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Biologie
Libellen fliegen nach einem inneren Modell

Libellen beherrschen eine Technik, die man bisher nur Menschen und anderen Wirbeltieren zugetraut hat: Sie ahnen, wohin ihre Beute flüchtet, und richten ihre Flugmanöver danach aus. Dafür besitzen sie ein internes Modell ihrer selbst und kalkulieren mit ein, wie sich die eigenen Bewegungen auswirken werden. Bisher führte man ihre hervorragenden Jagdkünste nur auf Reaktionsschnelligkeit zurück.

Von Katrin Zöfel | 11.12.2014
    Eine mit winzigen Reflektoren ausgestattete Libelle.
    Die Forscher haben ihre Test-Libelle mit winzigen Reflektoren zur Bewegungsverfolgung ausgestattet (Igor Siwanowicz / Leonardo Lab / HHMI / Janelia Research Campus)
    Kaum hat die Libelle ihre Beute entdeckt, fliegt sie los. Zielstrebig steuert sie auf ihr Ziel zu, und zwar wenn es geht etwas von unten, sodass ihr Opfer keine Chance hat, den Räuber rechtzeitig zu entdecken.
    "Auf einem halben Meter schlägt die Libelle dabei etwa 15-mal mit ihren Flügeln. Bei jedem Flügelschlag kann sie neu entscheiden, in welche Richtung sie weiterfliegt, und kann Fehler korrigieren."
    Anthony Leonardo vom Forschungscampus Janelia Farm in Ashburn, Virginia. Die meisten seiner Kollegen auf dem Campus arbeiten mit Fruchtfliegen oder Mäusen. Leonardo ist die Ausnahme. Und das hat seinen Grund:
    "Wenn wir Menschen mitten im Lauf einen Ball fangen oder beim Autofahren die Spur wechseln, tun wir genau das Gleiche: Wir passen unsere Bewegungen immer wieder an."
    Ausgefeilte Techniken zur Bewegung im Raum
    Über den Menschen und andere Wirbeltiere weiß man, dass sie dabei mit internen Modellen arbeiten, um vorauszuberechnen, wie sich Umwelt und sie selbst im nächsten Moment zueinander verhalten werden.
    "Unseren eigenen Körper sauber zu kontrollieren ist erstaunlich schwierig, die Techniken, die unser Gehirn dafür entwickelt hat, sind ziemlich ausgefeilt. Wir wollten wissen, wie Insekten das Problem lösen."
    Dafür aber musste der Forscher jede einzelne Flugbewegung genau aufzeichnen und auswerten. Und das ist bei einer fünf Zentimeter langen Libelle natürlich einfacher als bei einer winzigen Fruchtfliege. Die Forscher filmten die Libellen mit mehreren Kameras aus verschiedenen Perspektiven und errechneten daraus die genauen Koordinaten der Flugmanöver. Das Ergebnis war erstaunlich:
    "Die Libelle fliegt nicht geradeaus, sondern macht sehr viele Kurven, um herauszufinden, welche Position perfekt ist, um die Beute am Ende zu fangen. Und daraus ergibt sich ein Problem: Es wird schwieriger für sie, die Beute im Auge zu behalten, denn um sie herum dreht sich ja alles."
    Die Lösung: Die Libelle bewegt Kopf und Körper völlig unabhängig voneinander, sodass ihr Blickfeld praktisch stabil bleibt und die Beute im Visier.
    Die Libelle arbeitet mit internen Modellen
    All diese Bewegungen sind zwar ausgefeilt, aber man könnte sie immer noch mit einem sehr guten Reaktionsvermögen erklären. Doch Anthony Leonardo fand noch etwas heraus: Die Libelle kann erahnen, wie eine Bewegung ihres Körpers ihre Perspektive auf die Beute verändern wird, und passt die Haltung ihres Kopfes schon im Voraus so an, dass sie die Beute nach der Kurve wieder perfekt im Visier hat. Und das geht nur, wenn auch die Libelle mit internen Modellen arbeitet, genau wie der Mensch, sagt Stacey Combes von der Universität Harvard. Das Insekt steht dem Menschen in diesem Fall also in nichts nach.
    "Die Studie macht klar, wie die Libellen es geschafft haben, so gute Flugkünstler und Jäger zu werden. Sie zeigt, dass diese Tiere eine innere Vorstellung von sich selbst und ihrer Umwelt haben müssen, die ihnen hilft, sich in der Welt zurechtzufinden."
    Für Forscher wie Anthony Leonardo bedeutet das, dass Insekten auch für solche Fragen als Versuchstiere taugen. Selbst der viel kleineren Fruchtfliege traut er genau die gleichen Fähigkeiten zu:
    "Fruchtfliegen sind genauso komplex gebaut wie Libellen. Es braucht also nur jemanden, der genau genug hinschaut."