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Blockchain Stories
#4 Die Politik der Bitcoin

Die Blockchain gilt als fortschrittliche Erfindung. Die Attraktivität dieser neuen Technologie bringt allerdings politische Gefahren mit sich. Sie sei effektiver in der Verbreitung von Ideologie als alles andere, sagte Medienwissenschaftler David Golumbia im Dlf.

David Golumbia im Corsogespräch mit Raphael Smarzoch | 17.01.2019
    Auf dem Foto ist der Medienwissenschaftler David Golumbia zu sehen. Er lächelt freundlich in die Kamera.
    "Blockchain wirkt auf mich wie eine Strategie, Ignoranz zu fördern": Medienwissenschaftler David Golumbia (David Golumbia)
    Raphael Smarzoch: David Golumbia, Sie schreiben, dass im Namen der Blockchain- und Bitcoin-Technologie extremistische Ideen weitaus mehr Zugkraft gewinnen. Bisher beschränkten sich diese Ideen auf ein paar Bücher, die dazu erschienen sind. Über was für Ideen reden wir hier?
    David Golumbia: Eine der wichtigsten ist der sogenannte Monetarismus, der in seiner harmlosesten Form eine ganz gängige rechte Idee ist. Die besagt: Inflation entsteht, indem der Staat oder seine Zentralbanken Geld drucken und dadurch die Geldmenge erhöhen. Das ist die einzige Möglichkeit, um Inflation zu erzeugen. Tatsächlich ist dies vielleicht sogar die Definition von Inflation. Diese Idee gibt es schon seit Langem, und sie ist einer der Gründe, warum die Rechten Edelmetalle als Wertaufbewahrung fördern, die angeblich immun gegen Inflation sind. Sie behaupten, dass Edelmetalle in ihrem Angebot begrenzt sind, und dieses begrenzte Angebot soll den Wert sichern. Es gibt all diese Verschwörungstheorien darüber, warum wir uns vom Goldstandard verabschiedet haben und wie Gold den Wert auf eine Weise sichert, wie es andere Formen nicht können.
    Eine verschwörungstheoretische Interpretation der Wirtschaft
    Smarzoch: Und deshalb brauchen wir offenbar eine Form von unabhängigem Geld, richtig? Deshalb sollten wir Kryptowährungen wie Bitcoin schaffen.
    Golumbia: Das ist richtig. Zumindest bei Bitcoin und einigen anderen Kryptowährungen ist in ihr Betriebssystem ein Mechanismus eingebaut, der die Verfügbarkeit von Tokens, sogenannter Wertmarken, einschränkt. Es ist nicht klar, ob das in jeder Blockchain-Anwendung wirklich notwendig ist. Aber in den aktuellen Implementierungen der Blockchain ist das sozusagen in den Code eingeschrieben. Und das ist eine verschwörungstheoretische Interpretation der Wirtschaft: die Überzeugung, dass eine Begrenzung von Bitcoins oder anderen Kryptowährungen sicherstellt, dass sie im Verhältnis zu anderen Weltwährungen immer weiter an Wert gewinnen. Für mich ist das eine Verschwörungstheorie, weil es absolut klar ist, dass der Wert der Bitcoin unglaublich flüchtig ist. Mit einer einzigen Bitcoin können Sie sich heute 90 Prozent weniger leisten als vor zwei Jahren. Wir haben es mit einer Hyperinflation der extremsten Art zu tun. Aber wenn Sie mit den meisten Menschen in der Bitcoin-Szene darüber sprechen, werden sie sagen, dass das Angebot an Bitcoins in dieser Zeit nur geringfügig zugenommen hat, es also keine Inflation gegeben hat.
    Gegen die Demokratie
    Smarzoch: Das ist also die eine Seite der Medaille, diese Idee des Monetarismus. Aber es gibt da noch den sogenannten Cyberlibertarianismus, der offenbar auch Teil der Bitcoin- und Blockchain-Philosophie ist. Was ist der Cyberlibertarianismus und wie ist er mit der Bitcoin-Philosophie verbunden?
    Golumbia: Meiner Meinung nach ist der Cyberlibertarianismus eine Art Kernphilosophie, die in den vergangenen 30 Jahren einen Großteil der Entwicklung der digitalen Technologie vorangetrieben hat. Es ist ein Begriff, der Mitte der 90er-Jahre von einigen Wissenschaftlern entwickelt wurde. Einer dieser Wissenschaftler beschreibt ihn so: Cyberlibertarianismus ist die Verschmelzung eines ausgeprägten Enthusiasmus für die Anwendungsmöglichkeiten digitaler Technologien mit bestimmten Überzeugungen, die ihren Ursprung in der extremen Rechten haben. Diese Überzeugungen betreffen den Kern der Regierung und der Demokratie. Die Rechten möchten die Regierung beseitigen und lehnen die Demokratie ab. Zentral hierfür ist John Perry Barlows "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace", die Mitte der 90er-Jahre erschienen ist. Darin sagt Barlow, die Regierungen der Welt seien nicht in der Lage, den Cyberspace zu regieren und daher seien sie dort nicht willkommen. An der Stelle der Demokratien, die nicht in der Lage seien, diesen neuen digitalen Raum ordnungsgemäß zu regieren, werde eine Form von Regierung entstehen, die ihnen überlegen sein werde. Auch wenn diese Ideen zunächst eine gute Absicht verfolgten, so schaffen sie dennoch einen Raum, in dem die größten Unternehmen sich frei ausbreiten und alle Arten von Regeln und Vorschriften, an deren Zusammenstellung die Demokratie hart gearbeitet hat, auseinandernehmen können.
    Wir haben noch länger mit David Golumbia gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs im englischen Original
    Smarzoch: Ist diese Art des Denkens auch mit antisemitischen Ideen verbunden? Banken, die Geld kontrollieren, eine heimliche Elite innerhalb der Regierung, die die Politik beeinflusst?
    Golumbia: Absolut! Die Vorstellung, dass es im Verborgenen einen Klüngel gebe, mit dem häufig Juden assoziiert werden, die irgendwie die Geldströme der Welt kontrollieren, um sich daran zu bereichern, das ist ein Gedankengang, der im Hintergrund immer da ist. Im äußersten Extremfall beginnt sogar das Wort "Vermittler" ein wenig so zu klingen, als würde man damit einen Geheimbund meinen, der Finanztransaktionen überwacht und alles für sich selbst stiehlt.
    Ein rechtes Glaubenssystem
    Smarzoch: Ist sich die Bitcoin-Gemeinschaft bewusst, dass sie sich einem Glaubenssystem verschrieben hat, das auf rechtsextremem Denken beruht?
    Golumbia: Sicherlich sind einige Führungspersonen dieser Gemeinschaft selbst Befürworter dieser Politik. Daher sind sie sich dessen sehr bewusst. Viele von ihnen sind sich dessen aber nicht bewusst. In der Bitcoin-Community gibt es einen starken Widerstand, sich mit den grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen, die diese Technologie aufwirft und begünstigt. Blockchain wirkt auf mich wie eine Strategie, Ignoranz zu fördern und zu sagen: "Stell' diese Fragen nicht! Frag' nicht, wie Zentralbanken wirklich funktionieren!" Und wenn man Ihnen sagt, wie Zentralbanken wirklich arbeiten, dann sagen sie, man würde lügen, weil man ein Eigeninteresse am Bestand dieser Institutionen habe.
    Smarzoch: Sie scheinen also nicht nur der Bitcoin-Philosophie skeptisch gegenüber zu stehen, sondern stellen auch ihre Notwendigkeit in Frage. Ist die Bitcoin daher eher eine Ideologie, die eine bestimmte Agenda vorantreibt und sonst nichts weiter?
    Golumbia: Sie ist eine faszinierende Mixtur aus Technologie und Ideologie, weil sie sich als so wenig nützlich für die Projekte erwiesen hat, für die sie angeblich entwickelt wurde. Es scheint fast so, als ob der Nutzen dieser Technologie vor allem darin liegt, Ideologie zu fördern. Sie ist effektiver in der Verbreitung von Ideologien als alles andere.
    Blockchain für soziale Zwecke
    Smarzoch: Wie können wir die Bitcoin- und Blockchain-Technologie, wenn das überhaupt möglich ist, für fortschrittliche Zwecke nutzen?
    Golumbia: Ich mag diese Frage nicht. Die Suche nach fortschrittlichen Anwendungsmöglichkeiten für die Blockchain verklärt sie nur, und das ist etwas, was die Rechten zum Ziel haben. Diese Frage, ob man sie für ein gutes, gesellschaftliches Ziel einsetzen könnte, destabilisiert meine und die Kritik anderer Menschen. Die Rechten können dann sagen: "Hey, schau mal, hier ist dieses Projekt, das die Blockchain wirklich ermöglicht hat." Nach dem Motto: Blockchain oder Bitcoin für soziale Zwecke. Der Grund für diese Zielvorgabe ist, dass Kritiken wie meine und anderer Menschen darüber, wie destruktiv die Blockchain sowohl politisch als auch praktisch ist, sich wirklich bei vielen ziemlich vernünftigen Leuten durchgesetzt haben. Deshalb suchen Blockchain-Befürworter jetzt nach Beispielen, wie die Blockchain für soziale Zwecke eingesetzt wird – was auch immer das sein mag. Es ist wirklich interessant und beunruhigend: Warum ist das eine Frage, die wir uns stellen müssen?
    Smarzoch: Vielen Dank für das Gespräch.
    Golumbia: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.