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Blumenkranz und Mutterglück

Ludwig Richter ist auf den ersten Blick ein Idylliker; der Maler beschaulicher Hirtenszenen in böhmischer Landschaft, der Maler Genovevas im stillen Winkel oder eines andächtigen Brautzuges im Frühling. Blumenbekränzte Kinder, rastendes Landvolk zwischen Kühen und Ziegen, Regenbogen und Mutterglück: Seine Bilder zeigen den Menschen in vollkommenem Einklang mit der Natur und sind Ausdruck einer inneren Gelassenheit, die von dem Bewusstsein herrührt, in der Schöpfung geborgen zu sein. Wer nur die Weltferne seiner Bilder wahrhaben will, wie das bisher üblich war, der wird dem Schaffen dieses tiefreligiösen Mannes nicht gerecht. So gesehen ist Ludwig Richter ein rezeptionsgeschichtliches Phänomen, und das Bild, das sich Kunstkritik und Forschung von ihm gemacht haben, bedarf einer Revision, wie Heinz Demisch in einer akribischen, über vierhundert Seiten umfassenden Studie dargelegt hat.

Martina Wehlte | 29.09.2003
    Demisch, der im Jahre 2000 verstarb und dessen Buch posthum von seiner Tochter herausgegeben worden ist, deckt den bekenntnishaften Charakter von Richters Kunst auf. Insbesondere an den Holzschnitten, in denen er mehrfach Rosenkreuzer-Embleme nachweist, zeigt sich eine christlich-soziale Weltzugewandtheit, die durchaus auch Leidvolles, Tod und Trauer kennt, dies aber als göttliche Schicksalsführung geradezu demütig annimmt. Aus seiner ganz individuellen religiösen Verwurzelung, sie speist sich aus dem Pietismus wie dem Katholizismus, aus dem Johannes-Evangelium wie aus den Schriften des Thoma a Kempis -, aus dieser religiösen Verwurzelung also und einer humanitären Geisteshaltung ist das Werk Ludwig Richters erst ganz zu verstehen.

    Es ist aus der deutschen Kunst des neunzehnten Jahrhunderts nicht wegzudenken. Richters malerisches Oeuvre konzentriert sich auf den Zeitraum von Mitte der zwanziger bis Ende der vierziger Jahre und ist mit etwas über hundert Gemälden relativ schmal, weil es in dem heimatlichen Dresden damals kaum Käufer fand. Die Radierfolgen heimischer Landschaften aber und ganz besonders seine Zeichnungen, die als Vorlagen für den Holzschnitt dienten, die Illustrationen zu Märchen- und Liederbüchern, zum Reineke Fuchs oder Schillers Glocke begründeten zu seinen Lebzeiten eine Popularität, die im wesentlichen bis heute anhält.

    Die große Dresdner Jubiläumsausstellung anlässlich seines hundertsten Todestages 1984 wurde von 310.000 Menschen besucht. Wenn nun im Dresdner Albertinum und danach in der Neuen Pinakothek München zum 200. Geburtstag Ludwig Richters eine Retrospektive seines malerischen Oeuvres zu sehen ist, so wird auch sie regen Zuspruch finden.

    Rechtzeitig ist beim Verlag Seemann-Henschel die zweite Auflage der 1991 erstmals erschienenen Richter-Monografie von Professor Hans Joachim Neidhardt erschienen, dem langjährigen Kustos für die Malerei des 19. Jahrhunderts an der Dresdener Galerie Neue Meister. Neidhardt hatte die Retrospektive von 1984 ausgerichtet, und seine Monografie ist nicht nur für Fachkollegen bestimmt sondern durchaus auch für ein breiteres Publikum. Sie ist kenntnisreich und doch stilistisch so ungezwungen geschrieben, dass man nicht aufhören möchte zu lesen. Für den Autor ist das Programm:

    Es kommt mir und kam mir immer in meiner publizistischen Tätigkeit darauf an, wissenschaftliche Präzision und Aktualität zu verbinden mit Lesbarkeit, mit Verständlichkeit auch für Leute, die nicht Kunstgeschichte studiert haben.

    Einem biografischen Teil, der die wichtigsten Stationen auf dem Lebensweg des Künstlers abschreitet und diesen auch in Selbstzeugnissen zu Wort kommen lässt, ist die künstlerische Entwicklung geschickt unterlegt. Die anschließenden Kapitel zu den Gemälden, den Zeichnungen und der Grafik konzentrieren den Blick auf Kompositionsprinzipien, Maltechnik und das Verorten im künstlerischen Spektrum zwischen Biedermeier, Spätromantik und Realismus. Wenn dabei im Kontext von Richters Hinwendung zum Holzschnitt um 1836 die Geschichte dieser Drucktechnik auf einer halben Seite umrissen wird, so geschieht das ohne dozierenden Impetus, geradezu mit einer Beiläufigkeit, die auch den interessierten Laien nicht unter dem Wissensvorsprung des Autors aufstöhnen lässt. Der ist souverän genug, seinen soziologischen Ansatz so behutsam auszurichten, dass er dem Künstler in keiner Weise zum Nachteil gereicht, etwa weil er sich nicht sozialkritisch vereinnahmen ließe. Bedauerlich ist allerdings, dass der Verlag offenbar alte Bildvorlagen verwendet hat und die miserable Qualität einiger Farbreproduktionen, - ihren eklatanten Gelbstich oder ihre Ausgeblichenheit – aus Kostengründen ignoriert hat. Für nur einige Euro mehr hätte der Betrachter einen ungetrübten Sehgenuss gehabt!

    Das Dresden des jungen Ludwig Richter schildert Neidhardt als eine verschlafene, auf sich bezogene Residenzstadt von etwa 60.000 Einwohnern. Die herrschende Kunstrichtung war eklektizistisch, die Akademie überaltert und der Lehrbetrieb reformbedürftig. In seinen Lebenserinnerungen, die er in den Jahren von 1869 bis 79 verfasste und die soeben im Verlag Seemann-Henschel neu erschienen sind, in diesen Lebenserinnerungen also schildert er, wie beengend er das künstlerische Klima in seiner Heimatstadt empfunden hatte.

    Erst als Richter 1836 die Nachfolge seines Vaters an der Akademie antrat und Lehrer für Landschafts- und Tiermalerei war, wurde auch das Zeichnen in und nach der Natur eingeführt. Während seiner Studienjahre kamen neue Impulse in der Landschaftsmalerei nur von außerhalb der Akademie, von Caspar David Friedrich, der seit 1798 in Dresden lebte, dessen Landschaftsauffassung Richter aber ablehnte. -

    Er musste fürchten, bei seiner Brotarbeit, dem Radieren von Ansichten der Sächsischen Schweiz für den Dresdner Buchhändler Christoph Arnold zu versauern, als er von eben diesem Auftraggeber zur weiteren Ausbildung für drei Jahre nach Rom geschickt wurde. Welch eine Chance für den mittellosen jungen Mann, der im Juni 1823 nach Italien aufbrach! Die hohe Zeit der Nazarener war schon vorbei und Richter schloss sich dem Kreis um Julius Schnorr von Carolsfeld und Joseph Anton Koch an. Neidhardt hat im Ausstellungskatalog zur laufenden Richter-Ausstellung einen Beitrag über diesen wichtigen Aufenthalt publiziert. Sein Fazit:

    Koch hat ja auch über das Traditionelle hinaus eine neue Version der idealen Landschaft kreiert, angereichert durch realistische Elemente, - und wenn jemand in Rom sich der Landschaftsmalerei zu widmen gedachte, dann musste er unbedingt zum alten Koch gehen. Richter hatte auch das Glück, dass Koch ihn sozusagen als seinen Schüler annahm.

    Er hat allerdings dann später aus dieser idealen komponierten südlichen Landschaft anderes entwickelt, was man schon durchaus als einen Qualitätssprung betrachten kann.; er hat nämlich kreiert die heimatliche Landschaft der Spätromantik. Das ist auf dem Gebiet der Landschaftsmalerei sein eigentliches Verdienst. Das bekannteste Werk, mit dem er damals Furore gemacht hat, ist ja die "Überfahrt am Schreckenstein".

    Ludwig Richter ist durch die deutsch-römische Schule gegangen, um ein originärer deutscher Künstler zu werden. Zunächst aber brachte er aus Italien eine Fülle von Zeichnungen mit Motiven aus den Albaner Bergen, aus Tivoli und dem Sabinergebirge mit, aus Süditalien, von Capri und Ischia. Der vermögende Sammler und Mäzen Johann Gottlob von Quandt förderte die heimkehrenden Deutsch-Römer und bestellte bei Richter die ersten Gemälde nach italienischen Motiven. Er führt sie in der linearen, zeichnerisch orientierten Malweise mit lasierendem Farbauftrag aus, ganz im Gegensatz zu den jungen Franzosen, die er auf seinen Reisen kennen gelernt und für deren pastosen Kolorismus er kein Verständnis hatte.

    Gerne wäre er noch einmal nach Italien gezogen, musste sich aber nolens – volens mit dem böhmischen Mittelgebirge bescheiden, was rückblickend ein Glücksfall war, denn:

    Die Erkenntnis, dass auf der Grundlage der deutsch-römischen Landschaftsmalerei es möglich ist, auch die heimatliche, die deutsche, die böhmische Landschaft auf eine – ja, man muss schon sagen – ideale Weise darzustellen. Das war sein eigentliches Ziel. Aber diese Idealität ist bei Richter nicht die gleiche wie bei Koch. Bei Richter ist viel stärker die Beobachtung der Wirklichkeit, der Natur, auch der Wirklichkeit der Menschen, die in der jeweiligen Landschaft lebten, einbezogen. Also die realistischen Akzente sind viel stärker bei Richter betont..... Ich meine die Durchdringung des idealen Gerüstes mit Elementen der beobachteten Wirklichkeit.

    Die Galerie Neue Meister in Dresden besitzt elf Gemälde, die in der aktuellen Sonderausstellung von dem jeweiligen Gesamtbestand an Gemälden Richters aus Leipzig, München und der Nationalgalerie in Berlin flankiert werden sowie von Leihgaben aus Basel, Prag, Breslau, Riga und zahlreichen deutschen Sammlungen, so dass rund fünfzig Gemälde zu sehen sind. Damit ist einer Neubewertung von Ludwig Richters malerischem Oeuvre der Weg geebnet.

    Nicht von ungefähr ist der eindrucksvolle "Teich im Riesengebirge" von 1839 für das Cover des Dresdner Kataloges gewählt und das "Aufsteigende Gewitter am Schreckenstein", einer charakteristischen Felsformation, als Titelbild für Neidhardts Monografie.

    1836 lernte Richter den Leipziger Verleger Georg Wigand kennen, der die Weichen dafür stellte, dass sich der Maler und Grafiker mehr und mehr der Buchillustration und insbesondere der Zeichnung für den Holzschnitt zuwandte. Mit Einführung der Schulpflicht in Sachsen war die Nachfrage nach Büchern rasch gestiegen und Richter erkannte die wachsenden Chancen für die Buchkunst.

    Er hat ja nun auch in der Tat dieses Genre der bildenden Kunst zu einer wirklichen Blüte gebracht. ... Das ist ja etwas, was auch durchaus kunstgeschichtlichen Rang hat.

    Der entscheidende Schritt zu mehr künstlerischer Authentizität im Holzschnitt erfolgte 1841, als Richter begann, direkt auf den weißgrundigen Holzstock zu zeichnen und als sich in den folgenden Jahren unter Hugo Bürkner, August Gaber u.a. in Dresden eine hochrangige Holzschneideschule herausbildete.

    Der spätere Verzicht auf die Ölmalerei wird durch bildmäßig ausgeführte Aquarelle wettgemacht, deren kompositorische Rhythmik und farbliche Zartheit den Intentionen des Künstlers vollkommen entspricht. Es ist diese Identität von geistigem Gehalt und Form, die "Wahrhaftigkeit" seiner Kunst, die Richters ungebrochene Popularität ausmacht.

    Publikationen

    Hans Joachim Neidhardt, Ludwig Richter. 216 S. 47 farbige und 152 s/w-Abbn. Hardcover 12,90 €. – Seemann Henschel Verlag.

    Ludwig Richter, Damals in Dresden. 112 S. 12 farbige und 11 s/w-Abbn. Hardcover 12,90 € - Seemann Henschel Verlag.

    Heinz Demisch, Ludwig Richter – Eine Revision. Bearb. Und hrsg. Von Christa Lichtenstern. 444 S. mit 260 Abbn. und 16 Farbtafeln. Leinen, 88 € - Gebr. Mann Verlag.

    Ludwig Richter – Der Maler. Galerie Neue Meister. Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Hrsg. von Gerd Spitzer und Ulrich Bischoff. 320 S. mit 150 s/w-Abbn. und 55 Farbtafeln. Broschur 39,90 €. Deutscher Kunstverlag.