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Biopatente
Tomate und Brokkoli nach Schnittmuster

In den vergangenen Jahren haben große Chemiekonzerne altbekannte Gemüsesorten wie Brokkoli oder Tomaten patentieren lassen. So wollen sie ihre Marktmacht ausbauen. Das sorgt für Frust bei kleineren Bauern und birgt ernste Gefahren.

Von Jantje Hannover | 05.12.2013
    "Geht das so? / Ja. / Cool salads, they look great. / Wem kann ich weiterhelfen? / Mir. / Das war‘s? 2,40 / Super, danke."
    Markttag auf dem Wittenberg-Platz in Berlin. Das Wetter ist günstig und der Markt daher gut besucht, vor dem Stand von Benedicta von Branca ist es besonders voll. Von Branca steckt einen Bund Möhren, Salatköpfe und ein paar Tomaten in eine Plastiktüte, überreicht sie dem Kunden:
    "Alles bei Ihnen? 6,40 bekomm‘ ich dann bitte. / Stimmt so. / Vielen Dank, einen schönen Tag wünsche ich Ihnen dann."
    Rechts von der Kundenschlange stehen drei große Schütten mit Tomaten, bunt gemischt, von gelb, orange, grün bis rot ist alles dabei. Von Branca hat ihr Saatgut zum Teil auf Reisen eingesammelt, sie vermehrt und züchtet ihre Tomaten selbst:
    "Die Black Krim kennen viele, Evergreen ist eine grün abreifende, die Green Giant, Babuschka, Rife Red ist eine wunderschöne, riesengroße Tomate, die etwas mehlig schmeckt, aber sehr gut für die Sauce ist, dann habe ich viele kleine Wildtomaten, mexikanische Wildtomate, die Ursprungstomate."
    Über Jahrtausende hinweg haben Bauern in aller Welt Tiere und Pflanzen gezüchtet und so die heute vorhandene Vielfalt von Nutztieren und Nutzpflanzen geschaffen. Aber das traditionelle Recht der Bauern auf freien Zugang zu Saatgut ist in Gefahr.
    Denn in den vergangenen Jahren sind immer mehr altbekannte Gemüsesorten wie Brokkoli oder Tomaten patentiert worden. Diese Patente werden als Biopatente bezeichnet. Nicht etwa, weil diese Pflanzen besonders umweltverträglich angebaut worden wären. Die Bezeichnung "Bio" zeigt lediglich an, dass es hier um Lebendiges geht. Auch Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen oder Tiere bezeichnet man als "Biopatent".
    Die Patente auf Pflanzen sorgen für viel Kritik
    Dass inzwischen aber auch Pflanzen patentierbar sind, bei denen die Erbmasse nicht durch technische Eingriffe verändert wurde, ist hoch umstritten. Im Oktober hat das Europäische Patentamt, kurz EPA, daher ein Moratorium auf Biopatente aus konventioneller Zucht erlassen. Oswald Schröder ist der Sprecher des EPA. Es hat seinen Hauptsitz in München und ist neben den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union für zehn weitere Länder zuständig, darunter die Türkei, die Schweiz und Norwegen:
    "Ein Patent wird erteilt nach grundsätzlichen Kriterien, das erste Kriterium ist, ist die Erfindung neu? Unsere Patentprüfer gehen dafür in 600 Millionen Dokumente rein. Das zweite Kriterium ist die Höhe der Erfindung und da geht es wirklich darum, dass ein Fachmann sich das anschaut: Ist diese Erfindung so neu, so überraschend, dass ich sie als Fachmann erteilen kann."
    Wer Leben patentieren will, stellt genau diese Idee auf den Kopf, kritisiert Christoph Then von der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation "No patents on seeds":
    "Es ist so, dass in der Regel Patente erteilt werden auf Dinge, die in der Natur bereits vorhanden sind, die nur entdeckt werden können, gefunden werden können, die aber nicht erfunden werden können. Das können bestimmte Gene sein, die wichtig sind für die Pflanzenzüchtung, das können sogar ganze Pflanzen oder Tiere sein. Und das Patentrecht erhält die Funktion, diese natürlichen Ressourcen zu monopolisieren, man erhält ein weitreichendes Monopolrecht, nur derjenige, der das Patent hat, darf mit diesen Pflanzen oder Tieren Geschäfte machen."
    Wer ein Patent einreicht und erhält, kann 20 Jahre lang mit seiner Erfindung Geld verdienen. Patente sollen damit einen Anreiz bieten, Innovation und Forschung voranzutreiben. Maren Heincke ist Mitautorin einer Studie der Evangelischen Kirche Deutschlands, die sich kritisch mit Biopatenten und deren Auswirkung auf die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung auseinandersetzt.
    "Zum Beispiel ist ein typischer Fall ein indischer Hartweizen, da hat auch ein multinationaler Konzern lediglich analysiert, welche Gene für eine besondere Backqualität, die dieser Hartweizen hatte, zuständig sind. Also er hat keinerlei züchterische Arbeit damit geleistet, und hat dann diesen ganzen Hartweizen patentiert und hat in dem Fall auch die indischen Züchter, die diese spezielle Sorte über Jahrhunderte hinweg gezüchtet hatten, überhaupt nicht darüber informiert."
    Streit um die Definition von geistigem Eigentum
    Es klingt absurd und ist dennoch Realität: eine Gensequenz zu beschreiben, bedeutet keinen allzu großen Aufwand. Trotzdem beansprucht eine Firma mehrere Hartweizensorten, die andere gezüchtet haben, als ihr geistiges Eigentum. Immerhin, der Agrarkonzern Monsanto musste dieses Patent nach Protesten zurückgeben. Der Coup, mit dem Hartweizen 20 Jahre lang Millionen in die Kassen des amerikanischen Konzerns spülen sollte, wurde als Biopiraterie entlarvt. In Europa entscheidet die sogenannte Biopatentrichtlinie darüber, was patentierbar ist und was nicht. Nach den Regeln der Richtlinie sind Tierrassen und Pflanzensorten nicht patentierbar, außerdem "im Wesentlichen biologische Verfahren" – damit ist die klassische Züchtung mit sexueller Kreuzung der Elterngeneration und anschließender Auswahl der besten Nachkommen gemeint. Karsten Ellenberg aus dem niedersächsischen Barum ist solch ein traditioneller Züchter. Der Biobauer kultiviert und vertreibt rund 40 verschiedene Kartoffelsorten, darunter weiße, rote und blaue. Sein Gewächshaus dient ihm den Sommer über als Zuchtlabor, links und rechts wachsen mannshohe Kartoffelpflanzen mit weißen und lilafarbigen Blüten in großen Plastikkübeln: Karsten Ellenberg nimmt eine Knospe in die Hand und drückt die kleine Blüte am Stengel zusammen:
    "Wenn ich diese Blütenblätter ein bisschen aufmache, morgen wäre die Blüte von selbst aufgegangen, dann kann ich mit der Pinzette oder von Hand die Pollensäcke hier, das sind so sechs Stück, die gelben Pollensäcke entfernen, und könnte diesen Pollen dann auf einer Narbe der anderen Blüte, die hier gegenübersteht … Dann tupfe ich das einfach mal so drauf, dieses weiße Pollenpulver."
    Jetzt gilt es nur noch herauszufinden, ob die Tochtergeneration tatsächlich die gewünschte Eigenschaft ausgebildet hat, also beispielsweise eine Resistenz gegen Kartoffelfäule. Weil das gar nicht so leicht zu überprüfen ist, dauert der konventionelle Züchtungsprozess zehn bis fünfzehn Jahre und braucht viel Geduld. Dagegen wurde die patentierte israelische Schrumpeltomate wahrscheinlich in einem Labor gezüchtet. Sie enthält wenig Wasser und ist daher gut zum Ketchup-Machen geeignet. Die Tomate wurde nicht gentechnisch verändert, sondern nach dem Prinzip von Kreuzung und Selektion vermehrt. Dass sie trotzdem patentiert wurde, erklärt Oswald Schröder vom Europäischen Patentamt so.
    "Es geht nicht um Lebewesen, sondern um spezifische Eigenschaften von Pflanzen, von Tieren. Es gibt durchaus die Möglichkeit, durch einen technischen Eingriff eine bestimmte Eigenschaft, zum Beispiel die Produktion von Vitamin A zu erhöhen in einer Pflanze, und dadurch einen höheren Nährwert einer Pflanze zu erzeugen. Das kann man durch gentechnische Modifikation erreichen, das kann man aber auch durch andere Verfahren erreichen. Und diese anderen Verfahren sind in der Tat kritischer zu betrachten, weil man da sehr schnell an die Grenze kommt zur traditionellen Züchtung."
    Zu diesen Verfahren zählt das sogenannten Smart breeding - das gerne mit Präzisionszucht übersetzt wird. Bei der Auswahl der Pflanzen zur Zucht analysieren die Forscher das Erbgut und können dann mit Hilfe von sogenannten Genmarkern schnell feststellen, ob eine Pflanze über eine gewünschte Eigenschaft verfügt. Wer also beispielsweise eine blaue Tulpe züchten möchte, muss diese Tulpe nicht mehr hochpäppeln und warten, ob sie tatsächlich blau erblüht. Vielmehr zeigt ihm der Marker bereits im Samen, ob "blau" im Erbgut vorhanden ist. Aber ist die Tulpe deswegen auch patentierbar?
    Die deutsche Politik hat sich entschieden - zumindest auf dem Papier
    "Wenn das so einfach wäre, dann glaube ich, dann bräuchte es kein europäisches Patentamt."
    … erklärt Oswald Schröder.
    "Und es bräuchte sicher nicht diese 4.000 Spezialisten, die wir haben, von denen einige zwei Doktortitel in der Tasche haben, um diese schwierigen Fragen, diese komplexen Fragen auseinanderzuklamüsern, und dann festzustellen, liegt hier eine wirkliche Erfindung vor oder nicht."
    Kirchen, Umwelt- und Verbraucherverbände fordern, dass Pflanzen oder Tiere grundsätzlich nicht patentierbar sein dürfen. Schließlich bauen auch smart breeding und selbst die Gentechnik auf Sorten aus Jahrtausende langer Züchtung auf. Nahrungspflanzen und Nutztiere seien daher ein Gemeinschaftsgut der Menschheit, dessen Erträge nicht über Patente in die Taschen weniger Konzerne wandern dürften. Theoretisch, zumindest dem Wortlaut nach, haben die Umwelt- und Verbraucherverbände die Politik mit dieser Einschätzung an ihrer Seite.
    "Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren, damit stehen wir aber nicht alleine. Wir stehen auch im Konsens aller politischen Parteien des Deutschen Bundestags."
    Der CDU-Politiker Peter Bleser arbeitet als Staatssekretär im Agrar-Ministerium. In den vergangenen Wochen hat er in der Arbeitsgruppe Umwelt und Landwirtschaft gemeinsam mit der SPD die wichtigsten Ziele für die nächste Legislaturperiode abgesteckt. Die Haltung zu Biopatenten sei unter den Koalitionspartnern unumstritten:
    "Insofern ist es uns wichtig, dass wir auch was Entwicklung, Forschung und Züchtung angeht, die Verfügbarkeit von vorhandenen Tieren und Pflanzen und dem bisher Erreichten auch für alle in Zukunft behalten können."
    Alle vorhandenen Sorten oder Rassen weiter kreuzen und vermehren zu können, ohne dafür Lizenz- oder Patentgebühren entrichten zu müssen - dieses Recht wird über das sogenannte Züchterprivileg gesichert. Bei Biopatenten ist dieses Recht stark eingeschränkt: Tritt in der neu entwickelten Pflanze die patentierte Eigenschaft wieder auf, wenn also beispielsweise die Tulpe wieder blau erblüht, werden Zahlungen an die Patentinhaber fällig.
    Mittelständler sind verunsichert
    Ein finanzielles Risiko, das kein mittelständischer Zuchtbetrieb einzugehen wagt. Er wird an einer patentierten Sorte nicht weiter arbeiten. Mittelständische Züchter sind ohnehin vom Aussterben bedroht - und mit ihnen die Sortenvielfalt, erklärt der Sprecher der Grünen für Agro-Gentechnik, Harald Ebner. Viele hätten zwar noch ihr Firmenschild an der Tür hängen – tatsächlich wurden sie längst von den großen Playern am Markt aufgekauft:
    "Ich hab‘ ein Beispiel bei mir vor der Haustüre. Da wurde ein mittelständischer Weizenzüchter aufgekauft, paar Jahre später wurde der gesamte Bestand an alten und langjährig gezüchteten Weizensorten untergepflügt, diese Sorten sind verloren, die haben sie nicht mehr. Das heißt, da gibt es auch eine Strategie, Sorten aufzukaufen, rauszukaufen aus dem Markt, und dann bleibt am Ende ja nicht viel übrig. Wenn wir in die USA schauen, wie sich die Sortenvielfalt am Maismarkt verändert hat beispielsweise, die ist minimal mittlerweile."
    Klassische Chemiekonzerne wie Monsanto, aber auch die deutschen Firmen Bayer und BASF, haben sich längst lukrative Geschäftsfelder im Saatgutbereich erobert und betreiben die Patentierung und die Einschränkung der Sortenvielfalt gezielt voran, beklagt die Agrar-Ingenieurin Maren Heincke:
    "Patente werden zur Abblockung von Mitbewerbern benutzt, zur Schaffung von Rechtsunsicherheit und das ist kontraproduktiv für Innovation. Das andere ist, dass Patente ein Mitfaktor sind, um eine immer größere Marktkonzentration im Saatgutsektor zu erreichen. Bereits heute haben zehn Unternehmen 75 Prozent des Weltmarktanteils am Saatgut. Die Unternehmen kaufen kleinere Unternehmen auf, zum Teil läuft das sehr brutal, indem man ihnen zum Beispiel Patentverletzungen unterstellt, und dann lassen sich kleinere Unternehmen auch lieber schlucken, als sich mit Giganten in mehrjährige, ruinöse Rechtsstreitigkeiten einzulassen."
    Am Welternährungstag Mitte Oktober dieses Jahres protestieren Landwirte und Umweltverbände vor dem Patentamt in München gegen die Patentierung von Leben. Auf dem Podium spricht die Biologin Ruth Tippe über den Verwaltungsrat des EPA, der hier gerade tagt:
    "Dieser ist die einzige Instanz, der dem Europäischen Patentamt wirklich etwas vorgeben kann, die Geschäftspraxis im Amt wirklich ändern kann. Und wir gehen dahin und werden sie stören."
    Umweltschützer und Verbraucherverbände gehen auf die Barrikaden
    Der Rat ist besetzt mit Vertretern der 38 Mitgliedsstaaten, überwiegend sind das die Direktoren der jeweiligen nationalen Patentämter. Das EPA gilt als eine intransparente Behörde, da es keiner parlamentarischen Kontrolle durch gewählte Volksvertreter untersteht. Einsprüche und Beschwerden gegen Patente werden von den hauseigenen Richtern der Großen Beschwerdekammer verhandelt. Die Finanzierung des Amtes wird über Gebühren für die Patentverfahren und Erneuerungsgebühren für einmal erteilte Patente gesichert. Ruth Tippe und ihre Mitstreiter haben kein Vertrauen in die Institution:
    "Deswegen nochmals: kein Patent auf Leben, kein Patent auf Saatgut, auf Pflanzen und Tiere, kein Patent auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere."
    Umweltverbände und Kirchen warnen vor einer Zukunft, in der nur noch Lebensmittel aus patentierter Zucht in den Regalen der Supermärkte liegen. Nimmt die Artenvielfalt bei Nutzpflanzen und –tieren weiter im Tempo der letzten Jahre ab, kann ein einzelner Erreger unabsehbare Ernteschäden verursachen und so die Ernährungssicherheit der Menschheit gefährden. Die Politik schien das Problem bereits erkannt zu haben. Anfang 2012 setzte sie ein starkes Signal gegen Biopatente, berichtet Matthias Miersch von der SPD. Aber dann ist die Initative im Sande verlaufen.
    "Wir haben als Deutscher Bundestag über alle Fraktionsgrenzen weg eine klare Beschlussfassung, wonach wir keine Patentierung von konventionell gezüchteten Pflanzen und Tieren wollen. Wir erleben tagtäglich, dass Anträge beim Europäischen Patentamt gestellt werden, die aber genau in die Richtung gehen, wir erleben eben auch, dass die Bundesregierung nichts getan hat, um das Patentrecht zu konkretisieren und damit auch auf die europäische Ebene einzuwirken. Insofern ist der Wille des Gesetzgebers nicht erfüllt, und wir erleben die Praxis, dass weiter Patente erteilt werden."
    Das Europäische Patentamt erfülle lediglich den Auftrag, den ihr die Politik mit der Biopatentrichtlinie erteilt hat, hält Oswald Schröder dagegen:
    "Ich bin immer wieder amüsiert, wenn die Politiker an sich selbst Forderungen stellen, die sie eigentlich umsetzen könnten, wenn sie die Macht ausüben, die ihnen durch die Wahlen demokratisch gegeben worden ist. Es gibt keine Initiative und es gibt vor allen Dingen keinen neuen Gesetzestext, nämlich eine neue Richtlinie. Solange die nicht vorliegt, erteilen wir nach der derzeitigen gesetzlichen Grundlage, wir sind eine technische Behörde und haben keine gesetzgeberische Funktion und können also nur ausführen, was uns die Politik vorgibt."
    Gesunder Menschenverstand im Kampf gegen juristische Spitzfindigkeit
    Die Politik hat es also versäumt, Grauzonen aus den Gesetzestexten zu tilgen. Wie aber konnte es dazu kommen, dass in der Biopatentrichtlinie Dinge stehen, die Bauern und mittelständischen Betrieben schaden? Warum nützt die Richtlinie nur den großen Agrarkonzernen? Der Sprecher der Grünen für Agrogentechnik, Harald Ebner, schildert ein bekanntes Szenario für den Fall, dass sich tatsächlich ein Mitgliedsstaat an die Klarstellung der Biopatentrichtlinie wagen würde:
    "Was glauben Sie, was hier los ist, wenn der Bundestag ein Pflanzenschutzgesetz beispielsweise novelliert, dann tauchen selbst beim grünen Bundestagsabgeordneten die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Agrochemiefirmen auf und versuchen einem zu erläutern, warum welche Regelung gut und welche Regelung schlecht ist und was noch fehlt, und was raus und was rein muss in dieses Gesetz. Da sind die großen Konzerne unseren Nationalstaaten, schon allein was die finanzielle Potenz angeht, sich die besten Köpfe zu kaufen, um Meilen voraus. Die besten Köpfe, die dann wissen, an welcher kleinen Formulierung sie drehen müssen, die heute kein Schwein kapiert, wo wir aber in 20 Jahren wissen: Da ist die Regelungslücke."
    Der Saatgutbereich ist viel zu lukrativ, da lassen sich die Konzerne nicht gerne durch unpassende Gesetze das Geschäft verderben. Wie beim Versuch, die Finanzmärkte an die Kandare zu legen, scheinen auch hier die Marktakteure die demokratischen Instanzen an der Nase herumzuführen. Da wirkt das Moratorium des Europäischen Patentamts für Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere, das pünktlich zum 40-jährigen Bestehen des EPA kam, wie ein Lichtblick. Dabei geht es allerdings lediglich darum, eine juristische Frage vor der großen Beschwerdekammer zu klären, die als Präzedenzfall für viele Biopatente gilt, sagt Oswald Schröder:
    "Sind Produkte aus einem Verfahren, das selbst nicht patentierbar ist, patentierbar? Das ist eine Frage, die ist an Komplexität kaum zu übertreffen. Ich möchte nicht in der Haut der Mitglieder der großen Beschwerdekammer sitzen, aber ich habe volles Vertrauen, dass die die technische und die juristische Kompetenz mitbringen, um die richtige Entscheidung zu treffen."
    Das Verfahren ist nicht patentierbar, weil es überwiegend konventionelle Züchtungsschritte nutzt. Aber die daraus hervorgehende Tomate oder der Brokkoli sollen trotzdem patentierbar sein? Hier überhaupt einen Unterschied zu machen, mag für Juristen eine interessante Herausforderung sein. Der gesunde Menschenverstand würde sich das verbieten. Bleibt abzuwarten, ob es mit den neuen Verhältnissen im Bundestag gelingen wird, die Handschrift der Industrie aus dem Gesetzestext zu redigieren und eine neue Biopatentrichtlinie auch für Europa auf den Weg zu bringen.