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"Blockadehaltungen helfen uns nicht weiter"

Der Fiskalpakt muss "Verbesserungen gegenüber der augenblicklichen Rechtslage bringen", meint Gabriele Molitor, Obfrau der FDP im Europaausschuss. Für die Kritik der Europaparlamentarier am aktuellen Vertrag hat sie zwar Verständnis, eine Blockadehaltung lehnt sie aber ab.

Gabriele Molitor im Gespräch mit Christoph Heinemann | 12.01.2012
    Christoph Heinemann: Einer Änderung der europäischen Verträge steht das englische (oder politisch das britische) No entgegen. Weil London nicht mitzieht, wollen 26 EU-Regierungen einen völkerrechtlichen Vertrag schließen, damit die Finanzminister künftig bescheiden gewandet und nicht länger in Spendierhosen herumlaufen. Grundsätzlich haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments nichts gegen den geplanten Fiskalpakt für eine solide Haushaltspolitik. Den letzten Entwurf halten einige aber für nicht hinnehmbar, weil das Europäische Parlament nicht mitentscheiden darf - etwa Elmar Brok. Der CDU-Abgeordnete äußerte sich am Morgen im Deutschlandfunk.

    O-Ton Elmar Brok: "Wir haben am Dienstagabend einen Entwurf bekommen, der nicht das Ergebnis der Verhandlungen vom Freitag reflektierte. Das geht übrigens nicht nur dem Europäischen Parlament so, sondern auch anderen Regierungen so, dass dieses in einer Art und Weise hier im Sekretariat des Rates oder wo auch immer geschrieben worden ist, was nicht hinnehmbar ist."

    Barenberg: " Inwiefern?"

    Brok: " Aus unserer Sicht beispielsweise sind die klaren Zusagen, die parlamentarische Verteilung an das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente, nicht in der Weise reflektiert. Wir müssen sehen, dass die Durchsetzung der Gemeinschaftsmethode, die Nutzung der Gemeinschaftsinstitutionen wie Parlament und Kommission im Rahmen der Gesetzgebung und manches andere dort nicht in wirklich guter Weise geregelt ist, sondern dies eher ein Rückfall gegenüber dem ist, was bis Freitag verhandelt worden ist.
    Dies darf kein paralleler Vertrag werden, dies darf nur eine vorübergehende Angelegenheit sein, hier können nicht neue Institutionen geschaffen werden, wir dürfen nicht dazu kommen, dass die Europäische Union de facto geteilt wird."

    Heinemann: Elmar Brok ist CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament und Gabriele Molitor ist Obfrau der FDP im Europaausschuss des Bundestages, also des nationalen Parlamentes. Guten Tag.

    Gabriele Molitor: Ja, guten Tag.

    Heinemann: Frau Molitor, wer muss jetzt nachsitzen?

    Molitor: Also erst mal habe ich großes Verständnis für die Kritik von Elmar Brok, dass das Europäische Parlament hier auf eine entsprechende Beteiligung dringt. Wir haben – das haben Sie in Ihrem Vorbericht ja auch völlig richtig wiedergegeben – allerdings die schwierige Situation, dass wir aufgrund des britischen Nein nun auf eine zwischenstaatliche, also intergouvernementale Regelung angewiesen sind.

    Heinemann: Und kann in dem Zusammenhang überhaupt das Europäische Parlament eingeschaltet werden? Das ist ja die Frage.

    Molitor: Sie sind bei den Verhandlungen jetzt im Augenblick beteiligt. Es geht aber in der Tat darum, wie lange wir uns in diesem Stadium dann, wenn wir diesen Fiskalpakt verhandelt haben, wie lange wir uns darin aufhalten und wie lange es gilt. Die Rede ist gewesen davon, dass man nach fünf Jahren wieder zum Primärrecht kommen will, denn es ist ja …

    Heinemann: Was ist Primärrecht? Entschuldigung!

    Molitor: Das hieße dann Gemeinschaftsrecht. Das wäre dann eine Änderung, dass man sich von der intergouvernementalen Vereinbarung erweitert.

    Heinemann: Dieser völkerrechtliche Vertrag würde spätestens nach fünf Jahren in die EU-Verträge integriert? Das heißt das.

    Molitor: Genau. Und insofern ist das sicherlich ein wichtiger Kritikpunkt. Ich teile aber auch die Kritikpunkte von Elmar Brok dahingehend, dass der augenblickliche Entwurf – wir befinden uns ja im Augenblick in den Vertragsverhandlungen -, dass da auch Verschlechterungen feststellbar sind, dass zum Beispiel die Sanktionen nicht erwähnt werden, dass der Klageweg vor dem Europäischen Gerichtshof nicht entsprechend erwähnt wird. Das sind Punkte, die in den ersten Formulierungen enthalten gewesen sind, und mir ist eben auch noch mal wichtig, deutlich zu machen, wir wollen ja aus der Krise lernen, wir wollen, dass die Haushaltspolitiken der Länder angeglichen werden, dass Schulden nicht mehr in dem Maße angehäuft werden können, dass dann letztlich eine Überschuldung entsteht. Das ist ja Sinn und Zweck der Übung. Das heißt, wenn wir diesen Fiskalpakt nun formulieren, dann muss er auch entsprechende Verbesserungen gegenüber der augenblicklichen Rechtslage bringen.

    Heinemann: Frau Molitor, wer hat denn da den Rotstift angesetzt? Es gab einen ersten Entwurf – das haben Sie gerade gesagt – und jetzt in dem Papier, das Herrn Brok und anderen EU-Abgeordneten vorliegt, sind bestimmte Dinge eben nicht mehr drin.

    Molitor: Das kann ich von meiner Warte aus nicht beurteilen, wer da nun Dinge wieder rausgestrichen hat. Wichtig ist für mich, da wir ja noch im laufenden Verfahren sind, dass wir diese Punkte auf alle Fälle wieder mit hineinbekommen, und da ist auch wichtig, dass wir als Parlamentarier – das ist ja auch Sinn und Zweck der Übung – über das Verfahren regelmäßig unterrichtet werden. Das ist also auch in der Weihnachtspause geschehen, dass wir mit Telefonkonferenzen über den Stand der Verhandlungen informiert werden und das auch kontrollieren, was dort läuft, und darauf dringen, dass dann Punkte wieder hineinverhandelt werden.

    Heinemann: Elmar Brok beschuldigt das Sekretariat des Europäischen Rates, diese Streichung vorgenommen zu haben, also die Zuarbeiter der Staats- und Regierungschefs, die nun demokratisch überhaupt gar nicht legitimiert sind. Hat sich dieses Sekretariat, das ja von einem Deutschen geleitet wird, von Uwe Corsepius, hat sich das verselbständigt?

    Molitor: Das würde ich an dieser Stelle nicht behaupten wollen. Es ist …

    Heinemann: Aber irgendjemand muss da gestrichen haben, und Herr Brok hat das relativ konkret ausgedrückt bei uns.

    Molitor: Mir ist wichtig: Wir sind im Verfahren. Das heißt, unsere Verhandler, unsere Vertreter müssen nun darauf dringen, dass diese Punkte dort wieder hineinkommen, denn sie waren ja ursprünglich auch verankert gewesen. Insofern: Da wir ja nun auch noch in der nächsten Sitzungswoche uns sicherlich eingehend auch noch mal damit beschäftigen werden, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir zu diesen wichtigen Punkten auch kommen werden, denn nur dann macht ein Fiskalpakt auch wirklich Sinn.

    Heinemann: Wieso sollte der Fiskalpakt funktionieren, wo der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht funktioniert hat?

    Molitor: Das ist genau der Punkt. Wir brauchen einen Präventionsarm, der schaut, dass wir es erst gar nicht so weit kommen lassen, dass Schulden aufgehäuft werden. Das kann verhindert werden, indem die nationalen Parlamente Schuldenbremsen auch erlassen, so wie wir das ja hier auch in Deutschland haben. Das ist ein wichtiger Punkt.
    Zum Zweiten: Wenn denn die Haushalte nicht permanent überwacht und kontrolliert werden, beziehungsweise sie müssen permanent überwacht und kontrolliert werden, muss auch im Ernstfall eine Sanktion verhängt werden, und uns als FDP war natürlich immer besonders wichtig, dass dann automatische Prozesse ablaufen, dass es nicht verhindert werden kann, dass Sanktionen verhangen werden. Und das Papier eines Vertrages ist eben auch nur so lange das Papier wert, wenn es denn auch irgendeinmal angewandt wird, was dort an Möglichkeiten vereinbart worden ist.

    Heinemann: Frau Molitor, einige Europaparlamentarier drohen jetzt, wenn wir hier bei der Geschichte nicht einbezogen werden, dann lassen wir die Staats- und Regierungschefs demnächst bei einem anderen Anlass, zum Beispiel bei der Agrarpolitik, auflaufen. Ist das eine scharfe Drohung?

    Molitor: Für mich ist im Augenblick wichtig, dass diese Kritik der Europaparlamentarier verständlich ist, nachvollziehbar, dass wir aber jetzt bei dem Fiskalpakt zum Beispiel nicht das gesamte Vorhaben gefährden, denn wir brauchen hier Einigungen, wir müssen hier rechtlich weiterkommen. Und ich denke, Blockadehaltungen helfen uns nicht weiter. Die Menschen erwarten von uns, dass wir zu mehr europäischer Koordinierung kommen - das ist ja auch Wunsch der Europaparlamentarier und auch unser Wunsch -, damit wir in der Gemeinschaft Krisen vermeiden zukünftig.

    Heinemann: Gabriele Molitor, Obfrau der FDP im Europaausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Molitor: Gerne! Auf Wiederhören.


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