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Bioökonomie
Manipulierte Natur

Bakterien, die Inhaltsstoffe für Kleber und Dichtungsmasse produzieren, Gentech-Lachs und selbst düngende Pflanzen: Forscher, Konzerne und Kapitalgeber widmen sich der Nutzbarmachung der Natur durch biologische Verfahren. Autorin Christiane Grefe analysiert in ihrem Buch "Global Gardening. Bioökonomie- Neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft", was naturwissenschaftlich bereits alles möglich ist.

Von Caspar Dohmen | 20.06.2016
    Ein Wissenschaftler in einem Treibhaus lässt eine Flüssigkeit aus einer Pipette auf eine Pflanze tropfen
    "Big Data ermöglicht eine immer genauere Inventur der Natur - und erleichtert damit auch ihre Manipulation", schreibt Grefe. (imago / Westend61)
    Der zusammengesetzte Begriff Bioökonomie macht deutlich, hier geht es um das Zusammenspiel von zwei wesentlichen Aspekten: einerseits der Biologie, also der Wissenschaft des Lebendigen, und andererseits der Ökonomie, also der Wissenschaft der Effizienz. Ziel der Bioökonomie ist folglich die effiziente Nutzung der biologischen Ressourcen von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen.
    Prinzipiell ist das nichts Neues, sondern findet auf jedem Bauernhof statt. Aber im 21. Jahrhundert eröffnen sich neue Möglichkeiten aufgrund von Fortschritten der Biologie und Technologie sowie wirtschaftlicher Notwendigkeiten. Denn die Herausforderung für die Menschheit ist klar: Mehr Menschen müssen ernährt werden mit einem geringeren Ressourcenverbrauch, nur so bleiben beispielsweise die Folgen der Klimaerwärmung beherrschbar.
    Wer über Bioökonomie redet, kann dabei durchaus ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Zwei Lager stehen sich grob gesagt gegenüber. Da gibt es diejenigen, die auf Produkte aus diversen biotechnologischen Verfahren setzen, einschließlich der klassischen Gentechnologie, – sie hoffen vor allem auf Wachstum. Und es gibt das Lager derjenigen, die natürliche Ressourcen so nutzen wollen, dass sie erhalten bleiben.
    "Bei der Bioökonomie geht es wie bei der Energie- und Agrarwende und eng mit ihnen verbunden um einen Strukturwandel und damit einen Machtkampf zwischen alten und neuen Industrien, Technik-Dominanz und gesellschaftliche Erneuerung, Dezentralität und globalen Einheitslösungen. So lautet die entscheidende Frage: Wer hat wie viel Macht und Einfluss, darüber zu bestimmen? Und da gibt es bei der Bioökonomie noch eine Menge Leerstellen. (…) Die Leerstellen zu füllen und mehr Biowirtschaftsdemokratie zu wagen, ist die zentrale Herausforderung. Wenn das nicht gelingt, wird auch die Transformation nicht gelingen, die Klima- und Ressourcenschutz vereint."
    Schreibt die Journalistin Christiane Grefe zu Anfang ihres Buches "Global Gardening" und macht damit klar, worum es ihr geht: Menschen aufklären und befähigen, dem gesellschaftlichen Diskurs folgen zu können, bei der zentralen Frage der ökonomischen Nutzung des Lebendigen durch neue Verfahren. Nur wer sich auskennt, kann sich bei Bedarf auch begründet in den Diskurs einschalten. Grandios leicht vermittelt die Autorin dem Leser dabei das notwendige biologische Basiswissen. Sie füllt die Leerstellen, welche viele Bürger haben dürften, bei dem, was bereits naturwissenschaftlich möglich ist. Grefe schreibt:
    "Die Wissenschaftler basteln sich Nukleasen, die DNA wie Scheren an bestimmten Stellen zerschneiden können. Neue Eigenschaften einzufügen oder zu verändern, die dann weitervererbt werden: Das ist nun innerhalb der gleichen Gattung ebenso möglich wie über Artgrenzen hinweg. Wissenschaftler können das Genom heute so detailgenau bearbeiten wie ‚einen Text in einen Schreibprogramm – Buchstabe für Buchstabe. (…) Während die kreativen Möglichkeiten früher auf die Funktionen 'Ausschneiden' und 'Einfügen' begrenzt waren, kann man heute auch Sätze streichen und ganz neu formulieren."
    Erster Gentech-Lachs in Amerika bereits zugelassen
    Forscher wollen auf diese Weise beispielsweise Pflanzen lehren, Stickstoff aus der Luft zu fixieren und sich selbst zu düngen. Der erste Gentech-Lachs ist in Amerika als Lebensmittel bereits zugelassen und wächst in abgeschlossenen Tanks heran. Forscher produzieren in Labors auch bereits Bakterien, die Inhaltsstoffe für Kleber und Dichtungsmasse produzieren. Grefe gibt spannende Einblicke in die Geschehnisse und Pläne. Während sich die EU noch darüber streitet, ob sie das Herbizid Glyphosat von Monsanto nun zulassen soll oder nicht, erfährt der Leser bei Grefe, dass der US-Konzern längst mit der dänischen Firma Novozymes kooperiert, unter anderem um künftig Dünger, Pestizide und Insektizide biologisch statt chemisch herzustellen. Das Reservoir der Natur bietet für die Forscher dabei unglaubliche Schätze, wie jene Mikroorganismen, die selbst am Rande von Salzseen oder in der Arktis überleben.
    "Big Data ermöglicht eine immer genauere Inventur der Natur - und erleichtert damit auch ihre Manipulation."
    Grefe geht es ganz um die Sache, entsprechend kommen bei ihr Befürworter und Gegner der neuen Entwicklung gleichermaßen zu Wort. Hilfreich für die Meinungsbildung sind auch diverse Doppelinterviews. Grefe befragt profilierte Protagonisten, die teils vehement unterschiedliche Ansichten vertreten. Für Kritiker der neuen Entwicklung sind die Verheißungen der Bioökonomie nichts anderes als der sprichwörtliche alte Wein in neuen Schläuchen. Bioökonomie sei eine "erweiterte" oder "extreme Gentechnologie". Zu Wort kommen lässt die Autorin beispielsweise den Kritiker Christoph Then:
    "Weil sich die jahrzehntelangen Verheißungen der Manipulationen am Erbgut, Gentherapien, Dürre resistente Pflanzen und so fort – kaum erfüllt hätte, hätten die Wissenschaftler bloß einen neuen Vermarktungsdreh gebraucht, um an Forschungsgelder heranzukommen."
    "Die Überversorgten müssen abgeben"
    Die Autorin bietet dem Leser ein breites Spektrum an Argumenten und Einschätzungen. Trotzdem wird deutlich, wo ihre Sympathien liegen, bei einer innovativen Landwirtschaft, die sich den jeweiligen Bedarfen der Menschen anpasst. Sie schildert in Reportagen aus Tansania und Indien, wie Kleinbauern bereits durch geringe Verbesserungen karge Gegenden fruchtbar gemacht haben. Sie beschreibt, wie durch einen Anbaumix unterschiedlicher Pflanzen die Erträge auf den Feldern enorm gesteigert werden können, ganz ohne Biotechnologie. Zum Schluss ihres Buches macht Grefe eindrücklich klar, dass die Technik zwar manche Grenze erweitern, aber nicht sprengen könne. Deswegen bleibt es enorm wichtig, wie die Ressourcen verteilt werden. Das Herz der Bioökonomie müsse Gerechtigkeit sein, zitiert Grefe den früheren Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Ashok Khosla, und schreibt:
    "Begrenzung bedeutet vor dem Hintergrund globaler Ungerechtigkeit: Es führt kein Weg daran vorbei, zu teilen. Die Überversorgten müssen abgeben und ihre Ressourcen nicht nur effizienter managen, sondern auch den Verbrauch so herunterfahren, dass die anderen mehr abbekommen."
    Davon sind wir weit entfernt.
    "Tatsächlich sind Bescheidenheit beim Konsum, die Suche nach anderen Wirtschafts- und Geschäftsmodellen und Lebensformen in der Bioökonomie so gut wie kein Thema und auch bei den geplanten Forschungs-Leuchttürmen bisher kaum zu erkennen."
    Ein klares Manko, findet die Autorin, der nur beigepflichtet werden kann, dass am Ende nicht das biologisch Machbare, sondern das sozial Gewünschte zur Richtschnur des gesellschaftlichen Handelns werden sollte. Grefe ist ein großartiges und für den Laien gut verständliches Buch gelungen, welches beim Lesen gehörige Lust entfacht, noch intensiver in dieses wichtige Thema einzutauchen.
    Christiane Grefe: "Global Gardening. Bioökonomie- Neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft?
    Kunstmann Verlag, 2016, 320 Seiten, 22,95 Euro.