Dienstag, 16. April 2024

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Serbien
"Ratko Mladić ist ein Held"

Es ist das letzte und eines der wichtigsten Urteile des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien: Das Urteil gegen den ehemaligen Generalstabschef der bosnischen Serbenarmee Ratko Mladić. Egal wie es ausfällt: Die serbische Gesellschaft ist noch nicht bereit, die Sache zu den Akten zu legen.

Von Rayna Breuer | 22.11.2017
    Ratko Mladic 2012 in Den Haag vor dem Sondertribunal
    Ratko Mladic 2012 in Den Haag vor dem Sondertribunal (picture-alliance / dpa / Martin Meissner)
    Altbau, hohe Decken, Stuck an den Wänden. Stefan Stamenkowski führt durch die Gänge des großen Gebäudes.
    "Das ist unser kleines Büro. Und das hier unser Wappen. In der Mitte das Wappentier der Nemanjić Dynastie, zur jener Zeit war Serbien am stärksten, Rechts das ist Miloš Obilić, ein serbischer Held, der bei der großen Schlacht auf dem Amselfeld den türkischen Sultan umbringt."
    Dafür, dass der Raum gerade Mal 20 Quadratmeter misst, passt ziemlich viel Geschichte rein. Stamenkovski ist der Vorsitzende der politischen Gruppierung "Zavetnici". Zavet wie Eid. Gemeint ist der Eid auf ein souveränes Serbien, ein Serbien in seinen natürlichen Grenzen, wie Stamenkovski sagt. Damit meint er auch das Kosovo.
    "Mladić war nur der Sündenbock"
    Stamenkovski erklärt jedes noch so kleine Detail auf einem vergilbten Bild. Doch die Geschichte vergilbt nicht, vor allem der stolze Teil der Geschichte nicht: das Mittelalter, die Balkankriege Anfang des 20. Jahrhunderts und die Rolle Serbiens als Beschützer der europäischen Kultur, der erste und zweite Weltkrieg, der Widerstand gegen Nazi-Deutschland - über diese Lesart herrscht überwiegend Konsens. Und Serben wie Stamenkovski nutzen diese historischen Bezüge, um die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit zu rechtfertigen. Taten, die bis heute die Gesellschaft spalten. Genau wie Ratko Mladić.
    "Leider wird Mladić in Teilen der serbischen Gesellschaft wie auch weltweit als Kriegsverbrecher dargestellt. Ratko Mladić war der Sündenbock, um Druck auf Serbien auszuüben und die Souveränität und Stärke Serbiens zu brechen. Aber General Ratko Mladić ist für einen Großteil der serbischen Bevölkerung ein Held".
    Eine verbreitete Sichtweise in Serbien. Die die eigene Unschuld und die Schuld der anderen beim Ausbruch der Jugoslawien-Kriege betont. Aber es gibt auch eine andere Sichtweise.
    "Diese Generation weiß ganz genau, was damals passiert ist. Wenn wir über Vergangenheitsbewältigung sprechen, denke ich, dass wir große Probleme haben. Serbien verweigert sich der Aufarbeitung, weil das eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe ist. Für die Mehrheit ist es einfacher, sich diesem Prozess zu verweigern und nicht am Diskurs teilzunehmen."
    ...sagt Sonja Biserko vom Helsinki Komitee.
    "Man muss eine ganz neue Generation aufbauen"
    Mit "Vergangenheitsbewältigung" aber verbinden beide etwas vollkommen anderes. Für Sonja Biserko geht es darum, sich mit der Rolle Serbiens in den Jugoslawien-Kriegen auseinanderzusetzen, Stamenkovski geht es um etwas ganz anderes:
    "In Serbien kann man nur Vergangenheitsbewältigung betreiben, indem man die Ungerechtigkeit gegenüber den Serben korrigiert. Es gibt Menschen, die glauben, die Serben hätten etwas Schlimmes gemacht. Wenn man aber vom Mittelalter bis zum Aufstand gegen die Osmanen blickt, muss man erkennen, dass die Serben das größte Opfer sind. Uns wurde Unrecht angetan."
    Der Kampf um die Deutung der eigenen Geschichte hat die serbische Gesellschaft bislang an einer gemeinsamen Aufarbeitung gehindert. Das Urteil gegen Ratko Mladić könnte diese Differenzen noch verstärken. Egal wie es ausfällt. Sonja Biserko sieht Serbien auch nach dem Ende des Haager Tribunals noch am Anfang:
    "Man muss eine ganz neue Generation aufbauen. Es geht um nicht weniger als darum, ein neues Wertesystem zu etablieren. Verbrechen nicht rechtfertigen zu dürfen, das ist der Schlüssel zur Genesung der serbischen Gesellschaft."