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Bittprozessionen in Italien
Lass es endlich regnen!

Bittprozessionen sind wieder im Kommen. Etwa in Italien, das gerade einen ausgesprochenen trockenen Sommer erlebt. Dort wenden sich immer mehr Katholiken alten Riten zu - in der Hoffnung ihr Gebet möge Regen bringen.

Von Thomas Migge | 12.07.2017
    Die Folgen des Klima-Wandels sind in Italien schon zu sehen.
    "Der Klimawandel hat vor allem in Italien enorme Folgen, wenn es regnet, dann zerstörerisch heftig", sagt Klimaforscher Mauro Centritto. (imago stock&people)
    Zunächst erscheinen Frauen. Sie tragen Rosenkränze in ihren Händen und singen. Auf die Frauen folgt die städtische Blaskapelle. Es folgt Don Andrea, der katholische Geistliche von Roscigno. Ganz in weiß gekleidet.
    Acht Männer tragen die Madonna, die Maria di Costantinopoli, die Patronin von Roscigno. Eine etwa eineinhalb Meter hohe Holzskulptur. Hinter der Madonna marschieren hunderte Katholiken. Sie bitten um Regen. Sie hoffen, dass ihre Patronin Fürbitte einlegt und sich so endlich die Schleusen des Himmels öffnen und es regnen möge.
    Roscigno in der süditalienischen Provinz Salerno ist eine kleine Ortschaft. Mit nur knapp 1.000 Einwohnern. Ende Juni veranstalteten sie eine Bittprozession für Regen. Eine Prozession von vielen, die in diesen Tagen überall in Italien organisiert werden.
    "Wir müssen unsere Patronin um Hilfe bitten"
    Seit Wochen regnet es so gut wie gar nicht mehr zwischen Mailand und Palermo. Und wenn es denn regnet, dann zu wenig oder so stark und mit so dicken Hagelkörnern, dass Autodächer, Fensterscheiben und Ernten zerstört werden. Auch bei Roscigno ist die Ernte von der wochenlangen Dürre bedroht. Das Trinkwasser wird seit Mitte Juni rationiert. Deshalb rief der katholische Geistliche Don Andrea zu einer Prozession auf, um für Regen zu beten:
    "Das ist eine ergreifende Erfahrung, denn so eine Prozession gibt es ja nicht alle Tage. Angesichts der Dürre, die uns allen zu schaffen macht, müssen wir zusammenstehen und unsere Patronin um Hilfe bitten. Wir sind voller Hoffnung".
    "Auf Italien kommen schwere Zeiten zu"
    Bittprozessionen für Regen werden nicht nur von katholischen Geistlichen organisiert: Ein Bediensteter der Region Venetien war so verzweifelt angesichts des ausbleibenden Regens und der Folgen für die Landwirte der Region, dass er - zu Fuß - von Citadella nach Padua marschierte, rund 40 Kilometer, um beim Heiligen Antonius für Regen zu beten.
    Verständlich, findet Mauro Centritto, Klimaforscher vom Nationalen Wissenschaftsinstitut CNR:
    "Der Klimawandel hat vor allem in Italien enorme Folgen. Das wird hier keine Wüste, aber es wird immer weniger regnen, und wenn es dann einmal regnet, dann zerstörerisch heftig. Auf Italien kommen klimatisch betrachtet langsam aber sicher schwere Zeiten zu".
    Alte Riten - von der Kirche vorschnell ad acta gelegt?
    Eine Realität, auf die die Kirche reagiert. Anders als noch unter Papst Benedikt XVI. gibt Papst Franziskus seinen Segen für Bittprozessionen. Während der deutsche Papst solchen volkstümlichen und volksnahen Riten eher skeptisch gegenüber stand, begrüßt sie Josef Ratzingers Nachfolger aus Argentinien - einem Land, in dem Prozessionen für oder gegen etwas als integraler Bestandteil katholischen Lebens gelten. Oft werden in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern Heilige mit Prozessionen um Fürbitte angerufen. In Italien war dies ein wenig in Vergessenheit geraten. Leider, meint der in Rom lehrende spanische Franziskaner-Theologe Martin Carbajo:
    "Wir sind ja nicht nur Kopf-, sondern auch Herzmenschen. Das bedeutet, dass wir auch im Glauben alle unsere Sinne benutzen sollten, um das zum Ausdruck zu bringen, was uns wichtig ist."
    Eine Kultur, die auch innerhalb der Amtskirche in Vergessenheit geraten war, meint der Theologe. Wahrscheinlich deshalb, erklärt Martin Carbajo, weil man Riten wie diese vorschnell als anachronistisch ad acta legte, weil heidnischen Ursprungs. Dass volkstümliche Bittprozessionen ihren Ursprung in den sogenannten heidnischen Ambarvalia haben, ist für den Theologen kein Problem. Bei diesen römisch-antiken Festen wurden ein Bulle, eine Sau und ein Schaf über die Felder getrieben und später als Tieropfer dargebracht. Die Felder sollten so entsühnt werden. Martin Carbajo:
    "Riten wie diese helfen den Menschen, mit dem Heiligen an sich in Kontakt zu treten. Das hat mit religiösem Fundamentalismus oder Rückwärtsgewandtheit nichts zu tun. Diese Riten haben hingegen viel mit religiöser Kultur, mit Kultur ganz generell zu tun."
    Offiziell hat die katholische Kirche mit Prozessionen für Regen keine Probleme. Die seit 1969 geltenden Regeln der Kirche überlassen es den jeweiligen Ortsbischöfen, Bittprozessionen zu genehmigen. Wann und in welcher Form diese Riten vollzogen werden, ist offen und wird von den Bischöfen entschieden. Sicher ist nur: Sie müssen sich seit einiger Zeit immer öfter mit diesen Bittprozessionen beschäftigen.