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Blatters Wiederwahl
"In den Laden muss unbedingt Transparenz kommen"

Eine nachdrückliche Bekämpfung von Korruption und mehr Transparenz fordert der Berater des UNO-Generalsekretärs für Fragen des Sports, Willi Lemke von der FIFA. Andernfalls drohe dem Fußball weiterer Schaden, sagte Lemke im DLF. Für das nur zaghafte Opponieren des europäischen Fußballverbands zeigte er Verständnis.

30.05.2015
    Willi Lemke, UNO-Sonderberater für Sport
    Willi Lemke, UNO-Sonderberater für Sport (imago/nph)
    Peter Kapern: Herr Lemke, ein Neuanfang mit Sepp Blatter, ist Ihnen da eher zum Lachen oder zum Weinen zumute?
    Willi Lemke: Na, ich glaube, ich bin sehr traurig über das, was da passiert ist in den letzten Tagen, weil es ja nicht nur der FIFA und dem Präsidenten sehr schadet, sondern dem gesamten Sport weltweit ist da Schaden zugefügt worden durch die Vorkommnisse. Ich kann darüber überhaupt nicht lachen, ich kann eher sehr traurig darüber sein und muss in dieser Frage – ich hab ja eben sehr genau zugehört – der Kanzlerin voll zustimmen in dieser Frage. Es muss hier der Korruption der Kampf angesagt werden, das ist jetzt offensichtlich konsequent durchgeführt worden durch die amerikanischen Steuerbehörden, und zweitens muss unbedingt Transparenz in den Laden reinkommen, damit man sieht, wie die Geldströme in dieser großen Organisation laufen, damit der Fußball, das Spiel nicht weiter Schaden nimmt.
    Kapern: Sie haben gerade die Kanzlerin schon angeführt, stellen wir doch mal einen Gedankenspiel an und übertragen das dann auf die FIFA: Wenn die Hälfte der Bundesregierung wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet würde und die Kanzlerin würde mit der Begründung im Amt bleiben, ich kann ja nicht auf jeden aufpassen, was würde das bedeuten?
    Lemke: Es ist schlichtweg unvorstellbar.
    Kapern: Aber genauso ist es bei der FIFA möglich oder passiert. Warum ist es dort vorstellbar?
    Lemke: Das liegt wahrscheinlich an der gesamten Struktur. Sie kennen das Prinzip, dass es jedes Land, jede Förderation, egal ob es zwei Clubs auf der Südseeinsel gibt oder eine große Organisation wie der DFB mit der DFL für den Profifußball dahinter, eine Stimme gibt auf den großen Kongressen. Und Sie wissen auch, dass die FIFA – was ich übrigens absolut begrüße – auch den kleinen Verbänden größere Beträge zur Verfügung stellt, sag ich mal. Wenn du 250.000 oder 450.000 Dollar bekommst als kleiner Verband auf einer eben zitierten Südseeinsel, dann ist das sehr, sehr wichtig für diesen Verband, damit den Spielbetrieb zu unterstützen und durchzuführen. Das ist also durchaus positiv. Aber dadurch entstehen logischerweise auch Abhängigkeiten, denn rein theoretisch könnten ja auch nachfolgende Personen oder Organisationen sagen, na ja, also so mit der Gießkanne, wie das Herr Blatter gemacht hat oder diejenigen, die dahinter die Verantwortung haben, werden wir es in Zukunft nicht mehr machen. Ihr seid so klein und so unbedeutend, ihr gehört gar nicht mehr zum Konzert und ihr findet auch nicht mehr statt.
    Kein Maulheldentum der UEFA
    Kapern: Das heißt, wenn ich da kurz nachfragen darf, diese Zahlungen hängen ab vom Gutdünken der FIFA-Führungsspitze und sind nicht sozusagen systematisch in den Statuten und Regularien der FIFA verankert.
    Lemke: Nein, selbstverständlich können Statuten und Verhaltensmuster geändert werden. Und wenn jetzt gesagt wird – und ich hab das in den letzten Tagen sehr häufig gehört –, lasst uns das doch mit den Stimmen umstrukturieren, der europäische Verband, die UEFA, wissen Sie. Es ist ja der Träger eigentlich des Weltfußballs. Hier sind die größten Umsätze, hier ist die größte Potenz, die meisten Vereine, die meisten Spielerinnen und Spieler, sind aber im Vergleich zu den anderen Verbänden von den Stimmen her überhaupt nicht relevant. Das konnte man ja gestern genau sehen. Wenn es dort eine andere Struktur gegeben hätte, würde das gestern ganz anders ausgegangen sein. Aber die Gremien der FIFA, die können doch bestimmen, ob sie jetzt in Zukunft an die einzelnen Mitgliedstaaten mehr oder weniger ausschütten, das ist doch Sache der Führungsgremien.
    Kapern: Aber Herr Lemke, jetzt muss ich noch mal ein Beispiel aus der politischen Realität anführen, damit wir dieser Sache noch weiter auf den Grund gehen können. Auch Bürgermeister in Deutschland sind darauf angewiesen, dass sie Geldzuweisungen aus der Kasse der Länder oder des Bundes bekommen, deswegen werden aber doch nicht alle Bürgermeister korrupt.
    Lemke: Nein, natürlich nicht.
    Kapern: Warum ist das bei der FIFA anders?
    Lemke: Nein, wir müssen etwas differenzieren. Wenn ein Präsident aus einer Südseeinsel für seinen Verband 400.000 Dollar bekommt von der FIFA für die Durchführung des Spielbetriebes der Organisation und dieses Geld gibt er für diese Spielorganisation aus, für seinen Verband, ist das völlig korrekt und in Ordnung. Und dann kann die FIFA als übergreifendes Gremium mit den entsprechenden Vorständen und Kommissionen entscheiden, ob das anders verteilt wird, mehr ausgegeben wird oder weniger ausgegeben wird. So wie die Bundesregierung zum Beispiel sagen kann, Elmau – diese Veranstaltung der G7-Gipfel – kostet unsere Steuerzahler 300 Millionen. Das ist Sache der Bundesregierung, das auszugeben, und dann entscheidet sie, das zu machen oder nicht zu machen. Das heißt, die Regierung des Weltfußballs in der FIFA kann entscheiden, ob sie auf die Tongainseln 200-, 300- oder 400.000 Dollar gibt. Solange das für den Sport ausgegeben wird, ist es völlig in Ordnung. Aber sobald einer derjenigen, die dort die Verantwortung haben, 200.000 Euro davon abzwacken für andere Dinge, die mit dem Fußball dieser Insel überhaupt nichts zu tun haben, ist das schwer zu verurteilen und zu verfolgen, und da sind entsprechende Konsequenzen zu ziehen, so wie es jetzt die amerikanischen Steuerbehörden im Fall der sieben betroffenen Funktionäre gemacht haben.
    Kapern: Jetzt haben Sie ja gerade, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gefordert, dass die Stimme der Europäer gewichtiger werden muss in der FIFA. Wenn man sich aber mal die Europäer in den letzten Tagen anschaut, Michel Platini beispielsweise, der UEFA-Chef, der hat am Tag vor der Wahl noch über einen Boykott der Abstimmung bramarbasiert, und davon war dann kurz darauf keine Rede mehr. Ist das Maulheldentum bei der UEFA?
    Lemke: Nein, das glaube ich nicht, dass es Maulheldentum ist, sondern dass die diese Realität sehen. Was hätte es denn bedeutet, wenn jetzt die UEFA sich zurückgezogen hätte von dem Kongress? Es wäre niemals durchzusetzen gewesen, dass der Kongress vertagt worden wäre. Wenn da so viele Mitglieder anreisen, das ist ja auch ein riesiger finanzieller und organisatorischer Aufwand, so eine Veranstaltung hinzubekommen. Da zu sagen, wir verschieben den mal vier Wochen, hätte ja auch überhaupt nichts gebracht an der Veränderung der Strukturen.
    "Warum wird das nicht transparent behandelt?"
    Kapern: Aber es fällt doch auf, Herr Lemke, gestern bei der Aussprache vor der Wahl, da hat sich nicht ein einziger Europäer zu Wort gemeldet und ein Scherbengericht angerichtet über die Zustände in der FIFA, niemand hat ein Wort gesagt.
    Lemke: Das ist mir auch aufgefallen, das ist mir übrigens mehrfach schon aufgefallen, dass man vorher in verschiedenen Interviews ganz andere Töne anspricht oder Dinge anspricht als dann auf dem Kongress. Ich weiß nicht, da müssen Sie das nicht mit mir bereden, das müssen Sie dann mit den Verantwortlichen der UEFA bereden, die jetzt auch in verantwortlicher Stelle sitzen in den Gremien der FIFA – die müssen Sie fragen, warum die kritischen Dinge, die wir jetzt gerade am Telefon besprechen, völlig zu Recht am Telefon besprechen, warum da dann nicht die Vertreter der UEFA und anderer Verbände vorgetreten sind und dieses konkret angesprochen haben. Und ich sag's noch mal: Die Korruption muss nachdrücklich bekämpft werden, und es ist dringend erforderlich, dafür die Transparenz herzustellen. Wie sind die Mittelflüsse, wie sind die Zuflüsse, die Abflüsse, warum sind da so viele Fragezeichen und warum wird das nicht transparent behandelt?
    Kapern: Willi Lemke, der Berater des UN-Generalsekretärs für Fragen des Sports, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Lemke, vielen Dank, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten, ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Joggen. Sie hatten mir vorhin erzählt, dass Sie sich jetzt auf die Runden machen. Einen schönen Tag, tschüss!
    Lemke: Ihnen auch!
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