Freitag, 29. März 2024

Archiv

"Black Archive" im Kunsthaus Bregenz
Theaster Gates enttarnt weißen Rassismus

Wulstige Lippen, krauses Haar, dicker Po - der Künstler Theaster Gates sammelt Werke, in denen Schwarze in rassistischer Absicht dargestellt sind. Dem Afroamerikaner Gates geht es um Klischees in den Köpfen und ihre Veränderbarkeit. Mit seiner Ausstellung "Black Archive" im Kunsthaus Bregenz regt er das Publikum an, über Rassismus nachzudenken.

Von Christian Gampert | 23.04.2016
    Farbfoto, Portrait eines schwarzen englischen englische Künstlers, Theaster Gates in seiner Installation in Temple Church, Bristol 2015
    Der englische Künstler Theaster Gates in seiner Installation in Temple Church, Bristol 2015 (Imago/ Zuma Press)
    Theaster Gates versetzt die europäischen Zuschauer mit der zentralen Installation dieser Ausstellung in nicht geringe Verlegenheit: wir treten auf eine wippenartige Konstruktion und bringen damit eine vier Meter hohe Puppe zum Tanzen; sie vollführt lächerliche Bewegungen, ihre Glieder baumeln herum, neckisch nickt sie mit dem großen Kopf. Die bewegliche Skulptur ist ein Schwarzer, ein Minstrel. Wir, die Weißen, lassen die Black People tanzen. Um es noch komplizierter zu machen: in den amerikanischen Minstrel-Shows traten zumeist Weiße auf, die sich schwarz geschminkt hatten und vermeintlich typische Verhaltensweisen fröhlicher Sklaven karikierten. Aber auch "echte" Schwarze machten bei diesen entwürdigenden Shows mit.
    Vorbild für Theaster Gates‘ Riesen-Tänzer ist eine reale, 30 Zentimeter hohe Puppe, die der Künstler zusammen mit vielen anderen Sammlerstücken, "Negrobilia", gekauft hat. Gates sammelt Werke, in denen Schwarze dargestellt sind, meist in verharmlosender oder aber verletzender Absicht, mit angeblich typischen Merkmalen wie wulstige Lippen, krauses Haar, dicker Po. Die kleine, 30 Zentimeter hohe Puppe ist weißer Rassismus in Form von Verniedlichung der Ausgegrenzten; Theaster Gates konterkariert diese Strategie, indem er die possierliche Figur ins Riesenhafte aufbläst. Da steht sie nun, immer noch ein Minstrel, aber bedrohlich wie ein Gott, der uns strafen wird.
    Bregenzer Exponate hat Gates vor Ort gefertigt
    Theater Gates macht schwarze Kunst. Sein Vater war Dachdecker; in diesem Beruf wird mit Dachpappe, schwarzer Teerpappe gearbeitet. Teer riecht – im Erdgeschoß des Bregenzer Kunsthauses ist eine ganze Batterie von solchen Pappen installiert. Daneben tanzt, in einem von Gates bearbeiteten Film von 1935, der weiße Kinderstar Shirley Temple mit dem farbigen Schauspieler Bojangles Robinson; drumherum stehen billige schwarzafrikanische Masken, wie sie kunstsammelnde Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg gern erwarben. "Black Archive" heißt die Ausstellung – das bedeutendste Archiv für Gates ist seine Sammlung - aber auch sein Körper. Die Körper-Erfahrungen spiegeln sich in seiner Kunst. Theaster Gates Werke sind geprägt von Arbeit, Maloche, sie sind Sprachrohr der kleinen Leute.
    Fast alle Exponate der Bregenzer Ausstellung wurden vor Ort gefertigt: die große Minstrel-Puppe, der monströs aufgeblasene und mit Teer übergossene Kopf einer schwarzen Babypuppe; die Bücherwände, in denen gebundene Jahrgänge einer amerikanischen, Readers-Digest-artigen Zeitschrift für Schwarze versammelt sind; die abstrakten Werke, in denen dunkle Dachpappen auf große, meist rechteckige Holzflächen aufgebracht sind: aus den Ritzen, wo die Pappen abschließen und überlappen, quillt die hartgewordene Flüssigkeit, der Teer, der von Gates mit einem Brenner erhitzt wurde – man sieht die Schmauchspuren, man sieht den Dreck, man sieht die handwerkliche Arbeit.
    Es geht um die Welt der Maloche
    Natürlich fallen uns sofort kunst- und geistesgeschichtliche Bezüge ein: bei Gates‘ Puppe denken wir an Kleists Marionettentheater, bei seinen quadratischen Installationen, die gebundene Bücher als Farbträger nutzen, denken wir an Josef Albers serielle Farbübungen von "Hommage to the Square"; bei den rauen, kratzigen, düsteren Bildern mit dem herausquellenden Teer denken wir an abstrakte Malerei und vor allem an die monochromen Variationen von Mark Rothko.
    Es gilt aber, all dies zu vergessen und sich der puren Gegenständlichkeit dieser Werke zu überlassen. Theaster Gates, der nebenbei auch ein großer Kurator und politischer Organisator ist, meint es ernst: es geht um die Welt der Maloche und Schufterei, um Material wie Gummi, Teer, Sand, es geht um Klischees in den Köpfen und ihre Veränderbarkeit. Dass die Arbeiten nebenbei auch eine Aura haben, ist schön. Für den Künstler ist es nicht das Wichtigste.