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Bis zu vier Grad plus bis 2050

Klima.- Ab heute bereiten in Bonn rund 3000 Regierungsvertreter den nächsten Weltklimagipfel in Durban vor. In einer Vorkonferenz ging es nun um Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit von Städten an den Klimawandel.

Von Volker Mrasek | 06.06.2011
    Rund 100 Autoren aus über 50 Städten haben an dem neuen Report mitgeschrieben. Sie wollen damit eine Lücke schließen, wie Cynthia Rosenzweig sagt. Die Klimaforscherin von der US-Raumfahrtbehörde NASA ist Mit-Herausgeberin des Fachberichtes, der jetzt in Bonn vorgestellt wurde:

    "Wir haben zum ersten Mal abgeschätzt, was der Klimawandel für insgesamt zwölf Modellstädte auf der ganzen Welt bedeuten wird. Niemand hat das bisher gemacht. Es gibt zwar viele globale und nationale Betrachtungen. Aber Städte – das können wir jetzt sehen – sind den Gefahren des Klimawandels besonders stark ausgesetzt."

    In London, Melbourne und São Paulo könnte es schon Mitte des Jahrhunderts ein bis zwei Grad wärmer sein als heute, in New York und Toronto sogar drei und in Athen vier Grad Celsius. Bis 2080 könnte ein weiteres Grad hinzukommen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich Häuser und Straßen in Städten stärker erwärmen als das dünner besiedelte Umland, was als urbaner Hitzeinseleffekt bekannt ist.

    Der thermische Stress für die Stadtbevölkerung dürfte also überproportional zunehmen. Und noch etwas wird viele Metropolen in Bedrängnis bringen. Dazu der indische Stadtplaner Shagun Mehrotra. Auch er zählt zu den Herausgebern des neuen Reports und leitet das Projekt "Klimawandel und Städte" an der Columbia University in New York City:

    "All diese Städte liegen an der Küste oder in einem Flussdelta. Sie sind also sehr anfällig für einen Anstieg des Meeresspiegels und für Überschwemmungen – manche ganz besonders: Nehmen Sie zum Beispiel die Millionenstadt Lagos in Nigeria. Sie besteht zu etwa 70 Prozent aus Slums. Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, weitere drei Milliarden sollen in den nächsten Jahrzehnten hinzukommen - die meisten in den Slums Asiens und Afrikas."

    Aber auch Städte in den Industrieländern seien auf steigende Pegel nicht vorbereitet. Der Bericht zeige das unter anderem am Beispiel von New York, so NASA-Forscherin Rosenzweig:

    "Im Kapitel über Energie beschreiben die Autoren, wo sich die Kraftwerke in New York City befinden. Und das ist traditionell nah am Wasser. So ist es leicht, sie mit Brennstoffen und Kühlwasser zu versorgen. Nur liegen die meisten der Kraftwerke deshalb auch nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, das heißt: Wenn Überschwemmungen stärker werden, bringt sie das in Gefahr."

    Der neue Report schildert aber nicht nur die Risiken durch den Klimawandel, sondern auch die Chancen, ihn zu bremsen. In diesem Zusammenhang bezeichnen Shagun Mehrotra und seine Co-Autoren Städte als "wichtige Laboratorien für den Klimaschutz":

    "Die Staatsregierungen verhandeln über Klimaschutz, aber dieser Prozess dauert an. In der Zwischenzeit sind Städte bereits aktiv geworden, und daraus ist ein Wissensschatz entstanden, von dem andere profitieren können."

    London hat eine City-Maut eingeführt und den innerstädtischen Verkehr so spürbar reduziert; im indischen Delhi fahren alle Stadtbusse heute mit komprimiertem Erdgas und somit abgasärmer als zuvor; Shanghai und Tokio bekämpfen den urbanen Hitzeinseleffekt durch gezielte Begrünungsprogramme, Stockholm gestattet in einem neuen Stadtquartier keine Bebauung mehr direkt am Wasser – in dem neuen Bericht über Städte und den Klimawandel finden sich viele Beispiele wie diese. Ein Hoffnungsschimmer ist das aus der Sicht der Autoren. Geschehen müsse aber noch viel mehr:

    "Das alles geschieht nicht isoliert. Zur gleichen Zeit wächst die Weltbevölkerung rapide und genauso der Energieverbrauch. Vermutlich kommen wir nicht umhin, ihn zu reduzieren. Aber es wird ein harter Job für Politiker, ihren Wählern so etwas beizubringen."