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Blick zurück im Zorn

Matti ist in der Krise, er ist Ex-Alkoholiker und Stoma-Patient, das heißt, er hat einen künstlichen Darmausgang, trägt ständig Beutel am Leib, die seine Ausscheidungen auffangen. Er hasst seine Frau mehr oder weniger, seine Kinder wiederum haben wenig für ihn übrig. Einzig Lena, die Jüngste, die – wie er heraus findet – allerdings nicht von ihm stammt, verehrt ihn abgöttisch.

Enno Stahl | 21.01.2004
    Alles ist aussichtslos, also muss ein Sündenbock her: Matti findet ihn in seiner Elterngeneration, den 68ern, die selbstsüchtig, narzistisch, nur am eigenen Hedonismus interessiert sind, ihn und seine Geschwister mit ihren Befindlichkeiten quälend. Jetzt zahlt er es ihnen heim, mit einer Tirade, vom Furor diktiert. Das umreißt in Kürze den Inhalt von Mikael Torfasons Buch, das einige autobiografische Züge aufweist. Es ist der Roman eines zornigen, jungen Mannes, gewiss, aber was ist der Sinn? Die 68er-Generation, zumindest in Deutschland, ist diskreditiert, das Programm ist gescheitert, die Gesellschaft, für die diese Generation verantwortlich ist, befindet sich in einem Zustand der Lähmung und Stagnation. Warum also einen Leichnam noch prügeln?

    In Island hat das bislang keiner gemacht. Die Transformation zwischen meinen Eltern und meinen Großeltern ist sehr groß. Ich weiß nicht, wie die Situation in Deutschland ist. In Island ist die 68er-Generation die erste, die eine Ausbildung bekommen hat, die alles bekommen hat, die alles für sich fordert. Wenn meine Großmutter uns etwa einladen würde, würde sie uns Kaffee und Schokolade anbieten. Sie selbst würde am Kaffee nippen, die Schokolade aber nur in der Hand halten, die ganze Zeit, ohne sie zu essen, und am Ende des Tages würde sie die Schokolade einem der Kinder geben. Die 68er-Generation hat unsere Schokolade aufgegessen. Meiner Ansicht nach liegt diese Generation nicht am Boden, sondern sie regiert das Land.

    Das mag angesichts der Toskana-Freunde Schröder und Fischer stimmen, auf die Personen, die in Torfasons Buch mit Schimpf und Schande belegt werden, trifft das nicht ganz zu. Denn hier geben sich eher solche Vertreter der 68er ein Stelldichein, die nicht reüssiert haben, die aus schwachen, sozialen Verhältnissen kommen. Richtet der schwerkranke Protagonist Matti seine Wut da nicht gegen die falschen? Können seine Ausfälle so als politisch repräsentativ gelten?

    Auch wenn dieses Buch nicht von mir handelt, ist es doch ein sehr persönliches Buch. Ich selber war Stoma Patient, ich selber komme aus einer solchen Familie, in der Personen entschieden, dass sie das Recht haben, glücklich zu sein, und am Ende unglücklich waren, weil sie alles falsch machten. Als ich das Buch schrieb, habe ich nicht daran gedacht, dass es sehr politisch wäre. Ich habe mich nicht hingesetzt und gesagt: Jetzt mach ich die 68er-Generation fertig! Ich wollte etwas machen, das persönlich ist und mein Blut in sich hat.

    Dass Torfasons Roman also eher eine persönliche Abrechnung ist, mag erklären, wieso er manches Mal übers Ziel hinaus schießt. Mitunter nämlich kübelt er einzelne Vertreter der attackierten Generation derartig nieder, lässt seinen Ausfällen gegen Schwule, Lesben oder sonstwelche Schutzheiligen der politischer Korrektheit freien Lauf, dass das Ganze mitunter etwas leidet. Der schnelllebigen Provokation zuliebe nämlich wird die berechtigte Kritik an den notorischen Auswüchsen psychologisch untermauerter Selbstverwirklichungsstrategien geopfert. Diese findet ihre besten Ausdrücke in den zynischen Charakterisierungen der Nebendarsteller, während die Eltern selbst zumeist durch das Brennglas eines Generalvorwurfs betrachtet werden.

    Wie so oft verbirgt sich hinter der Maske des Zynikers ein gekränkter Moralist. Torfason (und mit ihm sein Hauptdarsteller) wirft der Elterngeneration ihre Verantwortungslosigkeit vor, ihre egoistische Suche nach der eigenen Erfüllung, die sie tun lässt, wozu immer sie Lust hat. Etwa dass man jenen Partner für einen neuen verlässt und diesen wieder für den nächsten, ohne eine ernste Auseinandersetzung zu wagen. Torfason, der Sohn, nimmt darin geradezu eine konservative Position ein. Er verlangt, dass man sich um seine Kinder kümmern soll, selbst wenn man in einer unglücklichen Beziehung lebt, dass man für sich selbst gerade stehen soll, ganz so, wie das in der Generation der Großväter hätte verlauten können:

    Für uns ist das völlig anders. Ich zog sehr jung von zu Hause aus, machte alles allein, bezahlte alles selbst, was sehr schwierig war. Es fiel mir nicht einfach alles zu.

    Könnte darin das Programm für eine gesellschaftliche Erneuerung liegen? In der Wiederbelebung althergebrachter Werte? Ist das eine Absicht des Buches?

    Nein. Ich habe kein System und ich will anderen auch nichts aufzwingen. Ich habe für mich selbst eine hohe, moralische Struktur, die ich für mein eigenes Leben heraus gebildet habe. Aber das ist mein System, und ich würde das anderen Leuten nicht aufzwingen wollen. Das Buch bietet nichts an. Höchstens, dass das Leben hart ist und dass du entscheiden musst, wer du sein willst, und was du den Leuten tun willst, die um dich sind. Also eher ein emotionales als ein politisches Motiv.

    Tatsächlich entlässt Torfasons Roman den Leser in eine gewisse Ratlosigkeit. Grundfesten des vorherigen sind zerstört, aber echte Neukonstruktion zeichnet sich nicht ab. Der Protagonist Matti hätte weiter und weiter wüten können, der Schluss wirkt beinahe zufällig, denn nichts ist an sein Ende gelangt. Sicher, Matti hat seine Depression überwunden, wird mit seiner Frau und den Kindern nach Berlin ziehen, um dort ein Studium aufzunehmen und den Fängen seiner Eltern zu entfleuchen. Doch im Endeffekt ist nichts gelöst, nichts verändert, Sackgasse.

    Mikael Torfason
    Der dümmste Vater der Welt
    Tropen Verlag, 256 S., EUR 18.80