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Blendfreies Fernlicht

Technik. – Im Dunkeln ist es im Straßenverkehr am gefährlichsten. Fußgänger und Radfahrer werden nur ungenügend angeleuchtet, der Gegenverkehr dagegen oft geblendet. Wissenschaftler der Universität Hannover entwickeln jetzt zusammen mit einem Autozulieferer das "blendfreie Fernlicht".

Von Michael Engel | 09.11.2007
    Testfahrten mit dem Volvo finden nur bei Dunkelheit statt. Und deshalb fallen die beiden Koffer vorne an der Stoßstange nächtens normalerweise kaum auf. Im rechten Kunststoffgehäuse stecken Radargeräte, Infrarotscanner und Steuerungselektronik: Hier werden die Informationen über das Umfeld des Autos gewonnen. Im linken Koffer sitzt der eigentliche Scheinwerfer – eine monströse Konstruktion aus Xenon-Brenner, Umlenkspiegeln und Linsen. Wer im Auto fährt, sieht alles hell, sehr hell sogar, denn das sonderbare Fahrzeug fährt stets mit Fernlicht. Allerdings: "Ohne zu blenden", so Professor Jörg Wallaschek, Leiter des Instituts für Dynamik und Schwingungen der Universität Hannover.

    "Wir sitzen in dem Fahrzeug, das das aktive Lichtsystem hat. Dann stellt sich für uns die Situation so dar, dass die gesamte Szenerie mit Fernlicht ausgeleuchtet ist. Lediglich dort, wo das vorausfahrende Fahrzeug ist und wo wir über den Rückspiegel den Fahrer blenden könnten, dort wird die Lichtverteilung soweit reduziert, dass eben die Blendwerte nicht überschritten werden."

    Auch die entgegen kommenden Fahrzeuge werden nicht geblendet, weil dass Fernlicht exakt in diesem Bereich abgedunkelt wird. Nur direkt daneben und rings herum sieht es wieder gleißend hell aus. Möglich ist das gezielte Fernlicht durch sogenannte "Mikrospiegelchips". Es handelt sich dabei um Computerchips, drei mal vier Zentimeter groß und auf einer Seite komplett verspiegelt. In Wahrheit sind es aber drei Millionen winzige Einzelspiegel, die elektronisch angesteuert und unabhängig voneinander gedreht werden können. Wallaschek:

    "Fast jeder hat heute schon einen Beamer gesehen, mit dem man Power-Point-Präsentationen in Vorträgen dann an die Wand projiziert. Damit kann man auch Videofilme projizieren. Und damit kann man natürlich, wenn man das entsprechend umarbeitet, auch Licht auf die Straße projizieren. Und genau das haben wir gemacht. Wir haben im Grunde den Spiegelchip aus einem Beamer genommen und um ein optisches System ergänzt, das die nötigen hohen Beleuchtungsstärken erzeugt und mit einer Primär- und Sekundäroptik dann auf die Straße projiziert."

    Obwohl ein einzelner Mikro-Spiegel nur zwei Hundertstel Millimeter misst, ist die von ihm projizierte Lichtfläche 100 Meter vor dem Autoscheinwerfer so groß wie eine Badezimmerkachel. Wenn ein Fahrzeug entgegen kommt, dreht die elektronische Steuerung nur diejenigen Spiegel zur Seite, die den heran nahenden Autofahrer blenden würden. Auch voraus fahrende Fahrzeuge bleiben ausgespart, selbst bei mehrspuriger Verkehrsführung. Wallaschek:

    "Es gibt Radarsysteme und natürlich kann man mit Videobildverarbeitung heute eine ganze Menge machen. Und mit all diesen Methoden bekommt das Fahrzeug ein Bild seiner Umgebung. Und aus diesen Sensorsignalen kann man mit Mustererkennung, mit Bildverarbeitung herausrechnen, an welchen Stellen ein entgegen kommendes oder auch vorausfahrendes Fahrzeug sich befindet, und wo man dann eben die Lichtstärke entsprechend reduzieren muss, um die anderen Verkehrsteilnehmer nicht zu blenden."

    Für Fußgänger und Radfahrer haben sich die Ingenieure etwas Besonders einfallen lassen: Alle Minispiegel, die Licht in deren Richtung abstrahlen, werden in Schwingung versetzt – wahlweise 30, 50 oder 100 Hertz – um die Lichtintensität abzusenken. Dass das Licht flackert, nimmt das Auge aber nicht wahr. Im Endeffekt werden Fußgänger frühzeitig erkannt, ohne sie zu blenden.

    30 Testfahrer haben bereits Erfahrungen mit dem "aktiven Licht" gesammelt. Ergebnis: Fantastische Fernsicht auf der einen – keinerlei Blendeffekte auf der anderen Seite. Noch aber ist der Weg zur Serienreife lang. Jetzt steht erst einmal die Alltagstauglichkeit auf dem Prüfstand.