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Blondies neues Album "Pollinator"
Debbie lässt die Bienen tanzen

Debbie Harry ist die Stimme und das Gesicht von Blondie. Die Band landete Welthits wie "Call Me", "Atomic" oder "Maria". Auf dem neuen Album bedienen sich Blondie bei ihren musikalischen Ziehkindern wie Johnny Marr oder The Strokes - und zeigen, wie viele Musikergenerationen sie in den letzten 43 Jahren beeinflusst haben.

Debbie Harry im Corsogespräch mit Marcel Anders | 02.05.2017
    Die US-amerikanische Sängerin und Schauspielerin Debbie Harry tritt am 23.06.2014 mit ihrer Band im Jahr 2014 im Tempodrom in Berlin
    Debbie Harry mit Blondie in Berlin (Roland Popp/dpa)
    "Pollinator" heißt das neue Album von Blondie, das am Freitag erscheint. Es ist das elfte der 43-Jährigen Bandgeschichte mit über 40 Millionen verkauften Tonträgern. Und obwohl die New Yorker New-Wave-Pioniere so ziemlich alles erreicht haben - sie denken längst nicht ans Aufhören. Schon gar nicht Sängerin Debbie Harry. Eine elegante, ältere Dame mit Seidenbluse, Wickelrock, High Heels, Goldkette, roten Fingernägeln und Wasserstoffoxid-Frisur. Dass sie bereits 71 ist, merkt man ihr nur an, wenn sie manchmal ein bisschen einsilbig und fahrig wirkt. Aber: Wenn man sie mental kitzelt und zum Lachen bringt, wird sie zur richtig spannenden Gesprächspartnerin.

    Marcel Anders: Frau Harry, "Pollinator" ist das erste Album Ihrer Karriere, für das Sie und Gitarrist Chris Stein keine eigenen Songs geschrieben haben. Sie verlassen sich vielmehr auf Musiker, die von Blondie beeinflusst wurden. Überspitzt formuliert: Fällt Ihnen nichts mehr ein oder verfolgen Sie hier ein wer weiß wie cleveres Konzept?
    Debbie Harry: Na ja, es fing damit an, dass uns ein Stück von Johnny Marr angeboten wurde, das wir sehr mochten. Und da unsere neue Plattenfirma zugleich ein Musikverlag ist, hieß es: "Wir können euch noch mehr Songs besorgen. Hört sie euch einfach mal an." Wogegen wir nichts einzuwenden hatten. Und da uns die meisten Sachen wirklich gefielen, entwickelte sich daraus diese Idee der Bestäubung. Also uns bei Leuten zu bedienen, die wir einst selbst inspiriert haben. Wie eine Honigbiene, die Pollen erntet - was wir für eine starke Idee hielten. Nur: Ich kann nicht behaupten, wir hätten ein wer weiß wie ausgeklügeltes Konzept verfolgt. Es hat sich einfach so entwickelt.
    Wir haben noch länger mit Debbie Harry gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Anders: Der Song "Fun" - aus der Feder von TV On The Radio - ist eine offenkundige Hommage an das Studio 54 und den Hedonismus der späten 70er. Sprich: Besser hätten ihn Blondie doch gar nicht schreiben können.
    Harry: (lacht) Das stimmt! Er hat einen echten Club- oder Disco-Vibe.
    Anders: Hand aufs Herz: Gehen Sie noch in Clubs, wie darin angedeutet?
    Harry: (kichert) Das tue ich wirklich. Ich gehe ziemlich viel aus. Und ich habe eine Menge Freunde, die DJs sind oder denen Bars und Clubs gehören - was gut ist. Außerdem liebe ich es, zu tanzen.
    "Die Revolution wird heute von anderen fortgesetzt"
    Anders: Vermissen Sie Charaktere wie Andy Warhol, Truman Capote oder William Burroughs, mit denen Sie eng befreundet waren?
    Harry: Es ist wirklich traurig, dass sie von uns gegangen sind. Zumal sie einen wahnsinnig großen Einfluss auf mich hatten. Nur: Ich finde, wir haben immer noch interessante Schriftsteller und Künstler. Daran hat sich nichts geändert. Die Revolution wird heute von anderen fortgesetzt.
    Anders: In den 70ern und 80ern war die Stadt ziemlich heruntergekommen, was aber scheinbar ein guter Nährboden für die Kunst war. Sehen Sie das auch so?
    Harry: Es scheint tatsächlich so. Damals haben dort eine Menge Künstler gelebt - einfach, weil sie es sich wegen der billigen Mieten leisten konnten, sich ganz auf ihre Kunst zu konzentrieren und nichts anderes zu tun. So günstig war die Stadt. Aber jetzt ist alles modernisiert, exklusiv und wer weiß wie schick. Das ist der Grund, warum in den letzten Jahren viele meiner Freunde nach Berlin gezogen sind.
    Debbie Harry im Januar 1980
    Debbie Harry im Januar 1980 (imago/ZUMA/Keystone)
    Anders: Wer kann es sich bei den hohen Mieten überhaupt noch leisten, in Manhattan zu leben?
    Harry: Aber das gilt ja nicht nur für New York, sondern inzwischen auch für Berlin und die gesamte westliche Welt: London, Paris, Frankfurt, wo auch immer.
    Anders: Bedauern Sie es manchmal, dass Sie nicht - wie Sie es in den frühen 70ern vorhatten - Immobilienmaklerin geworden sind?
    Harry: (lacht) Wenn ich mir das heute so anschaue, kann ich nur sagen: Das wäre vielleicht die bessere Berufswahl gewesen.
    "Was ich an Deutschland so toll finde - hier werden ganz viele Windräder genutzt"
    Anders: Wie denken Sie über Präsident Trump, den Brexit und den enormen Zulauf der rechtspopulistischen Parteien in Europa?
    Harry: Das ist die Folge der Globalisierung. Wobei viele Leute meinen, wir würden momentan das letzte Aufbäumen erleben. Nämlich von denjenigen, die an die alte Theorie glauben, dass dich Isolation schützen kann. Nein, das tut sie nicht - sich einzuigeln bringt rein gar nichts. Und sei es nur, weil die Globalisierung längst stattgefunden hat und wir schlichtweg damit leben müssen. Wir können nicht mehr dahin zurückkehren, wo wir mal waren. Auch nicht, indem wir alles blockieren. Sondern: Wir müssen die Situation in den Griff kriegen und zum Funktionieren bringen.
    Anders: Wie lange werden Ihre amerikanischen Mitbürger brauchen, um zu erkennen, was sie sich mit Trump eingebrockt haben?
    Harry: Ich denke, die meisten von uns haben das längst erkannt. Aber ihre Frage zielt natürlich auf das dicke Ende ab, das wirklich Angst einflößend sein könnte. Nur: Bei der Art, wie sich die Dinge momentan gestalten, würde ich zwei oder drei Jahre sagen.
    Anders: Kann man überhaupt eine durchgehende Mauer zu Mexico errichten?
    Harry: Teilweise steht sie ja schon. Aber wie hat es Merkel formuliert: "Wir hatten das, und es hat nicht funktioniert". Da hat sie Recht.
    Anders: Was würde Präsidentin Harry tun?
    Harry: Alles, was ich könnte. Also eine Menge. Ich kann zum Beispiel nicht glauben, dass Solarstrom immer noch nicht die Hauptenergiequelle auf diesem Planeten ist. Mein Gott! Worauf warten wir da? Und was ich an Deutschland so toll finde - und was ich auf einem meiner letzten Flüge nach Berlin bemerkt habe: Hier werden ganz viele Windräder genutzt. Was ich für sehr gut halte. Ich sorge mich heute ohnehin viel mehr um Themen aus Politik und Umweltschutz. Als Künstler habe ich das Gefühl, mich da so gut wie möglich einbringen zu müssen. Einfach, weil ich mich für den Zustand der Welt interessiere. Und wie ich mich da nützlich machen kann.
    Debbie Harry als Stil-Ikone
    Anders: Momentan nutzen Sie vor allem Mode für sozio-politische Statements. Im Internet finden sich z.B. Fotos von Ihrem Auftritt bei den Londoner Elle Style Awards, Mitte Februar, bei dem man Sie mit einer besonderen Auszeichnung bedacht hat.
    Harry: Ja, mit dem Titel der Stil-Ikone.
    Anders: Was ist das für ein Gefühl? Sehen Sie sich selbst auch so?
    Harry: Na ja, ich fühle mich schon sehr geschmeichelt. Auch, wenn ich mich frage, ob ich das wirklich verdient habe bzw. ob ich das wirklich bin. Ich schätze, ich hatte einfach das Glück, dass ich zu einer Zeit aufgetaucht bin, als sich der allgemeine Stil gerade sehr verändert hat. Und ich war sehr abenteuerlustig und experimentierfreudig. Außerdem habe ich die völlige Kontrolle über das besessen, was ich getan habe. Ich hatte keine Leute um mich, die mir gesagt haben, was ich tragen soll, oder die mir Sachen zusammengestellt haben.
    Anders: Also auch mal einen schwarzen Plastik-Müllsack mit Klebeband als Gürtel?
    Harry: Ja, solche Sachen.
    Debbie Harry von der Band Blondie beim 11. Billboard Women in Music 2016 Event am Pier 36, New York
    Debbie Harry beim 11. Billboard Women in Music 2016 Event im Dezember 2016 in New York (imago stock&people/Future Image)
    Anders: Zugleich haben Sie sich nie gescheut, Ihren Sex-Appeal einzusetzen, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Wie denken Sie über Kolleginnen wie Miley Cyrus, Rihanna oder Lady Gaga, die diesen Ansatz auf die Spitze treiben? Wird heutzutage zu viel Wert aufs Image und zu wenig auf die Musik gelegt?
    Harry: Ich denke, sie haben das Recht zu tun, worauf sie Lust haben - oder von dem sie glauben, dass es für sie funktioniert. Ganz abgesehen davon, sehen sie ja nicht schlecht aus. Sie können es sich leisten, ihren Körper einzusetzen. Und das entspricht dem heutigen Standard. Was die Musik betrifft: Das ist Geschmackssache - je nachdem, was für Songs man mag und welche Art von Produktion.
    Das Alter - "Es gibt Dinge, die viel Furcht einflößender sind"
    Anders: Wie erleben Sie das Alter: Ist das eine Angst einflößende Erfahrung?
    Harry: Es ist zu spät, sich Gedanken darüber zu machen. Außerdem gibt es Dinge, die viel Furcht einflößender sind.
    Anders: Wie halten Sie sich in Form?
    Harry: Ich trainiere mehrmals in der Woche - mit einem Trainer.
    Anders: Unterziehen Sie sich auch plastischer Chirurgie?
    Harry: Plastische Chirurgie ist okay. Und ich werde bald wieder die eine oder andere Kleinigkeit machen lassen. Nur: Ich weiß noch nicht, wann.
    Anders: Zu ihrem 70. Geburtstag - vor einem Jahr - haben Sie sich "einen netten Mann" gewünscht. Ist die Aussage noch aktuell?
    Harry: Da bin ich schon einen Schritt weiter: Ich hatte ein paar nette Männer und sehr guten Sex. Aber: Es war alles nicht von Dauer. Von daher bin ich - was das betrifft - offen für Vorschläge.
    Anders: Wie sieht Ihr Anforderungsprofil aus? Wonach suchen Sie?
    Harry: Ich habe keine besonderen Anforderungen. Einfach jemand netten, der einen Sinn für Humor hat und auf Sex steht. Mehr erwarte ich gar nicht.
    Anders: Was die Musik betrifft: Haben Sie je darüber nachgedacht, in Rente zu gehen? Oder müssen Sie allein aus finanziellen Gründen weitermachen?
    Harry: Nein, mir geht es nicht um Geld, sondern es ist einfach das, was ich tue. Und: Ich bin noch nicht tot. (kichert) Zum Glück! Ich weiß, wie glücklich ich mich schätzen darf, dass ich immer noch meinem Traum folgen darf. Also, dass ich Musik mache, ein Entertainer bin und schreiben und aufnehmen kann. Dafür bin ich dankbar. Aber: Man weiß nie, was noch kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das Album "Pollinator" von Blondie erscheint am 5. Mai 2017 bei BMG/Warner.