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Blick auf die Bundestagswahl
Was Deutsche in Griechenland bewegt

Wolfgang Schäuble ist vermutlich einer der bekanntesten Politiker in Griechenland. Sein Eintreten für einen harten Sparkurs hat Spuren hinterlassen – das bekommen die Deutschen vor Ort täglich zu spüren. Kein Wunder, dass sie den Wahlkampf in Deutschland genau beobachten.

Von Rodothea Seralidou | 20.09.2017
    Ein Plakat in Athen wirbt für ein "Nein" beim Referendum über das Reformpaket der Geldgeber.
    "Er saugt seit fünf Jahren eurer Blut": Wolfgang Schäuble wird in Griechenland immer wieder scharf kritisiert. (picture alliance / EPA / Orestis Panagiotou)
    Das Haus Koroneos, ein deutsch-griechisches Altersheim in Athen. 38 Menschen wohnen hier, etwa die Hälfte von ihnen Deutsche. Tanja Nettersheim schaut nach dem Befinden der älteren Bewohner in der zweiten Etage des Hauses. Die 42-jährige Heimleiterin ist mit einem Griechen verheiratet und lebt schon seit 17 Jahren in Athen. Trotzdem interessiert sie sich noch immer sehr für das, was in Deutschland passiert:
    "Ich schaue fast ausschließlich deutsches Fernsehen, ich lese auch Tageszeitungen. Ich glaube, ich bin besser informiert über die deutsche Politik als über die griechische."
    Der Ton macht die Musik
    In den letzten Jahren war vor allem die Schuldenkrise das bestimmende politische Thema in Griechenland. Dabei sei eine gewisse Härte gegenüber der Athener Regierung richtig, sagt die gebürtige Kölnerin. Aber, so ihre Kritik: Oft macht der Ton die Musik.
    "Natürlich wurden Fehler gemacht, aber es ist nicht in Ordnung ein Land so maßzuregeln und so zu demütigen. Für mich ist der allerschlimmste Satz: "Sie müssen ihre Hausaufgaben machen". So spricht ein Lehrer mit einem ungehorsamen Kind aber nicht zwei Länder, die auf Augenhöhe sprechen."
    Merkel und Schäuble sind immer wieder Thema
    Die Konsequenzen der verschlechterten deutsch-griechischen Beziehungen bekommen Tanja Nettersheim und ihre deutschen Kolleginnen tagtäglich zu spüren. Immer wieder werde sie auf Merkel und Schäuble angesprochen, sagt zum Beispiel Anne Diederich. Die dreifache Mutter arbeitet seit einem Jahr als Sekretärin im Haus Konoreos.
    "Am Anfang, da hatte ich auch immer das Gefühl, ich müsste mich jetzt als Deutsche verteidigen. Aber letzten Endes sehe ich das auch gar nicht ein, weil ich die Politik, die von Deutschland gefahren wird, in Bezug auf Griechenland, zu hart finde. Ich sehe es in meinem Stadtteil, dass die Menschen teilweise am Existenzminimum knabbern. Das war früher anders."
    Noch vor einem Jahr saß Anne Diederich innerlich auf gepackten Koffern, wollte zurück in ihre hessische Heimatsstadt Fritzlar, sagt sie. Denn ihr Mann verdiente als Lieferfahrer für Lebensmittel immer weniger und musste immer mehr Steuern zahlen. Erst als sie die Stelle im Altenheim fand, entspannte sich die finanzielle Situation der Familie.
    Auch in Griechenland fällt die Wahlentscheidung schwer
    nter solchen Umständen sei es normal, dass sie die Europa- und Griechenlandpolitik der deutschen Parteien im Auge hat, sagt Diederich. Ihre Stimme hat sie schon längst abgegeben – doch leicht fiel ihr die Entscheidung nicht:
    "Dieses Jahr wollte ich das unbedingt. Ich habe mich aber schwer getan mit der Auswahl. Ich habe das Gefühl, die großen Parteien unterscheiden sich nur im Wahlkampf, aber es gibt keine großen Unterschiede in ihrer Politik."
    Das kritisiert auch Heimleiterin Tanja Nettersheim. Sie befürchtet, dass vor allem die konservativen Wähler der CDU abhanden kommen könnten – Richtung AfD. Dabei sagen beide, zumindest in Sachen Flüchtlingspolitik habe Angela Merkel das Richtige getan.
    Trump und Nordkorea sind wichtiger
    Nicht jeder sieht das so. Christine Dierks zum Beispiel. Sie wohnt im gehobenen Viertel Glyfada und guckt gerade bei sich Zuhause Nachrichten im deutschen Fernsehen. Vor allem die Flüchtlinge sind für sie das Wahlkampfthema Nummer eins:
    "Deutschland hat in den vergangen Jahren 1,7 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, und dass sind nicht einmal die Familienangehörigen. Das ist eine unkontrollierte Zuwanderung. Ich bin für Grenzkontrollen, einfach auch um zu sehen: Wer kommt denn da zu uns?"
    Die 43-jährige Hamburgerin ärgert sich, die Briefwahl nicht beantragt zu haben. Nun sei es zu spät, sagt sie. Dass die nächste Bundesregierung in Sachen Griechenlandrettung eine andere Politik einschlägt und die Beziehungen beider Länder dadurch besser werden – das glaubt sie nicht:
    "Griechenland ist erst einmal sekundär, auch für die neue Regierung. Wir haben von Ost und West so viele Bedrohungen: Trump, was will der eigentlich? Oder auch Nordkorea, für mich eine massive Bedrohung. Ich glaube, das Rettungspaket für Griechenland tritt eher so ein bisschen in den Hintergrund."