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Bloß ein Sturm im Wasserglas?

Klima.- Seit vom Server der Abteilung für Klimaforschung an der Universität von East Anglia auf mysteriöse Weise 1000 E-Mails und 3000 Dokumente abhanden gekommen sind, wird von diesem Fall nur noch als "Climategate" gesprochen. Wissenschaftsjournalistin Monika Seynsche erklärt im Interview mit Uli Blumenthal, was es damit auf sich hat.

07.12.2009
    Uli Blumenthal: In Anlehnung an den Einbruch vom Washingtoner Hauptquartier der demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex im Juni 1972, der US-Präsident Richard Nixon zum Rücktritt zwang, sorgt seit geraumer Zeit der Begriff Climategate für heftige Kontroversen. Es geht um 1000 E-Mails und 3000 Dokumente, gestohlen von einem Server der Abteilung für Klimaforschung der Universität von East Anglia. Klimaskeptiker sehen in den Daten der Korrespondenz Beweise dafür, dass die Klimaforscher Daten manipuliert haben. Monika Seynsche, Sie haben Einblicke in diese Daten genommen. Was sind das für Daten und E-Mails?

    Monika Seynsche: Also zum einen sind es große Datenreihen. Es sind Briefe, es sind Rohfassungen wissenschaftlicher Artikel und es ist eben ein sehr ausführlicher E-Mail-Schriftverkehr zwischen britischen und hauptsächlichen amerikanischen Kollegen. Und in diesem E-Mail-Verkehr wird zum Teil sehr, sehr deutlich Kritik an anderen Forschergruppen geäußert, deren Methoden werden kritisiert. An einer Stelle spricht ein Forscher sich dafür aus, zwei kritische Artikel aus dem Weltklimabericht des IPCC herauszuhalten. Und es sind insgesamt eine ganze Reihe sehr unglücklicher Formulierungen, die darauf hindeuten könnten, dass Daten gezielt gelöscht oder manipuliert worden sind und dies Vorwürfe werden jetzt von einer unabhängigen Kommission überprüft.

    Blumenthal: Mit den Daten und E-Mails ist auch die sogenannte Hockeyschläger-Kurve, also der über Jahrhunderte nur leicht schwankende oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark angestiegene Temperaturverlauf wieder in die Kritik geraten. Was ist davon zu halten?

    Seynsche: Naja, diese Hockeyschläger-Kurve ist zum ersten Mal 1998 aufgetaucht, in einem Artikel des amerikanischen Klimaforschers Michael Mann und der hat die Temperaturmessung, die Jahresringe von Bäumen, Eisbohrkerne, Korallenuntersuchungen etc. zusammengenommen, um eine Temperaturkurve der letzten 1000 Jahre zu machen. Und dabei hat er ein Paar methodisch zweifelhafte Entscheidungen getroffen. Die sind im Nachhinein kritisiert worden. Es haben andere Forschergruppen diese Untersuchung wiederholt, eine neue Temperaturkurve aufgelegt und sind auch wirklich mit ihren Methoden zu leicht abweichenden Ergebnissen gekommen. Aber, und das ist ganz entscheidend: Diese Unterschiede beziehen sich auf die Vergangenheit, auf das Mittelalter. Diese ursprüngliche Hockeyschläger-Kurve von Mann zeigt weniger Schwankungen im Mittelalter als die neuen Methoden. Aber alle Kurven von aller Forscher Gruppen, ganz egal, mit welchen Methoden die gemacht worden sind, zeigen eine ganz, ganz starke und beispiellose Erwärmung seit Beginn des 20. Jahrhunderts.

    Blumenthal: Klimawandel-Skeptiker werfen den Forschern jetzt vor, gezielt kritische Publikationen aus den Daten herausgehalten zu haben. Ist das möglich?

    Seynsche: Ich weiß es nicht. Ich habe mit vielen Forschern gesprochen, die nichts mit der Affäre zu tun haben, die aber die Praktiken des Weltklimarates kennen und beurteilen können, und keiner von ihnen konnte sich es vorstellen. Es gibt diese Vorwürfe der Klimaskeptiker, die sich ganz besonders auf zwei Artikel beziehen, die die Einzigartigkeit des aktuellen Klimawandels bezweifeln und angeblich von diesen Forschern, die da untersucht worden sind, aus dem Klimabericht herausgehalten worden sind, unterdrückt worden sind. Wenn man sich aber den aktuellen Klimabericht anschaut, dann findet man diese beiden Publikationen, das heißt, die sind nicht unterdrückt worden, die stehen da drin.

    Blumenthal: Wenn man im Netz sucht, findet man 28 Millionen Treffer beim Thema Climategate. Ist das alles nun ein Sturm im Wasserglas oder berechtigt? Oder andersrum gefragt: Haben wir hier in Deutschland das Thema unterschätzt, falsch eingeschätzt oder gar ignoriert?

    Seynsche: Ich denke nicht, dass wir es falsch eingeschätzt haben. Es war ja von Anfang an klar, dass es politisch motiviert ist, einfach durch den Zeitpunkt, zwei Wochen vor Kopenhagen, das muss politisch motiviert gewesen sein. Und von daher denke ich, es war wichtig und sinnvoll, das was ja die meisten deutschen Medien auch gemacht haben: erstmal zu schauen: Was ist denn das überhaupt? Was steht in diesen E-Mails? Was steht in diesen Dokumenten? Statt den Klimaskeptikern einfach nach dem Mund zu reden, die ja sehr, sehr schnell dabei waren, ihre Vorwürfe zu äußern, zu sagen, da ist manipuliert, gepfuscht etc. worden. Und jetzt zeigt sich einfach immer mehr, dass ganz viele dieser Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehren. Und 3000 Dokumente durchzusehen, 1000 E-Mails zu lesen, das dauert einfach auch.

    Blumenthal: Nochmal die Nachfrage: Sturm im Wasserglas oder nicht? Also wissenschaftlich problematisch oder politisch problematisch? Wie schätzen Sie es ein?

    Seynsche: Ich denke wissenschaftlich ist es wahrscheinlich wirklich ein Sturm im Wasserglas. Die Dokumente und E-Mails sind ja seit zwei Wochen im Netz. Es haben viele unabhängige Forscher mittlerweile draufgeschaut. Bislang ist nichts gefunden worden, was wirklich auf eine Manipulation oder auf eine Vertuschung hinweist. Politisch aber ist das sicherlich kein Sturm im Wasserglas. Denn gerade in den USA formiert sich sowieso schon ein starker Protest gegen verbindliche Klimaziele und diese Klimaskeptiker dort, die haben natürlich jetzt Wasser auf ihren Mühlen. Und auch der Chefunterhändler Saudi-Arabiens, was natürlich einer der größten Erdölproduzenten der Welt ist, hat angekündigt, dass diese Affäre einen riesigen Einfluss auf die Beratung in Kopenhagen haben wird.

    Blumenthal: Erhitzte Debatte über gestohlene E-Mails und manipulierte Daten zur globalen Erwärmung. Das waren Einordnungen und Hintergründe von meiner Kollegin Monika Seynsche.