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Blaues Blut und Blaue Farbe

In dem Roman "Out of Adel" erzählt die Autorin Christine Gräfin von Brühl, was passiert, wenn sich eine Adelige in einen Künstler verliebt. Leider ist das Werk sehr harmoniegesättigt und selbstgenügsam.

Von Sabine Peters | 20.11.2009
    Dieser Roman ist ein unverbesserlich arroganter, selbstgerechter Insiderbericht aus einer überkommenen Parallelgesellschaft, deren Mitgliedern keinesfalls an Integration gelegen ist; diese Gemeinschaft sollte jedem Bürger Anlass zur Sorge geben. Falsche Deutung. Dieser Roman ist ein zu Herzen gehendes, aufrüttelndes Plädoyer, Minderheiten wahrzunehmen, zu respektieren und vor allem zu begreifen, wie arm man ohne sie aussehen würde.

    Die Ich-Erzählerin wird in eine kinderreiche Großfamilie hineingeboren. Man ehrt die Traditionen und erinnert sich gern an die Vorfahren. Es gibt strenge moralische Vorschriften, die Jungen respektieren den Rat der Älteren, die Frauen halten sich ein wenig zurück. In dieser weit verstreuten Großfamilie hilft man sich gegenseitig, vor allem, wenn es um eine angemessene Heirat geht: Die Menschen möchten unter sich bleiben und ihr bescheidenes, aber ehrbares Leben ungestört von den hektischen Zeitläufen verbringen. Die Parallelgesellschaft, in der die Erzählerin aufwächst, ist der Adel – und sie selbst passt spätestens dann nicht mehr in diese exklusiven Kreise, als sie sich in den Künstler Schrat verliebt.

    Die Autorin Christine Gräfin von Brühl, Jahrgang 1962, weiß aus eigener Lebenserfahrung, über welchen Stand sie spricht. Ihr Roman unter dem Titel "Out of Adel" atmet eine Ruhe, die unsere hastige Zeit nicht kennt. So können sich die vielen Wiederholungen in diesem Buch auch dem gemeinen bürgerlichen Leser einprägen. Wie oft versichert von Brühl, dass der Adel und seine Privilegien 1918 abgeschafft wurden – man muss es wohl endlich glauben. Und doch, der Adel lebt. Schon die Kinder lernen möglichst frühzeitig zwischen dem Gewicht eines Silberlöffels und dem eines einfachen Tischbestecks zu unterscheiden. Sie lernen die Achtung vor kostbaren Gegenständen. Die Bürgerlichen, von denen sich der Text scharf abgrenzt, sollen sich das aristokratische Leben allerdings nicht zu einfach vorstellen: Man erfährt, dass die Schlösser doch oft sehr zugig sind, und auch bei Adeligen treten Arbeitslosigkeit, ja sogar Krankheit und Alter auf. Selbstverständlich kann eine Adlige keinen Bürgerlichen heiraten – aber ein Künstler ist vielleicht noch etwas anderes.

    In den Künstlerkreisen um Schrat scheinen die Leute eine Art Fremdsprache zu beherrschen; die Autorin kennt das Phänomen aus den eigenen Kreisen: Die Gespräche unter Adeligen sind für Außenstehende unverständlich. Blaublütler sind allerdings im Gegensatz zu Künstlern sozial veranlagt und vermeiden ihre eigene Ausdrucksweise, wenn ein Bürgerlicher dabei ist. Zwischen Schrat und der Erzählerin gibt es weitere Parallelen: Er, dessen Eltern Zeugen Jehovas sind, kennt wie sie strenge Regeln, und wie sie hat er sich aus dem überlieferten Regelwerk gelöst. Aber hat sich die Erzählerin gelöst?

    Der Mensch kann seinen Ursprüngen nicht entkommen, solche und andere Lebensweisheiten teilt sie dem Leser nur zu gern mit. Ihre aufflackernden Bedenken, sich außerhalb des eigenen Standes zu binden, werden von einer wohlmeinenden Cousine unterstützt: Wenn sie heirate, verstoße sie gegen die Gesetze der Gemeinschaft. Sie sei doch eine von "uns", sie kenne die Umgangsformen und Rituale, werde sie "draußen" vermissen, sie werde sich heimatlos fühlen und mutlos sein. Bei so viel verschwörerischem Augenzwinkern kann der Leser unbesorgt sein: Die Liebe triumphiert schließlich doch gegenüber allen Standesschranken.

    Das Buch "Out of Adel" strotzt nur so von Ignoranz "den Bürgerlichen" gegenüber, und so etwas wie einen dritten Stand, so etwas wie das Prekariat oder die Überflüssigen gibt es überhaupt nicht. Eine sogenannte "weltoffene Erziehung" hat die Hauptfigur zwar bis tief in die journalistische Arbeit bei der "Sächsischen Zeitung", und lang vorher schon durch aller Herren Länder geführt - aber ihr Bewusstsein ist in einer erzkonservativen, adeligen Herren- und Damensphäre stecken geblieben.

    Das schließt nicht aus, sich gelegentlich unters Volk zu mischen und beispielsweise an der großen Friedensdemonstration in Bonn teilzunehmen; abends walzt sie dann auf einem Ball in Idar-Oberstein. Ein schillerndes Leben tut sich vor dem überraschten Bürger auf, der nicht einmal zu denken wagt: Auch Aristokraten essen Fischstäbchen. Doch, ja, es ist sehr schön, wenn die Protagonistin zumindest äußerlich in zwei verschiedenen Welten zu leben meint. Aber muss es in dem Roman kokett heißen, sie schwebe dazwischen "wie ein bunter Schmetterling"?

    Noble Erziehung im Elternhaus und auch ein geisteswissenschaftliches Studium schützen offensichtlich nicht davor, quälend langatmig Sentenzen zu verbreiten, unpassende Vergleiche zu formulieren und Sätze zu fabrizieren wie diese: "Die Sonne lachte vom Himmel." "Die wehenden Baumwipfel schienen uns freudig zuzuwinken". Auch der Angebetete erstrahlt in dem Roman in schönstem Licht, da heißt es dann: "Ich sah die großen Augen, sein markant geschnittenes Profil, die vollen Lippen." Und: "Kaum aus dem Zug gestiegen, erkannte ich schon seine hohe, schlanke Gestalt."

    Ein harmoniegesättigtes, gefälliges, selbstgenügsames Buch, so richtig dafür gemacht, in den entsprechenden Kreisen herumgereicht zu werden.

    Dabei lässt sich, auch das eine Sentenz, nie eine Menschengruppe über einen Kamm scheren.

    Oder will man doch ganz gerne gleich so weit wie der hellwache Spötter Heinrich Heine gehen? Der Teufel, der Adel und die Jesuiten existieren nur so lange, als man an sie glaubt, schrieb er. Die Autorin dagegen ist sich in ihrem verschlafenen Roman hinsichtlich der Aristokraten sicher: "Die Welt, der sie entstammen, war schon immer da, und sie wird auch ewig bleiben."

    Gute Nacht.

    Christine Gräfin von Brühl: "Out of Adel", Gustav Kiepenheuer Verlag 2009, 200 Seiten, 18,95 Euro