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Bionischer Schattenspender
Fleischfressende Wasserpflanze als Vorbild für Jalousien

Rollläden, Markisen, Jalousien – sie alle funktionieren irgendwie mit Gelenken und Scharnieren. Doch die können quietschen, sind störanfällig und müssen gewartet werden. Forscher aus Stuttgart haben nun einen Schattenspender entworfen, der dem Prinzip einer fleischfressenden Wasserpflanze nachempfunden ist.

Von Frank Grotelüschen | 09.03.2016
    Blick nach draußen durch eine Jalousie am Fenster.
    In der Natur lassen sich effiziente Quietsch-Vermeidungsstrategien für Jalousien, Rolläden und Markisen finden. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    "Das Problem kennt jeder von der Tür: Das Scharnier klemmt, quietscht, muss geölt werden. Und das möchte man vermeiden."
    Wo lässt sich eine effiziente Quietsch-Vermeidungsstrategie finden? Ganz einfach: In der Natur, meint Thomas Speck, Direktor des Botanischen Gartens in Freiburg. Etwa ein Schmetterlingsflügel, der lautlos auf- und zuklappt. Oder ein Blatt, das sich entfaltet, ohne einen Ton von sich zu geben.
    "Die haben elastische Deformationsprinzipien, die gelenklos sind im Gegensatz zu dem, was wir heutzutage in der Technik verwenden", sagt Larissa Born, Ingenieurin an der Uni Stuttgart. Rollläden, Markisen, Jalousien – sie alle funktionieren irgendwie mit Gelenken und Scharnieren. Und die sind zuweilen störungsanfällig und müssen gewartet werden.
    Bauprinzipien aus der Natur auf die Architektur übertragen
    Ein Dorn im Auge mancher Architekten und Bauingenieure. Also fragten sie einfach mal nach bei Speck und Born. Die nämlich machen bei einem Sonderforschungsbereich mit, bei dem Biologen und Ingenieure gemeinsam versuchen, Bauprinzipien aus der Natur auf die Architektur zu übertragen.
    "Könnt ihr uns helfen, elastische Architektur zu machen? Könnt ihr uns helfen, Scharniere zu vermeiden?"
    Doch welche Organismen könnten dafür als Vorbild in Frage kommen? Der Botaniker Speck wurde bei Aldrovanda vesiculosa fündig, der Wasserfalle:
    "Die ist ähnlich wie die Venusfliegenfalle, nur unter Wasser. Auch eine Klappfalle. Die fängt kleine Krustazeen, indem sich ein Stab am Rückgrat verkrümmt. Damit geht diese Falle auf oder zu – sehr schnell, ohne Scharniere, ohne Gelenke."
    Dann schauten sich die Forscher den Prozess im Detail an – und übertrugen die Grundprinzipien auf ein technisches Material:
    "Wir arbeiten hauptsächlich mit Faserverbundwerkstoffen. Die sind von der inneren Struktur so aufgebaut wie Pflanzen. Die haben auch Fasern, die von einer Matrix umhüllt werden."
    Prototyp muss noch einige Härtetests bestehen
    Ein Beispiel: die glasfaserverstärkten Kunststoffe. Glasfasern im Inneren machen den Kunststoff fester und stabiler. Larissa Born und ihr Team verlegen die Glasfasern so, dass der Kunststoff nur an manchen Stellen stabil ist, an anderen dagegen nicht:
    "Dann kriegen wir weichere und steifere Zonen im Bauteil und können dadurch Faltmechanismen umsetzen, ohne Scharniere oder Gelenke zu verwenden."
    Es folgten Versuchsserien an Prototypen, schließlich war ein Demonstrator fertig – ein weißes Viereck, das sich wie von Geisterhand entlang seiner Diagonalen zusammen- und wieder auffaltet. Gesteuert wird das Ganze per Luftdruck, durch ein Luftkissen:
    "Wie ein kleiner Luftballon, der sich an der entsprechenden Stelle aufbläst, mit ganz wenig Kräften. Und da die Kräfte gering sind, sind auch die Belastungen geringer, was die Haltbarkeit heraufsetzt."
    Die Vision: Bürogebäude, bestückt mit Hunderten von diesen Elementen. Auf Knopfdruck sollen sie sich elegant entfalten und das Gebäudeinnere in Schatten hüllen. Doch zuvor muss Flectofold, so heißt das Patent, noch einige Tests bestehen – regelrechte Härtetests:
    "Temperatur und Licht – welche Einflüsse haben die auf das Material und auf den Bewegungsablauf? Es könnte ja sein, dass Minusgrade den Flectofold einfrieren, und er dann nicht mehr beweglich wäre. So was alles müssen wir noch abprüfen."
    Bionischer Schattenspender soll sich flexibel anpassen lassen
    Ebenso wie das Verhalten bei Wind und Sturm, sagt Larissa Born. Manche Architekten jedenfalls zeigen sich schon interessiert, sagt Thomas Speck:
    "Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Jahren ein bis zwei größere Gebäude mit Flectofold gebaut werden. Alle Kenndaten sprechen dafür, das Interesse der Architektur ist riesig."
    Der Grund: Auch an die ungewöhnlichste Bauform sollten sich die bionischen Schattenspender flexibel anpassen lassen.