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Birma zwischen Buddha und Betelnuss

Aus Angst vor den Spitzeln der Militärdiktatur wagt in Birma kaum jemand, mit einem Ausländer zu sprechen. Traut sich doch einer, berichtet er vom miserablen Gesundheitssystem, dem kleinen Verdienst aus Reismehl-Crackern und dem tollen Geschmack der Betelnuss.

Von Bernd Musch-Borowska | 13.11.2010
    Ganz gemächlich rattert der Nahverkehrszug über die holprigen Gleise. Die Bahn fährt in einem großen Kreis um die alte birmanische Hauptstadt Rangun herum und verbindet die Vororte oder Townships mit der Innenstadt und den großen Märkten in der Nähe des Hafens. Die einfachen Waggons bieten keinen Komfort. Sitzgelegenheiten aus schlichten Holzplanken an den Längsseiten. Durch die offenen Fenster und Türen bläst der Fahrtwind herein.

    Auf der Fahrt zum Boyoke Aung San Markt im Zentrum von Rangun ist der Zug voll. Jeder hat unglaublich viel Gepäck dabei, Taschen und Körbe mit Handelsware aller Art: Gemüse, Tiere und Stoffe, die auf dem Markt zum Verkauf angeboten werden. Eine Frau aus dem Norden von Rangun hat einen riesigen Korb mit Reismehl-Crackern dabei, den sie alleine kaum tragen kann. Handteller große frittierte Fladen, die sie in der Stadt als Snacks verkauft.

    3.500 Kyat hat sie für den vollen Korb bezahlt, umgerechnet 4 Euro. Bis zum Mittag, sagt sie, habe sie wahrscheinlich alles verkauft und dann einen guten Gewinn gemacht. Das meiste kaufen die Schulkinder. Sie bezahlen 2-300 Kyat pro Cracker, umgerechnet ca. 30 Cent.

    Wie überall in Birma ist auch der Fußboden des Zug-Abteils über und über mit rotem Speichel bedeckt. Fast jeder in Myanmar, wie Birma offiziell heißt, kaut fast ständig Betelnuss. Die regt den Speichelfluss an, und der muss entsorgt werden. Überall wo man geht und steht, spuckt gerade jemand kräftig aus. Wenn einen die Leute anlächeln, dann haben viele völlig rote und verdorbene Zähne.

    Betelnuss sei die wahre Sucht der Birmaner, sagt Moe, ein junger Reiseleiter aus Rangun, der mit verschiedenen Nebenjobs versucht, seiner kleinen Familie einen besseren Lebensstandard zu bieten:

    "Die Leute spucken einfach überall hin. Die rote Farbe kommt von der Kombination aus dem Blatt und der roten Betelnuss. Die zerstampfte Nuss wird mit Kalk und verschiedenen Gewürzen gemischt und in das Blatt eingewickelt und dann gekaut. Das sieht nicht nur furchtbar aus, man kann auch süchtig danach werden. Ich war es auch mal und konnte nur schwer aufhören. Das ist wie mit dem Zigarettenrauchen. Man kaut das Ganze etwa 20 Minuten lang und spuckt immer wieder den Speichel aus. Und dann kurz vor Schluss entwickelt sich der Geschmack der Nuss zusammen mit den indischen Gewürzen. Das ist ein unbeschreiblich toller Geschmack."

    Die Menschen im Zug haben freundliche, aber ernste Gesichter, geprägt von dem täglichen Überlebenskampf. Öffentlich mit einem Ausländer zu reden, wagt kaum jemand. Die Spitzel des Staates sind überall. Eigentlich unsichtbar, und doch für jeden leicht zu erkennen, stehen sie an jeder Straßenecke und sitzen in jedem Zug. Und wer sich mit einem Ausländer einlässt, muss damit rechnen, ganz schnell zum Verhör ins nächste Polizeirevier gebracht zu werden.

    Im Lärm des ratternden Zuges wagt es dennoch ein junger Familienvater aus Rangun, der seinen Namen nicht genannt haben möchte, zu sprechen. Er schimpft auf die Militärregierung, die nur an sich denke und das Volk vernachlässige:

    "Die denken nie an das Wohl der Gesellschaft. Deshalb läuft alles so schlecht bei uns. Das Schul- und Gesundheitswesen, einfach alles. Diejenigen, die Geld haben, können überleben. Alle anderen haben Pech gehabt."

    Ernsthaft krank zu werden sei eine Katastrohe, sagt er. Zwar sei der Arztbesuch umsonst, doch Medikamente und alles andere koste Geld.

    "Vor ein paar Jahren hatte ich eine Blinddarm-Operation im staatlichen Krankenhaus. Der Arzt und die Krankenschwester haben zwar nichts gekostet, aber für das OP-Besteck, für Nadel und Faden und sogar für das Pflaster musste ich bezahlen. Wer kein Geld hat, wird deshalb nicht operiert und muss halt sterben. Im Krankenhaus lag ein Mann, der hatte Diabetes und ein Zeh musste ihm amputiert werden. Er hatte kein Geld und bettelte deshalb bei den anderen Patienten. Doch die hatten selbst nichts. Am Ende packte er seine Sachen und ging nach Hause. Ich werde halt sterben müssen, sagte er."

    Besonders schlimm ist es auf dem Land. Dort fehlt in vielen Regionen jegliche Infrastruktur. Während die Militärs die Öl- und Gasvorkommen des an Bodenschätzen reichen Landes ins Ausland verkaufen, gibt es in weiten Teilen Birmas keinen Strom. So ist beispielsweise der Staat Arakan, eine Region an der Grenze zu Bangladesh, bis heute noch nicht vollständig an das Elektrizitätsnetz des Landes angeschlossen. Rund 90 Prozent der Bevölkerung dort nutzen Kerzen als Lichtquelle und Brennholz fürs Kochen.

    Selbst in Großstädten wie Mandalay im Zentrum von Birma fällt fast täglich der Strom aus. Und in der Innenstadt von Rangun stehen vor fast jedem Haus riesige Dieselgeneratoren, weil das öffentliche Stromnetz den Energiebedarf der alten Hauptstadt nicht decken kann.

    Obwohl überall in Rangun neue Häuser gebaut werden und moderne Geschäfte und Restaurants entstehen, sind die meisten Straßen in einem katastrophalen Zustand und sie können den ständig wachsenden Verkehr kaum noch bewältigen. Viele Autos auf den Straßen sind schrottreif und werden nur noch von ihrem Lack zusammen gehalten und auch der bröckelt langsam ab. Beim Einstieg in eines der vielen Taxis würde jeder deutsche TÜV-Ingenieur einen Herzinfarkt bekommen.