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Birkner: Geologie muss ausschlaggebend für Endlagersuche sein

Bei der Suche nach dem bestgeeigneten Endlager für radioaktiven Müll müssten in erster Linie geologische Kriterien entscheident sein und nicht die Politik, sagt der niedersächsische Umweltminister Stefan Birkner (FDP).

Stefan Birkner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.04.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Wo soll der hoch radioaktive Abfall aus Deutschlands Atomkraftwerken gelagert werden? Der Streit darüber schwelt seit Jahrzehnten. Norbert Röttgen, der zuständige Minister in Angela Merkels Kabinett, kündigte im vergangenen November überraschend eine neue bundesweite und ergebnisoffene Suche an. Kritiker gehen allerdings davon aus, dass Röttgen trotz dieser angeblich ergebnisoffenen Suche insgeheim weiter auf den umstrittenen Salzstock Gorleben setze. Heute findet ein Spitzengespräch im Umweltministerium dazu statt. Am Telefon begrüße ich jetzt Stefan Birkner von der FDP, er ist Umweltminister in Niedersachsen. Schönen guten Morgen.

    Stefan Birkner: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Birkner, Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin geht nicht davon aus, dass es heute zu einem Durchbruch kommen wird beim Spitzengespräch. Sind Sie da optimistischer?

    Birkner: Also ich denke, die Wahlen in Nordrhein-Westfalen, aber vielleicht auch in Schleswig-Holstein sind ein Anzeichen dafür, dass man nicht allzu optimistisch sein dürfte, denn es ist natürlich zu befürchten, dass man vor den Wahlen insbesondere in Nordrhein-Westfalen eben hier den Durchbruch noch nicht schaffen kann, was ich allerdings bedauerlich fände, weil wir kurz vor dem Durchbruch meines Erachtens stehen.

    Heckmann: Aber es gibt ja auch ganz konkrete Probleme, die dort noch zu verhandeln sind, zum Beispiel der Umgang mit Gorleben. SPD, Grüne und die Atomkraftgegner, die Gorleben-Gegner unterstellen dem Umweltminister, dass er insgeheim weiter auf Gorleben setze, auf den Salzstock bei Ihnen in Niedersachsen, deshalb werde die Erkundung dort auch erst einmal fortgesetzt. Teilen Sie diese Bedenken?

    Birkner: Nein, die Bedenken teile ich nicht. Wir haben in diesem Gesetzentwurf sehr deutlich abgebildet, wie das Verfahren aussehen soll, und es ist allen Beteiligten klar und auch wiederholt öffentlich deutlich gemacht worden, dass der Standort in Gorleben sich in jeder Phase an jedem zu definierenden Kriterium zu messen hat und damit auch in jeder Phase und zu jeder Zeit auch herausfallen kann und somit so behandelt wird wie jeder andere mögliche Standort auch und insofern er integriert ist in das Verfahren und somit ein faires und offenes Verfahren meines Erachtens gewährleistet ist.

    Heckmann: Das heißt, Gorleben ist aus Ihrer Sicht weiterhin ein denkbarer Kandidat, obwohl er unter solch fragwürdigen Umständen in den 70er-Jahren ja ausgewählt worden ist, weil man davon ausgegangen ist, der Widerstand dort bei Ihnen im Wendland, im ehemaligen Zonenrandgebiet, wäre besonders gering?

    Birkner: Also es gibt ja viele Ausarbeitungen zu den Fragestellungen, wie es damals dazu kam. Sicherlich spielten da neben geologischen Gründen auch andere eine Rolle. Aber ich halte diese Betrachtung im Moment nicht für entscheidend. Entscheidend ist, dass wir zu einem vernünftigen ordentlichen Verfahren kommen, und das Bundesamt für Strahlenschutz, die ja die Erkundung in Gorleben bisher, unter deren Aufsicht das bisher stattgefunden hat und in deren Verantwortung, das Bundesamt kommt zu dem Ergebnis, dass es bisher keine geologischen Erkenntnisse gibt, die Gorleben ausschließen als möglichen Endlagerstandort, und ich bin der Auffassung, dass am Ende die Geologie entscheidend sein muss. Wir brauchen den möglichst bestgeeigneten Standort und wir dürfen da nicht zulassen, dass politische Erwägungen entscheiden, denn sonst wird auch an anderer Stelle es nicht möglich sein, Erkundungstätigkeiten vorzunehmen, weil auch dort wir erleben werden, dass örtlich gesagt wird, regional gesagt wird, auch dieser Standort ist so wie ja andere Standorte politisch nicht durchsetzbar. Die Geologie muss entscheiden, nicht die Politik in erster Linie.

    Heckmann: Ein ergebnisoffenes und transparentes Verfahren soll es geben, haben Sie gerade eben auch noch mal betont, Herr Birkner. Wie passt das denn dazu, dass jetzt der bayrische Umweltminister Marcel Huber beispielsweise sagt, dass in Bayern nach geologischem Kenntnisstand kein Standort für ein Endlager geeignet sei, obwohl es dort die eine oder andere Region mit möglichen Standorten doch gibt? Wie verträgt sich das mit einer ergebnisoffenen Suche?

    Birkner: Ja, die Frage wäre zunächst an Herrn Huber zu richten. Ich bin auch etwas überrascht, ich halte diese Äußerung im jetzigen Zeitpunkt für auch nicht hilfreich. Am Ende sind aber natürlich die geologischen Fragestellungen abzuarbeiten und dann werden sich selbstverständlich auch bayrische Standorte an diesen messen lassen müssen und dann wird sich zeigen, ob die Einschätzung von Herrn Huber tatsächlich zutreffend ist, also dass geologische Kriterien dagegen sprechen. Aber ich halte es für völlig verfrüht und im Moment wie gesagt auch unnötig, hierzu jetzt politische Aussagen zu treffen, dass dem schon so sei. Das muss am Ende die Wissenschaft entscheiden, das steht auch im Gesetz drin.

    Heckmann: Das heißt, Bayern ist da nicht draußen?

    Birkner: Bitte?

    Heckmann: Das heißt, Bayern ist da nicht draußen?

    Birkner: Nein, selbstverständlich nicht. Das würden wir auch aus niedersächsischer Sicht nicht akzeptieren. Es ist allgemeiner Konsens auch in den Gesprächen bisher gewesen, an denen Bayern ja auch mit teilgenommen hat, dass das gesamte Bundesgebiet in den Blick genommen wird und alle Länder in Kauf nehmen und bereit sind, sich an einer solchen Endlagersuche auch in ihrem Gebiet zu beteiligen.

    Heckmann: Herr Birkner, Norbert Röttgen möchte ein neues Institut etablieren für die Suche nach einem geeigneten Endlager. Seine Kritiker unterstellen ihm, dass er damit das Bundesamt für Strahlenschutz umgehen möchte, das von einem Atomkritiker oder einem Gorlebenkritiker geleitet wird, Herrn König. Glauben Sie, dass dadurch Vertrauen in der Bevölkerung entstehen kann, dass wirklich nur fachliche Aspekte den Ausschlag geben werden, wenn da so ein Institut einfach so umgangen wird?

    Birkner: Also ich halte es zunächst für richtig, die wissenschaftliche Expertise in den Vordergrund zu stellen und wie gesagt die geologischen Erkenntnisse in den Vordergrund zu stellen, was nicht heißt, dass am Ende nicht Politik, die ja dann nur legitimiert ist, demokratisch legitimiert ist, die Entscheidung zu treffen, hier auch die Verantwortung übernehmen muss. Aber die Konstruktion eines solchen Institutes sichert eben auch die wissenschaftliche Unabhängigkeit und trennt dann scharf zu der Tätigkeit des BFS, die dann Genehmigung und Überwachung der Tätigkeiten bei der Erkundungsarbeit selbst vornehmen, die wiederum dann von dieser beauftragten oder beliehenen Unternehmung dann durchgeführt wird. Und ich halte diese saubere Trennung, erstens wissenschaftliche Kriterien, unabhängige wissenschaftliche Bearbeitung durch das Institut, zweitens dann durch das Bundesamt für Strahlenschutz hier die konkreten genehmigungsrechtlichen und aufsichtlichen Tätigkeiten und drittens dann die konkrete Durchführung durch eine bestimmte Gesellschaft, für sehr transparent, für sehr zielführend, und deshalb begrüßen wir vom Grunde her diesen Vorschlag auch.

    Heckmann: David McAllister, Ihr Ministerpräsident, hat schon gefordert, dass diese neue Institut in Niedersachsen, bei Ihnen angesiedelt werden soll. Wieso eigentlich?

    Birkner: ... , weil wir in Niedersachsen hier bereits über bestehende Strukturen eben verfügen, wo auch die Fachkompetenz versammelt ist. Wir haben die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, die sich eben auch mit solchen Fragestellungen befasst. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist in Salzgitter beheimatet. Wir haben mit der DBE, die Gesellschaft, die die konkreten Tätigkeiten in den Bergwerken und auch im Erkundungsbergwerk in Gorleben durchführt, die Fachkompetenz, sodass wir hier regional diese gesamte Kompetenz versammelt haben. Wir haben mit den Universitäten ein hervorragendes Umfeld, in dem hier dieses dann auch wissenschaftlich noch unterstützt werden kann. Insofern sehen wir, dass Niedersachsen hier auch natürlich aus der Historie begründet ein hervorragendes Umfeld für ein solches Institut aufweist.

    Heckmann: Und das Ganze ist natürlich auch ein bisschen Standortpolitik.

    Birkner: Jedes Bundesland freut sich, wenn eine Bundesbehörde bei ihm angesiedelt ist.

    Heckmann: Herr Birkner, letzte Frage. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die dünkt, dass mit dem geplanten Gesetz eine Entrechtung der Bürger geplant sei, denn es gebe nach den jetzigen Überlegungen kaum mehr Möglichkeiten für die Bürger, für die Anwohner, juristisch gegen den dann ausgewählten Standort vorzugehen.

    Birkner: Ja, das begründet sich durch einen Zielkonflikt in gewisser Weise, dass in diesem Gesetzesentwurf vorgesehen ist, dass jede Phase, also etwa die Feststellung von Kriterien und Finden von Kriterien, dann sozusagen das Aussuchen von Regionen und so weiter, bis man am Ende zu einem konkreten Endlagerstandort kommt, durch ein Bundesgesetz beschlossen wird, und die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen ein Bundesgesetz sind begrenzt, im Gegensatz zu anderen Verwaltungstätigkeiten.

    Heckmann: Das heißt, der Bürger bleibt außen vor?

    Birkner: Na ja, er hat am Ende natürlich noch die Verfassungsbeschwerde. – Nein, es gibt ein ausführliches Beteiligungsverfahren. Dieses Gesetz hat ja einen großen Bereich der Öffentlichkeitsbeteiligung, wo natürlich sich eingebracht werden kann. Dieser Zielkonflikt ist auf der einen Seite hohe demokratische Legitimation durch Gesetze jeweils, auf der anderen Seite aber wollen wir natürlich möglichst auch eine Bürgerbeteiligung haben, und die ist durch eine umfassende Bürgerbeteiligung in jedem Verfahrensschritt in dem Gesetz abgebildet, und am Ende müssen wir noch mal schauen und darüber reden, wie wir eigentlich die Rechtsschutzmöglichkeiten für individuell Betroffene dann auch angemessen ausgestalten können. Aber wie gesagt, das Gesetz zeichnet sich durch hohe Öffentlichkeitsbeteiligung und eben den Versuch, das alles demokratisch legitimiert durch Gesetze jeweils dann auch zu beschließen, aus und da müssen wir versuchen, einen vernünftigen Weg auch im Blick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten zu finden.

    Heckmann: Der Umweltminister Niedersachsens, Stefan Birkner von der FDP, war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Birkner, ich danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag.

    Birkner: Ja, danke auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.