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Bischof Mixa: Kirche muss sich deutlich zu Wort melden

Der Augsburger Bischof Walter Mixa wünscht sich von der Kirche mehr Einmischung. "Meines Erachtens nach sprechen wir in der Kirche zu gesellschaftspolitischen Themen viel zu zahm", sagte der katholische Geistliche. Dadurch fänden die Äußerungen in der Medienwelt keinen Niederschlag.

Moderation: Jürgen Liminski | 24.12.2007
    Jürgen Liminski: Heinrich Böll hat sich in seiner Weihnachtssatire keineswegs über das Fest der Liebe und über die Christen lustig gemacht. Von dem Nobelpreisträger für Literatur stammt auch der sehr ernst gemeinte Satz: "Die schlechteste christliche Gesellschaft ziehe ich noch tausendmal der besten heidnischen Gesellschaft vor. Denn in keiner wirklich heidnischen Gesellschaft hat es jemals Platz gegeben für Waisenkinder, psychisch Kranke, Arme und Behinderte." Zitat Ende.

    Ist Deutschland noch christlich? Gibt es noch Platz für Arme, Kranke, Behinderte und, so möchte man hinzufügen, für Kinder? Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich den Bischof von Augsburg, Dr. Walter Mixa. Guten Morgen, Exzellenz!

    Bischof Walter Mixa: Einen schönen guten Morgen!

    Liminski: Herr Bischof, heute ist Heiligabend. Was kann man von Weihnachten lernen? Ein Kind in einem Stall oder in einer Grotte zu gebären, ist ja nicht gerade erstrebenswert?

    Mixa: Ist nicht erstrebenswert, aber gerade diese Tatsache zeigt uns, wenn ich wirklich an die Menschwerdung Gottes, in diesem Fleisch gewordenen Jesus, in diesem Kind von Bethlehem glaube, dass sich Gott selber als Schöpfer des Himmels und der Erde ganz radikal und unwiderruflich auf unsere Seite stellt, eine größere Zuwendung, ja eine größere Herzlichkeit des unsichtbaren Schöpfergottes zu uns Menschen kann es nicht geben. Und deshalb erfüllt uns diese Wirklichkeit, dieser Geburtstag unseres Herrn und Heilllandes Jesus Christus mit bleibender und echter Freude.

    Liminski: Bischof Mixa, in diesem vergangenen Jahr hat kein Würdenträger so sehr die Medien beschäftigt wie eben dieser Bischof von Augsburg und seine Einlassung zur Familien- und Frauenpolitik. Man kann wohl sagen, Sie sind der politischste aller Bischöfe. Worauf führen Sie das zurück?

    Mixa: Ehe und Familie sind die wichtigsten Einrichtungen jeder staatlichen Gemeinschaft, und zu Recht kann ich sagen: Die Familie ist die kleinste, aber wichtigste Lebenszelle jeder staatlichen Gemeinschaft und genauso der kirchlichen Gemeinschaft. Und dafür muss jeder Bischof eintreten und auch dafür eintreten, gerade im Zusammenhang mit Weihnachten, dass sich vor allem die Eltern, soweit das wirklich möglich ist, sich um ihr Kind annehmen, die Würde der Frau geachtet wird, die auch eine besondere Beziehung zu ihrem Kind hat, und dass dadurch auch das Wohl der Kinder gefördert wird.

    Liminski: Fühlten Sie sich von den Medien mit dieser Position missverstanden, vielleicht sogar willentlich missverstanden?

    Mixa: Ich fühlte mich durchaus missverstanden und auch willentlich missverstanden - und zwar einfach aus dem Grund: Wenn man meine Stellungnahmen zu dem einen oder anderen speziellen Thema in diesem Zusammenhang gelesen hat, dann waren diese Stellungnahmen ganz sachlich und in einer großen Wertschätzung für die Frau und für das Kind bezogen. Hat man hingegen die Stellungnahme mit einem einzigen Wort aus dem Zusammenhang herausgerissen, dann konnte genau das Gegenteil erreicht werden mit einer solchen Herausnahme aus dem gesamten Zusammenhang. Und dadurch ist da und dort genau das Gegenteil bewusst von dem zur Geltung gekommen, was ich im Zusammenhang ganz richtig und wirklichkeitsgetreu gesagt habe. Und das hat mich durchaus verletzt und hat mich auch geärgert.

    Liminski: Wo verläuft Ihrer Meinung nach der Graben in der Familienpolitik, zwischen den Parteien oder zwischen dem politischen Berliner Establishment und der Bevölkerung?

    Mixa: Für meine Begriffe verläuft der Graben vor allen Dingen darin, dass Ehe und Familie in unsere Gesellschaft nicht mehr das Thema Nummer eins darstellen. Und für mich unabhängig von der Partei ist Ehe und Familie das entscheidende Hoffnungszeichen für die Zukunft eines Landes und eines Volkes. Familie ist kein Auslaufmodell, sondern Familie ist Hoffnungsträger für die Zukunft und auch Garant für eine gewisse menschliche und natürlich auch arbeitsmäßige und wirtschaftliche Zukunft. Und ich habe auch immer darüber gesprochen, dass die Arbeitspolitik familienfreundlich ausgerichtet bleiben muss, und dass eben auch den Eltern eine Wahlfreiheit ermöglich werden muss, ob sie jetzt die Kinder die ersten Lebensjahre selber erziehen oder einer Fremdbetreuung teilweise übergeben, was manche Eltern tun müssen, zum Beispiel alleinerziehende Frauen oder Väter oder sozial schlechter gestellte Mütter.

    Liminski: Was brauchen denn die Familien? Ich darf in diesem Zusammenhang mal Papst Johannes Paul II. zitieren, der gesagt hat: Die Mutterschaft, all das, was sie an Mühen mit sich bringt, muss auch eine ökonomische Anerkennung erhalten. Eine Anerkennung, die wenigstens der anderer Arbeiten entspricht, von denen die Erhaltung der Familie in einer derart heiklen Phase ihrer Existenz abhängt. Brauchen die Familien also eine Art Erziehungsgehalt, so wie Teile der Linken es fordern?

    Mixa: Papst Johannes Paul II. hat mit seiner Aussage zu diesem entscheidenden Thema absolut Recht. Ich habe immer auch davon gesprochen, inwieweit so was zu verwirklichen ist. Das müsste bedacht werden von einem Elterngehalt. Ich habe vor allen Dingen seit Jahren davon gesprochen, dass eine Mutter, die einen Beruf hatte, die aber um ihrer Kinder Willen und auch um des Mannes Willen zu Hause bleibt, um eine Heimat zu schaffen, den Kindern eine menschlich gute, helfende Erziehung zu vermitteln, dass die einen Rentenanspruch hat für das Alter, dass die Zeit, wo eine Frau und Mutter zu Hause geblieben ist, um ihrer Familie willen, dass das mit einem Rentenanspruch dann im Alter zum Tragen kommt, weil die Frau so gesehen für mich ein ganz großer und starker, wenn nicht gar der größte Leistungsträger in unserer Gesellschaft ist.

    Liminski: Die SPD fordert, Kinderrechten Verfassungsrang einzuräumen. Führt das denn zu mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit, vielleicht auch Gerechtigkeit in Deutschland?

    Mixa: Also von dieser Forderung halte ich deshalb nicht sehr viel, weil diese Forderung meines Erachtens nach dann auch in die Ungerechtigkeit umkippen kann in der Weise: Es ist im Grundgesetz verankert, Artikel 6, Absatz 2, dass die Eltern, die ersten sind, die das Recht und die Pflicht haben zur Erziehung ihrer Kinder, und dass diese Tatsache auch vom Staat mit unterstützt und mitgetragen werden muss. Freilich gibt es Situationen, und das wissen wir in der Kirche selbstverständlich genauso wie in staatlichen Institutionen, dass junge Eltern gegebenenfalls auch eine Erziehungshilfe brauchen. Und derartige Erziehungshilfen werden von unseren Beratungsstellen seit Jahren in gut gestalteten Kursen angeboten und den Eltern auf diese Weise eine echte, gute Unterweisung für eine sachgerechte Kindererziehung, soweit sie das brauchen und wollen, gegeben wird.

    Liminski: Also die Elternkompetenz stärken. Aber wie steht es denn mit einem Kinderwahlrecht? Hier und da taucht immer wieder mal die Forderung nach einem so einem sogenannten Familienwahlrecht auf. Selbst im Bundestag wird fraktionsübergreifend debattiert, ob die Eltern in der einen oder anderen Form das Wahlrecht für ihre unmündigen Kinder ausüben sollten, um deren Interessen vertreten zu können. Schließlich sind sie auch zu deren Unterhalt verpflichtet. Wäre das ein Weg zu mehr Familienfreundlichkeit in Deutschland?

    Mixa: Also diese Frage müsste in aller Ernsthaftigkeit überlegt werden. Es gibt auch innerhalb der Kirche diese Überlegungen und zwar in Bezug auf die Wahl der Pfarrgemeinderäte beziehungsweise der Kirchenverwaltungen. Aber grundsätzlich könnte ich mir ein solches Kinderwahlrecht durchaus vorstellen, um auf diese Weise eben auch die Verantwortung, die die Eltern gegenüber ihren Kindern haben und auch dann die Erziehung der Kinder zu mündigen Staatsbürgern, dass das auf diese Weise gegebenenfalls gefördert wird.

    Liminski: Ist Deutschland noch ein christliches Land?

    Mixa: In Frankreich bekennen sich 76 Prozent der Bevölkerung zum katholischen Glauben. In den angelsächsischen Ländern sind es 72 Prozent, die sich Christen nennen, in den skandinavischen Ländern auch 72 oder 73 Prozent. Bei uns in Deutschland sind es 61 Prozent von der Bevölkerung, die sich als Christen bezeichnen. Es ist also so gesehen vom Prozentsatz her die geringste Anzahl im Verbund der zusammenwachsenden europäischen Länder, in den sich die Bewohner als Christen bezeichnen. Und dennoch würde ich sagen: Von der ganzen Entwicklung unserer Kultur, vor allen Dingen vom Verständnis des Menschenbildes her, dann nicht zuletzt auch von der ganzen Entfaltung der Bildung und der Kunst, das ist ja alles herausgewachsen aus dem christlichen Fundament des Gottesbildes, des Menschenbildes und des Weltbildes, würde ich Deutschland weiterhin als christliches Land bezeichnen - allerdings mit der Herausforderung an uns alle, wie ich das gerne sage, Schluss mit katholischer und christlicher Feigheit, und in Klarheit und mit überzeugenden Argumenten den Glauben als Alternativprogramm allen suchenden und fragenden Menschen anzubieten.

    Liminski: Ihr Kollege, Kardinal Meisner, hat mehrfach gefordert, die CDU solle auf das C verzichten, wenn die Partei das nicht mit Leben erfülle. Teilen Sie diese Auffassung?

    Mixa: Die Auffassung teile ich eben deshalb nicht, weil ich in dieser Bezeichnung der CDU mit dem C nämlich eine ganz starke Herausforderung an diese Partei selber sehe. Denn so lange diese Partei auf das C nicht verzichtet, ist sie geradezu verpflichtet, wenn sie ehrlich sein will, sich eben immer wieder neu am christlichen Menschenbild und an christlichen Lebens- und Erziehungswerten auszurichten. Und das ist geradezu so wie ein Stachel im Fleisch.

    Liminski: Aber mit Meisner und den meisten anderen in der Bischofskonferenz sind Sie doch der Meinung, dass die Abtreibung in diesem reichen Land ein andauernder Skandal ist. Wo ist da das Engagement, der Stachel im Fleisch, von dem Sie sprechen? Vom Protest ist da wenig zu hören. Hat die Kirche sich damit abgefunden, dass es keinen Platz mehr gibt in der Herberge für ungeborene Kinder?

    Mixa: Die Kirche hat sich damit nicht abgefunden. Und meines Erachtens nach sprechen wir in der Kirche zu gesellschaftspolitischen Themen viel zu zahm. Das nehmen heutige Journalisten nicht mehr auf, wenn ich sage: Ich stelle fest einerseits und andererseits. Dann fragen die: Was will jetzt der überhaupt sagen? Und wo ist hier der Inhalt einer Aussage? Das ist uns zu unklar. Das bringen wir gar nicht in die Medien. Hingegen kann und muss ich sagen: Die Kirche ist absolut gegen die Abtreibung. Aber es müsste deutlicher und klarer gesagt werden. Und wir müssten uns ernsthaft überlegen, ob wir nicht verschiedene Lebensschutzgruppen auch in der Öffentlichkeit intensiver und deutlicher unterstützen.

    Liminski: Exzellenz, es sind jetzt fast vier Wochen her, dass Sie keine Schlagzeilen gemacht haben oder keine Schlagzeilen über Sie geschrieben wurden. Vermissen Sie etwas?

    Mixa: Ich vermisse darin gar nichts und zwar aus dem einfachen Grund. Ich bin in keiner Weise, ich bitte um Verständnis für den Ausdruck, mediengeil, das liegt mir überhaupt nicht, sondern wenn ich den Mund aufmache oder mich zu einem Thema äußere, dann muss das Hand und Fuß haben und auch in sich begründet sein.

    Liminski: Das war Dr. Walter Mixa, Bischof von Augsburg. Exzellenz, Danke für das Gespräch.

    Mixa: Ich bedanke mich auch für dieses Gespräch mit Ihnen und wünsche unseren Zuhörinnen und Zuhörern, auch den Kindern und Jugendlichen, die vielleicht dabei gewesen sind, gesegnete und frohe Weihnachten und den spürbaren Schutz und die Liebe Gottes im neuen Jahr 2008.