Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Blick hinter die Glasfassaden

Der Dokumentarfilmer Andres Veiel ist nach Arbeiten wie "Black Box BRD" bekannt für Tiefenbohrungen. Diesmal hat er 26 ehemalige Entscheider der Bankenwelt zu den Hintergründen der Finanzkrise befragt und aus den unerwartet offenen Gesprächen ein Theaterstück gemacht. Heute Abend wird "Das Himbeerreich" am Schauspiel Stuttgart uraufgeführt.

Von Camilla Hildebrandt | 11.01.2013
    "Ich hab seit 2002 Fragen an das, was hinter diesen Glasfassaden passiert. Ich hatte eine Schlüsselbegegnung damals mit einem Banker, der sagte: Natürlich vermehrt sich Geld immer mehr aus sich selbst heraus, und es wird eine Blase geben, die wird platzen, das heißt, das System zerstört sich selbst, 2002! Und dann fragte ich: Was folgt daraus? Und er sagte: Wir melken die Kuh, solange sie Milch gibt."

    Theaterszene: "Ich hab vor dem Risiko-Ausschuss immer die Frage gestellt: Wie groß ist eigentlich unser Risikoappetit, nennen Sie mir eine Zahl, wie viel Risiko wollen wir eigentlich? Nie eine Antwort bekommen."

    Als die Blase dann platzte, war Veiel klar: Er wollte weit mehr über die Hintergründe wissen, als offiziell bekannt war, Tiefenbohrung betreiben, wie er es nennt. Sein Markenzeichen, das in allen Projekten der Motor ist.

    Theaterszene: "Es war politisch erwünscht, dass wir im Investmentbanking auf Akquise gehen, und da konnte der Blick nur nach Amerika gehen, da wollten wir mitmischen."

    Die Bühne: eine Büro-Etage einer großen, deutschen Bank. Alles in grau gehalten, viel Glas rundherum. Die Deutsche-Theater-Ästhetik trifft hier die Realität – auch wenn in den Bankeranzügen natürlich Schauspieler stecken: Ulrich Matthes zum Beispiel, Jürgen Huth, Susanne-Marie Warge oder Joachim Bißmeier. Sie erzählen, jeder aus persönlicher Sichtweise, wie es zur gigantischen Blase kommen konnte, wie und ob man sie hätte verhindern können, was sie sich vorwerfen.

    Veiel: "Ich bin auf Gesprächspartner gestoßen, die sehr viel Angst haben. Sie sagen: Sie können es mir jetzt mitteilen aber nie öffentlich. Weil sie alle einen Vertrag unterschrieben haben, in dem steht, über Betriebsinterna darf nicht gesprochen werden. Wenn derjenige das doch tut, bekommt er ein Zivilverfahren, Schadensersatzklagen. Und da geht es ja um Summen, die ins Gigantische gehen."

    Aus den Interviews hat Andres Veiel ein Dokumentar-Theaterstück gemacht, das heißt, die Aussagen wurden an manchen Stellen verfremdet, aber nicht verändert. Die reale Struktur der Entscheidungsträger sichtbar zu machen, das sei die Herausforderung gewesen.

    "Und doch wiederum - im Sinne des Informantenschutzes den einen oder anderen sehr konkreten Fall, für den sich die Staatsanwaltschaft interessieren würde -, dann doch wieder so mit anderen Fällen zu vermischen, dass nicht kenntlich ist, aus welcher Bank jemand darüber gesprochen hat."

    Andres Veiel betreibt keine Kapitalismuskritik. Sondern er macht verschiedene Punkte deutlich: Unter anderem die Feigheit der Entscheider gegen die Gruppendynamik zu agieren, den Größenwahnsinn wider besseren Wissens. Eine Kritik am Wachstumsdenken der gesamten Gesellschaft.

    Theaterszene: "Dann kam die entscheidende Sitzung, wo es hieß: fertig verhandelt, jetzt wird abgestimmt. Ich hätte da ganz klar sagen müssen: das ist ein Blindflug, ich stimme dagegen. Und dann seht mal zu, da braucht ihr eine einstimmige Beschlussfassung, da müsst ihr mich aber vorher rauswerfen. Das hätte ich sagen können."

    Veiel: "Ich bin blöde, wenn ich nicht mitmache! Die Regeln kommen nicht von selbst, da muss die Politik den Mut haben, Einschränkungen zu bringen. Auch die rot-grüne Regierung, die haben schon dafür gesorgt, dass die Kreditverbriefungen in großem Umfang gehandelt werden konnten."

    Theaterszene: "Jeden Abend sitzen die da im Borcherts, jeden Abend machen die da Berlin. Und nachts ruft die Kanzlerin noch an und sagt: helfen Sie mir mal, erklären Sie mir das mal. Und wenn es ganz dringend ist, dann kommt der Chef persönlich ins Kanzleramt. Am nächsten Tag haben wir das in den Regierungserklärungen."

    Eine emotionale Gesprächsrunde unter Bänkern mit hochkomplexen Fakten? Veiel ist sich der Problematik bewusst, dass er sein Publikum fordert, möglicherweise überfordert.

    "Wir gehen in sehr komplizierte Deals rein, das ist eine Zumutung, das ist mir klar. Also, mir würde es ja ausreichen, wenn eine Neugierde entfacht wird, danach selbst weiterzulesen. Ich hoffe, dass das Stück trotzdem sinnlich genug. Ich glaube, wenn das gelingt, hört man zu."



    Die Uraufführung von "Das Himbeerreich" ist am 11. Januar 2013 im Schauspiel Stuttgart. Die Berlinpremiere im Deutschen Theater Berlin wird am 16. Januar sein. Die Premieren sind ausverkauft.