Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bizarre Koalition
In Halle koaliert die Linke mit der Titanic-Partei

Eine Mauer um das Plattenbaugebiet und WLAN in den Straßenbahnen: Forderungen des eigenwilligen Parteiprogramms der "Kraft der extremen Mitte", wie sich die Titanic-Spaßpartei in Halle nennt. Da sie mit nur einem Sitz im Stadtrat wenig ausrichten können, koalieren sie jetzt mit der Linken.

Von Christoph Richter | 03.07.2014
    Die Spitzenkandidatinnen der Partei Die Partei Lea Joy Friedel (v.l), Katharina Harling, Anna Bauer, Partei-Chef Martin Sonneborn und Helena Barbas nehmen am 17.09.2013 in Berlin an einer Plakataktion der Partei teil.
    Vor zehn Jahren gründeten einige Redakteure des Satiremagazins "Titanic" die "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative", kurz "Die Partei". (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Das ist die Bluesband "The Blind Flying Dogs". An der Mundharmonika Thomas Schied. Hallenser Politiker der Titanic-Spaßpartei Die Partei. Hausmann Thomas Schied – der sich im Alltag um die vier Kinder kümmert, während seine Frau arbeitet und das Geld heranschafft – hat jetzt eine steile Karriere als Politprofi vor sich. Mit den schulterlangen etwas angegrauten Haaren, die er zum Zopf gebunden hat, dem grauen Anzug und der etwas verwurstet geknoteten roten Krawatte, sieht er aus, wie ein in die Jahre gekommener Hippie.
    1.700 Wähler haben ihr Kreuzchen bei der "Kraft der extremen Mitte" gemacht, wie sich die die Titanic-Partei in Halle selbst nennt. 0,8 Prozent seien zwar nicht ganz "die 100 plus X", die man sich vorgenommen hatte, räumt Schied ein.
    "Wir wollen die Macht, das ist, was die Politik möchte. Hallo! Das sind so die Kollegen von den anderen Fraktionen. Ja."
    Während andere ehemals große Parteien – wie die FDP - klein aufhören, so Politnovize Schied, gehe die Titanic-Spaßpartei den anderen, den umgekehrten Weg. Man starte ganz klein, um später mal groß rauszukommen. Jetzt erst mal rüttelt man am Tor des Hallenser Rathauses. Mit einem etwas eigenwilligen, andere sagen – lustigen Parteiprogramm.
    1.700 Hallenser haben ihr Kreuzchen bei der Titanic-Partei gemacht
    So wird die Abschaffung der Umweltzone gefordert, stattdessen soll eine PKW-Maut für Fahrzeuge aus dem Umland eingeführt werden. Um das Plattenbaugebiet Halle-Neustadt soll eine Mauer gebaut werden. Den öffentlichen Nahverkehr will Schied attraktiver machen und hat sehr eigene Vorstellungen.
    "Deshalb wollen wir in Halle Raucherabteile und WLAN in der Straßenbahn."
    Weil Politik allein aber ein bisschen langweilig ist, weil man als Solo-Künstler und einzelner Abgeordneter auf der politischen Bühne eben wenig ausrichten kann, wie er schnell erfahren hat, koaliert er nun mit den Linken.
    "Es muss ja irgendetwas bringen. Ich weiß nicht, inwieweit Die Partei unsere Linie mitverfolgt. Da wird's doch immer gegensätzliche Auffassungen geben. Für Lust können wir auch bei uns selber sorgen."
    Linken-Stadträtin Birgit Leibrich. Anders sieht es Fraktionschef Bodo Meerheim, der einst in der Sowjetunion das Fach Wissenschaftlichen Kommunismus studiert und später darin auch promoviert hat. Für ihn ist eine Koalition mit dem Spaßvogel von der Titanic-Partei völlig unproblematisch. Denn mit absurden oder bizarren Forderungen haben die Linken doch gelernt umzugehen, sagt Meerheim mit Blick auf Berlin. Und grinst.
    "Politik kann Humor vertragen"
    "Er ist Satiriker. Und Satire ist ja gemeinhin eine Dichtung, die über Zustände und Missstände sich in spöttischer Art artikuliert. Und Satire sollte man ernst nehmen, insofern passt er auch zu uns. Humor passt auch zur Politik. Und ein bisschen Humor kann die Politik auch vertragen."
    Doch zu lustig, zu anarchisch darf die Spaßpartei für den Ex-SED-Genossen, wie Bodo Meerheim natürlich aber nicht sein:
    "Wenn wir miteinander nicht klar kommen, dann kann es den Punkt geben, dass er oder wir sagen: Du, tut uns leid. Dann ist es eben so."
    Ob Politik nun der Lächerlichkeit preisgegeben werde? Quatsch sagt Rudenz Schramm. Er war einst inoffizieller Mitarbeiter bei der Staatssicherheit, jetzt sitzt er für die Linken im Hallenser Stadtrat.
    "Also, wenn die Forderung heißt, die Hochstraße muss weg, die sehr wichtig ist, damit man die Franckesche Stiftung sieht und die sagen einfach, die Franckesche Stiftung muss weg, damit man besser die Hochstraße sieht; dann relativiert sich der Blick ein bisschen. Das finde ich gar nicht so uninteressant. Darüber wird man ernsthaft diskutieren."
    Thomas Schied verweist gern auf den isländischen Komiker Jón Gnarr, der mit seiner "Die beste Partei" vor vier Jahren die Oberbürgermeister-Wahlen in Reykjavik gewann und sich damit in Island schnell Respekt erarbeitet hat. Und genau das will Thomas Schied in Halle auch. Ist aber alles nur ein Zwischenschritt, sagt er noch. Denn 2016 will er auch bei den Landtagswahlen kandidieren. Aber ein Spaßpolitiker, dass will er am Ende doch noch mal ganz ausdrücklich betonen, ein Spaßpolitiker, der sei er ganz und gar nicht.
    "So habe ich das Problem, ich kann mir gar keine Witze merken. Deswegen bin ich auch nicht in die FDP gegangen. Wenn ich jetzt ein Spaßpolitiker wär, dann hätt ich mich da beworben."