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Blick von der Brücke

Mit Starbesetzung ist derzeit Arthur Millers Stück "A View from The Bridge" am Broadway zu sehen. Regisseur Gregory Mosher, der in der Vergangenheit mit Autoren wie Tennessee Williams, Samuel Beckett und Arthur Miller zusammengearbeitet hat, spart sich das Modernisieren und Anspielungen auf heute, sondern setzt ganz auf die Geschichte selbst.

Von Andreas Robertz | 29.01.2010
    Die düstere, neblig-kalte Atmosphäre der New Yorker Docks beherrscht Gregory Moshers Version von "A View from The Bridge": Männer in Schatten, dunkle Hauseingänge, Ziegelsteinwände. Eddie Carbone, ein aus Italien stammender Hafenarbeiter, lebt zusammen mit seiner Frau Beatrice und seiner verwaisten Nichte Catherine in Red Hook. Das Viertel unweit der Brooklyn Bridge ist hauptsächlich von Immigranten aus Sizilien bewohnt. In den späten 50er-Jahren, in denen die Geschichte spielt, regieren dort Korruption, organisierte Schleuserbanden und illegale Einwanderer, die versuchen, bei ihren bereits eingebürgerten Verwandten Unterschlupf zu finden. So lässt auch Eddie den charmanten Rudolpho und seinen stilleren Bruder Marco, zwei illegal eingewanderte Cousins seiner Frau, heimlich in seinem Haus wohnen.

    Während Marco nach Amerika gekommen ist, um schnell Geld zu verdienen, damit er seine kranke Familie in Sizilien unterstützen kann, ist der lebenslustige und ledige Rudolpho mehr an der Freiheit und an einem neuen Leben in Amerika interessiert. Als Catherine sich verliebt und ihn heiraten will, bricht Eddies Welt zusammen. Auch er hat Catherine gegenüber mehr als nur väterliche Gefühle. Von Eifersucht und Verzweiflung getrieben, denunziert er die beiden illegal eingewanderten Brüder bei der Einwanderungsbehörde und bricht damit das ungeschriebene Gesetz des Viertels. Rudolpho darf zwar wegen seiner beabsichtigten Hochzeit bleiben, aber Marco muss zurück. Als er auf Kaution freigelassen wird, beschuldigt er Eddie öffentlich des Verrats. Eddie zieht ein Messer und es kommt zum Kampf, an dessen Ende er mit seinem eigenen Messer in der Brust stirbt.

    Altmeister Gregory Mosher, der in der Vergangenheit mit Autoren wie Tennessee Williams, Samuel Beckett und auch mit Arthur Miller zusammengearbeitet hat, hat gar nicht erst versucht, Millers Stück zu modernisieren oder mit Anspielungen auf dessen heutige Aktualität zu versehen. In einem einfachen Drehbühnenbild und Kostümen der 50er setzt er ganz auf die Geschichte selbst. Mosher lässt seine Schauspieler mit gebeugten Rücken, langen Blicken, schnellen Gängen und knappen Gesten die Atmosphäre des heimlichen Verlangens, des Misstrauens und der Angst verkörpern. Sie geben dem Stück seine fast unerträgliche Spannung. Liev Schreiber, der zuletzt als der jüdischer Partisan Zus Bielski in dem Film "Defiance" oder als Wolverines Gegenspieler "Sabretooth" zu sehen war, spielt Eddie Carbone mit der Mischung aus emotionaler Wärme, dunkler Getriebenheit und physischer Unberechenbarkeit, die diese Figur so interessant machen. Scarlett Johansson, die ihren internationalen Durchbruch als Schauspielerin mit der Rolle der Charlotte in "Lost in Translation" erlebte, legt die junge Catherine in ihrem Broadway-Debüt völlig unprätentiös an. Je mehr sie die wahren Gefühle ihres Onkels bemerkt, desto mehr versinkt ihre unschuldige Neugier in ein Meer der hilflosen Verzweiflung. Dabei spielen beide ihre emotionalen Zustände mit minimalistischer Unaufwendigkeit. Sie erzeugen auf diese Weise, wie auch das sehr gut eingespielte Ensemble, ein Gefühl von Intimität und Normalität, das diesen Abend so besonders macht: keine großen Gesten, kein Geschrei, keine Ausbrüche - nur das stille Treiben in eine unausweichliche Katastrophe. Einzig, wenn am Ende Eddie Marco durch die Nacht entgegen schreit "Gib mir meinen Namen zurück", enthüllen sich die ganze aufgestaute Wut und Verzweiflung.

    Neben seinen vielen Berührungspunkten zur griechischen Tragödie gründet Millers Stück auf einem dichten Gewebe aus politischen und sozialen Themen: illegale Einwanderung, Ausbeutung, Korruption, verbotene Liebe und das unbestimmte aber grundsätzliche Lebensgefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Und so ernüchternd und banal diese Erkenntnis auch sein mag: Was im Amerika der 50er-Jahre galt, gibt es auch heute noch: Neue Armut, ungebremste Korruption und die von interessierter Seite geschürte Angst vor illegaler Einwanderung - trotz großer Versprechen aus der Politik hat sich daran seit den Zeiten von Catherine, Eddie und Rodolpho nichts geändert. Auch deshalb gab es stürmischen Applaus für eine ungewöhnlich leise Inszenierung und ein gelungenes Debüt - von einem New Yorker Publikum, das durchaus gerne einen Hollywoodstar scheitern sieht. Nicht so Scarlett Johansson.