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Blicke in die Unendlichkeit

Sie ist die komplexeste architektonische Form und die einfachste zugleich – die Kuppel. Von außen kündet sie von Bauwerken zur Ehre eines Gottes, innen lenkt sie die Augen der Besucher wie magnetisch nach oben, in Richtung Himmel.

Von Monika Konigorski | 03.10.2013
    Der renommierte amerikanisch-australische Fotograf David Stephenson hat den Blick in die Kuppel auf seinen Fotografien festgehalten. Frontal von unten fotografiert, im immer gleichen Winkel.

    Die Betrachter sehen Strahlen, die auf einen Mittelpunkt zulaufen, wie in der Capella di Pazzi in Santa Croce in Florenz. Lichtdurchflutete konzentrische Kreise wie im Dom zu Padua. Oder farbenprächtige Himmelsvisionen wie in der barocken Wieskirche in Bayern. Kaleidoskope aus Mustern, Formen und Farben, meisterhafte Konstruktionen, deren Symmetrie und Perfektion faszinieren.

    Der Bau, der lange Zeit und immer wieder Vorbild und Inspiration für spätere Kuppelbauten ist, entsteht schon in der Antike. Bis heute ist er perfekt erhalten.

    "Das beweist uns, dass die Kuppelkonstruktion, vor allen Dingen jene der Römer, hervorragend statisch konstruktiv funktioniert hat."

    Das Pantheon in Rom. Norbert Nussbaum, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Köln bewundert wie Meinrad von Engelberg, Kunsthistoriker in Koblenz, die architektonische Meisterleistung der Bauleute aus dem frühen zweiten nachchristlichen Jahrhundert.

    "Ein römischer Tempel, der einzige römische Tempel, der völlig unzerstört über die Geschichte gekommen ist, weil er früh in eine Kirche umgewandelt worden ist. Dieser Raum besteht eigentlich nur aus einer einzigen großen Kuppel. Er hat die Form einer Kugel: Im oberen Teil ist sie als Kuppel ausgeführt, im unteren Teil muss man sich das denken, er steckt in einem Zylinder. Dieser Raum ist genauso hoch, wie er breit ist, nämlich 43 Meter. Und er hat eine Öffnung im Kuppelscheitel, durch diese Öffnung kann man den Himmel sehen, es regnet herein. Also das ist die Kuppel als Himmel schlechthin."

    Norbert Nussbaum: "Er hat einen Vorgängerbau aus augusteischer Zeit, also etwa 100 Jahre früher, das war ein Tempel, der ohne Bedachung, unter offenem Himmel, im Kreisbau konstruiert war. Wahrscheinlich wollte man diesen Vorgängerbau aufgreifen, nun aber unter Dach bringen. Und das ist eigentlich der konstruktive Grund für den Beginn des Kuppelbaus in der römischen Sakralbau-Architektur."

    Die Grundlagen des Kuppelbaus sind jedoch noch wesentlich älter. Im englischen Wort für Kuppel "dome" ist das lateinische Wort "domus" – "Haus" – enthalten, das auf den archetypischen Charakter der Kuppel hindeutet. Die Jurten der Tatarenvölker, die Iglus der Eskimos, frühe kretisch-mykenische und etruskische, überkuppelte Gräber zeigen, wie grundlegend und weltweit verbreitet diese Art des Bauens ist. Aus guten Gründen, sagt Norbert Nussbaum.

    "Besser als auf kreisförmigem Grundriss mit einer halbkugeligen Überformung dieses Grundrisses kann man Raum nicht ausnutzen. Es ist also eine ökonomische Bauform. Zweitens, konstruktiv betrachtet, kann die Kuppel, wenn sie stabil konstruiert ist, sehr sehr große Last aufnehmen. Die gemauerte Kuppel ist ein perfektes Meisterwerk des Verständnisses von Kräften, die in der Natur stattfinden, die man aus der Erfahrung aus dem natürlichen Umraum auf das Bauen überträgt. Die gemauerte Kuppel ist ja eigentlich ein Steinwerk, das sich an Zufallskonstruktionen der Natur orientiert und natürliche Höhlungen und überspannende Konstruktionen im Steinwerk nachbaut. Wenn Sie beispielsweise an Höhleneingänge denken oder große Tropfsteinhöhlen, dann haben Sie Kuppelbauwerke mitten im Gebirge. Letztendlich sind sie das Vorbild sowohl für die gemauerte Kuppel als auch für die massiv gegossene Kuppel."

    Schon die Römer kannten eine Art Naturzement aus leichtem, vulkanischen Tuff- und Bimsstein. Der Naturzement perfektionierte die Bautechnik, so konnte die Kuppel des Pantheons beispielsweise gegossen werden. Es ist nicht genau belegt, dass der Bau als Tempel für alle Götter Roms entstanden ist. Der Name "Pantheon" ist nicht aus der Bauzeit, sondern erst später überliefert.

    "Es kann durchaus sein, dass auch die kaiserliche Familie hier einen Verehrungsort suchte und für sich bauen ließ."

    Aber mit der religiösen Konnotation wurde der Rundbau berühmt. Für Norbert Nussbaum ist es kaum verwunderlich, dass die Bauform der Kuppel mit diesen Bedeutungen versehen wird.

    "Eine Kuppelkonstruktion bietet sich deswegen zu einer bedeutungshaltigen Auslegung an, weil sie eine der Grundkonstruktionen der Natur nachahmt. Jede Seifenblase ist zur Hälfte durchgeschnitten eine Halbkugel, die Wölbung des Mutterleibes ist halbkugelig, die ersten räumlichen Erfahrungen machen die Menschen in überkuppelten Räumen. Und ihre Erfahrung mit dem Himmel ist schon seit der archaischen Antike so ausgelegt, dass die Himmelssphären in einer kuppelartig angelegten Außenformation die Erde umringen und umspannen."

    Zum Kernbestand der christlichen Architektur gehört die Kuppel ursprünglich nicht. Um viele Gläubige aufnehmen zu können, orientierte man sich beim Kirchenbau eher an der Basilika, der Grundform der römischen Markthalle. Aber einen wichtigen Sakral-Kuppelbau gab es daneben immer: die Grabeskirche in Jerusalem. Meinrad von Engelberg:

    "Und das heißt, hier sozusagen das Zentrum der christlichen Welt, egal welcher Glaubensrichtung, ob orthodox oder katholisch, dieser Ort war überkuppelt. Und insofern kann man davon ausgehen, dass diese zwei Vorbilder, das römische Pantheon als antiker Tempel und die Kuppel der Grabeskirche in Jerusalem die beiden Vorbilder gewesen sind, von denen alle anderen späteren christlichen Assoziationen mit Kuppelbau herstammen."

    In der Hagia Sophia in Konstantinopel, dem früheren Byzanz und heutigen Istanbul, finden die beiden Traditionen zusammen. Durch die geografische Lage der Stadt am Bosporus gab es eine Vielzahl von Einflüssen aus Kleinasien, Syrien und Ägypten, die auch in der byzantinischen Kunst ihren Niederschlag fanden. Im 6. Jahrhundert begann ihre Blütezeit.

    Die gewaltige Basilika Hagia Sophia ist zwischen 532 und 537 n. Chr. als byzantinische Zentralkirche erbaut worden – für den oströmischen Kaiser, dessen Palastkapelle sie war und der dort auch gekrönt wurde.

    "Sie ist entstanden mit einer ganz bestimmten Intention: nämlich mit der Absicht, den christlichen Bau schlechthin zu schaffen. Als der Kaiser Justinian ihn am Tag seiner Eröffnung betrat, soll er gesagt haben: Salomon, ich habe dich übertroffen! Das ist die Anspielung auf den Tempel des Alten Testamentes, also die Vorstellung: Das haben wir jetzt übertroffen. Und zwar wie? Indem eine Kuppel gebaut worden ist, die noch höher ist, als die des römischen Pantheons; die so komplex gefügt ist, dass man nicht richtig erkennen kann, wie die Konstruktion funktioniert, sodass der erste Beschreiber dieser Kirche, Prokop, ein zeitgenössischer Autor, gesagt hat, man hat den Eindruck, die Kuppel dieser Kirche ist an einer goldenen Kette am Himmel aufgehängt."

    Sogenannte Pendentifs – Kugel stützende Dreieckskonstruktionen, die auf vier riesigen Pfeilern stehen und das Gewicht tragen – ermöglichten es, die Kuppel auf eine quadratische Basis zu stellen.

    Die Hagia Sophia war wegweisend für die Entwicklung der byzantinischen Architektur über die folgenden 1000 Jahre. In der Ostkirche muss, was eine Kirche ist, eine Kuppel haben. So findet sich in Griechenland, Russland oder Serbien kaum eine orthodoxe Kirche, die nicht über eine Kuppel verfügt.

    Auch für die Verwendung der Kuppel in einem zentralen Zweig der islamischen Architektur wird die Hagia Sophia Vorbild. Die Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 durch die Turkvölker macht sie zur ersten Hauptmoschee des Reiches und damit zum Urtypus aller in der Folge erbauten türkischen Moscheen.

    "Hier schulen sich auch die Architekten der islamischen Kultur und deswegen gibt es bis heute eine sehr große Nachfolge des sogenannten Stützkuppelprinzips."

    Heute sind Kuppel und Minarett im westlichen Verständnis zu architektonischen Insignien der Moschee geworden.

    "Wenn Sie heute nach Duisburg-Marxloh kommen und sich die dortige Moschee ansehen, dann werden Sie einen Nachfolgebau der Hagia Sophia im Prinzip sehen. Der Kuppelmoscheen, die dort durch den Baumeister Sinan im 16. Jahrhundert entstanden sind, das ist damit zur türkischen Moschee schlechthin geworden."

    Im 19. Jahrhundert wurde es den Juden in den ehemals napoleonischen Gebieten erlaubt, Synagogen zu errichten, die auch als Sakralbauten erkennbar waren. Und auch sie verwendeten für ihre Bauten Kuppeln.

    "Weil das ist die Form schlechthin, nun müssen sie eben Kuppeln finden, die nicht aussehen wie die christlichen, um die Verwechslungsgefahr zu vermeiden. Und so entsteht die Idee, dass sogenannte orientalische Formen, also: im weitesten Sinne irgendwie arabisch, vielleicht auch ein bisschen spanisch-arabisch, an diese Zeit erinnernd, an das Mittelalter, wo das Judentum auch eine blühende Zeit hatte, dass also sogenannte orientalische Formen jüdische Bauformen seien."

    Ein prominentes Beispiel ist die goldene Kuppel der ehemaligen Synagoge in der Berliner Oranienburgerstraße.

    Die Kuppel ist das universell gültige architektonische Zeichen für den Himmel, schreibt die australische Kunsthistorikerin Victoria Hammond. Vor allem die Ausgestaltung von Kuppeln belegt das, sagt Norbert Nussbaum

    "Es gibt beispielsweise Sternenbesatz an Kuppeln, die nun eindeutig auf das Himmelszelt hinweisen. Es gibt Kuppelausmalungen des Mittelalters, die Gott als den Weltenherrscher darstellen und insofern deutlich machen, dass dieses Himmelszelt aus dem Gott heraus regierend wiedererscheint, ebenfalls kosmologisch, sphärisch gekrümmt vorgestellt werden."

    Ein Gewölbe – das ist lange Zeit die prägende Vorstellung vom Himmel. Das wandelt sich im Barock. Meinrad von Engelberg:

    "Das ist ja auch die Zeit, in der Leute wie Galilei und Newton unser Weltbild verändern. Und dann ist es nicht mehr der Himmel mit den Sternen, der abgebildet wird, sondern es ist der Himmel in der anderen, der metaphysischen Bedeutung. Es ist der Himmel der Heiligen, in dem Gott thront, residiert, aus dem er wiederkommen wird. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist die Wieskirche in Bayern."

    Die Verschmelzung von Geometrie und Sakralität – die Kombination zwischen Kreis und Quadrat wurde schon in der Renaissance ausführlich reflektiert. Kunsthistoriker Norbert Nussbaum:

    "Die Theoretiker der Architekturgeschichte überlegen sehr konkret über das Finden der idealen Form. Der Kreis eingebunden in das Quadrat – oder der Kreis das Quadrat einbindend – ist die ideale Formkombination für einen Sakralbau der Renaissance, weil hier zwei ideale Körper, der eine davon ohne Anfang und ohne Ende, die göttliche Schöpfung oder Gott selbst symbolisieren kann."

    In der Zeit der Gotik gilt die Kuppel als überholte Bauform. Erst mit der Renaissance, der Wiedergeburt der Antike, erfährt sie in der westlichen Architektur neue Aufmerksamkeit. Meinrad von Engelberg.

    "Und erneut entdeckt man das Pantheon, obwohl es immer dastand, aber auf einmal findet man’s wieder interessant und sagt: Ja, so was müsste man eigentlich wieder bauen."

    Prominente Beispiele dieser Wiederentdeckung sind die Domkuppel von Florenz von Brunneleschi, Ende des 15. Jahrhunderts fertiggestellt. Und, die bedeutendste Kuppel der Renaissance, die Kuppel von St. Peter in Rom. Sie wurde von Michelangelo gebaut.

    "Mit einem auch wieder sehr interessanten Hintergrund: Man versucht in dieser Zeit, das Papsttum architektonisch neu zu fassen. Das Papsttum hatte schlechte Zeiten vorher gehabt, es war in Avignon im Exil gewesen. Es war politisch unter Druck. Und nun wollten die Päpste zeigen, dass sie politisch wieder mitwirken können. Und dazu galt es sozusagen, die Bauten der römischen Antike, die man kannte, zu übertreffen."

    Und die Kuppel des Petersdoms übertraf die des Pantheons – nicht im Durchmesser, aber in der Höhe. Der Wettbewerb setzte sich fort. Wer immer Größe und Macht demonstrierend wollte, bezog sich auf St. Peter. Auch George Bähr, der Architekt der Dresdner Frauenkirche. Meinrad von Engelberg.

    "Es gibt zeitgenössische Quellen, die nennen das 'Ein St. Peter der wahren Evangelischen Religion'. Also so wie der Papst im Rom mit dem Kuppelbau sich von seiner Peterskirche identifiziert, so zeigen die protestantischen Christen Dresdens mit ihrem Kuppelbau, dass sie Gleichwertiges entgegenzusetzen haben. Dass sie mindestens so evangelisch sind, so sehr dem Evangelium verbunden, wie der Papst in Rom. Das heißt, man merkt, das Kuppelzeichen kriegt eine gewisse Verfügbarkeit, man kann auch sagen: eine Beliebigkeit."

    Als architektonisches Element ist die Kuppel für die sakrale Architektur kein Muss:

    "Sie können wunderbar in Kirchen ohne Kuppeln Gottesdienst feiern, und es wird Ihnen nichts gefehlt haben. Und dasselbe gilt für die Synagogen, dasselbe gilt auch für die Moscheen."

    Dennoch ist sich Von Engelberg sicher – die jahrhundertelange und immer noch andauernde Verknüpfung der Sakralarchitektur mit dieser speziellen, kunstvollen architektonischen Bauform ist kein Zufall.

    "Der eine Punkt ist ganz sicher die äußere Machtdemonstration. Der andere ist aber auch die Wirkung, die jeder Besucher kennt, wenn er einen Kuppelraum betritt: Nämlich den Wunsch, nach oben zu schauen und den Wunsch, in die Mitte zu gehen. Das heißt: Kuppeln haben eine Magnetfunktion. Und so ist das ja auch gewollt."