichzeitig selbst nach Walen Ausschau hielten: nach Buckelwalen, Zwergwalen oder Blauwalen.
    "Damit wussten wir: Wo sind wann Wale gewesen. Und damit haben wir anschließend unsere Infrarotdaten durchsucht, ob wir dieses Tier in den Infrarotdaten auch finden konnten, und haben diese Schnipsel ausgeschnitten. Gleichzeitig haben wir auch Schnipsel ausgeschnitten, in denen kein Wal drin war, sondern ein Vogel oder Ähnliches, und die haben wir dann dem lernenden Algorithmus dargeboten."
    Das System lernte mit diesen Videoschnipseln, einen Walblas zu erkennen. Aktuelle Expeditionen haben gezeigt, dass es gut zweieinhalb Mal mehr Wale findet als menschliche Beobachter. Es soll den Menschen aber nicht ersetzen, sondern unterstützen. Etwa, indem es auf einer Art Walradar zeigt, wohin er schauen soll. Doch vielleicht ist das System zu gut. Was, wenn Walfänger Gefallen daran finden?
    "Walfang ist schon etwas ziemlich Widerliches. Und ein Teil des Lizenzvertrages, den wir mit der Firma geschlossen haben, die das System vermarkten soll, ist, dass da zwei Absätze drinstehen, die einen Vertrieb an Firmen, die mit Walfang zu tun haben, verbieten."
    Gerade ist die Infrarotkamera samt Computersystem wieder auf der "Polarstern" in der Antarktis unterwegs. In einem neuen Experiment wird sie mit einer normalen Kamera gekoppelt, die ein echtes Foto von jedem gesichteten Wal schießt. Die Forscher wollen, damit etwa die Blauwalpopulation ermittelt. So soll das System Wale nicht nur schützen, sondern auch bei ihrer Erforschung helfen.