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Blutiger Krimi in der Sprache von gestern

Wenngleich der Lenz bei ihm Frühling heißt und aus dem Unglücke ein philologisch moderneres Unglück geworden ist, darf man sich sprachlich mit "einigem Behagen" bei Ludwig Ganghofer wähnen, wenn der 1969 geborene Münchner Autor Thomas Willmann – ein studierter Musikologe – in seinem Erstling "Das finstere Tal" anhebt, uns eine wahrlich düstere Berggeschichte zu erzählen.

Von Alain Claude Sulzer | 11.01.2011
    Ein veritabler Krimi in irritierend alten Farben gemalt. Finster, wie bereits der Titel sagt, blutig, wie sich am Ende herausgestellt haben wird.

    Ganghofer ruft Willmann am Ende einer ellenlangen, zeitgenössischer Autorenselbstdarstellung geschuldeten Danksagung (an "Anna, Christa, Gabi, Heiko, Karin, Leonore, Marianne, Michael, Nadine" und das sind noch längst nicht alle), Ganghofer ruft er als einen von zwei Schutzheiligen auf. Sergio Leone ist der andere. Beide leuchten – so unterschiedlich sie sind - ein. Vom einen hat er die Sprache oder zumindest die sprachliche Attitüde, vom anderen den einsamen Rächer vor eindrucksvollem Landschaftstableau. Der Rächer, der sich zunächst als harmloser Eigenbrötler ausgibt, ein Maler, den es ins Tal verschlagen hat, hinter dem nur noch die Hölle kommen kann, heißt zwar nicht Eastwood, sondern Greider, aber mit dem wortkargen Amerikaner – so erfahren wir im Lauf der Lektüre - hat er nicht nur den Heimatkontinent gemeinsam.

    Wie es dazu kam, wie und warum es den gebürtigen Amerikaner mit deutscher Mutter in die Berge verschlagen hat, nachdem ihn einst der Mutterleib über den Atlantik trug, wird jeder selber lesen müssen - und lesen wollen. Wenn er sich einmal darauf eingelassen hat, dass die im Grunde leichte Kost ihm auf recht ungewohnte Weise verabreicht wird. Die Kost: Mann rächt ein Verbrechen blutig und durchbricht damit ein scheinbar ehernes Gesetz, in diesem Fall das des Recht des Feudalherrn auf den Vorbezug der Hochzeitsnacht vor dem eigentlichen Bräutigam. Es handelt sich also um einen Genreroman, einen Thriller, der die Preisgabe der Handlung – will man als Rezensent nicht Spielverderber sein - nicht oder nur bruchstückhaft zulässt. Es gibt aber auch sonst genug über dieses Buch zu reden und zu staunen. Denn die Kost ist das eine, die Zubereitung derselben das andere.

    Vor einem Dutzend Jahren konnte es einem Autor noch geschehen, dass er ein Manuskript zurückgeschickt bekam, weil der gestandenen Lektorin eines bedeutenden Verlags Wendungen wie "zur Zeit des höchsten Sonnenstandes" säuerlich aufstießen. Weshalb denn so geschraubt, so die inzwischen pensionierte Dame, wo man doch genauso gut "mittags" oder "12.00 Uhr" schreiben könne. Irgendwie logisch, gewiss. Was einfach zu haben war, schien anders nicht gesagt oder gewagt werden zu dürfen. Hemingway hatte offenbar auch in Deutschland gesiegt. Wer diesen Vorschriften nicht folgte, obwohl er der Meinung war, dass ein Buch, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts angesiedelt sei, eine andere Sprache erfordere, als eines das – sagen wir mal – vom Kneipenleben in Kreuzberg, aidskranken Krankenschwestern oder gesunden Vorstadtehepaaren Anfang der 90er-Jahre handelte, wer den Vorschriften der erklärten (deutschen) Moderne nicht folgte, musste damit rechnen, gemaßregelt oder belächelt zu werden. Ob Willmann es schwer hatte, einen Verlag für sein rückwärtsgewandtes Sprach-Experiment zu finden – denn das ist dieses "finstere Tal" eben auch -, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Am Ende wurde übrigens auch jenes Buch veröffentlicht, in dem von hohen Sonnenständen statt nüchternen Uhrzeiten die Rede war, obwohl Retro damals noch alles andere als angesagt war.

    Es mangelt Thomas Willmanns Roman an nichts, was das Genre fordert; das heißt auch, dass kaum etwas darin ist, was wir an anderem Ort nicht schon gelesen haben: ein abgeschottetes Dorf, eine auf ein verbrecherisches Geheimnis eingeschworene Gemeinschaft und ein in Drachenblut getauchter Erlöser, der in sie einbricht, um mit flammendem Schwert oder rauchendem Colt Licht ins unvernünftige Dunkel zu bringen. Showdown inklusive. Es gibt die Vergangenheit, es gibt die Gegenwart, doch die Zukunft schließt sich am Ende wie ein Tor hinter dem abziehenden Siegfried namens Greider, dessen Weg mit Leichen gepflastert ist. So soll es sein. Insofern setzt sich dieser Roman baukastengenau aus vorgegebenen Komponenten zusammen. So darf es sein. Es kann kaum anders sein. Und so ist es auch bei Willmann.

    Mit dem Unterschied eben, dass sich hier ein 41-jähriger Autor einer konsequent altertümelnden Sprache bedient, und dies ungebrochen, ohne jede Ironie; mag man sich auch eine Weile fragen, wann der Bruch denn nun kommen möge, irgendwann wird einem klar, dass er nicht kommen kann; bei aller Spielerei hat das am Ende dann doch etwas Zwangsläufiges, manchmal wohl auch etwas Zwanghaftes: Wenn etwa "Menschlein" "Gesichtlein" haben, wenn "der Zeigefinger sich krümmend um" den "Abzug" eines "Gewehrs schmiegt" oder heftig alliteriert wird, wenn zum Beispiel Luzi, die Braut, die nicht nur dem Bräutigam versprochen ist, in der Kirche "ihrer Mutter zulächelte, die in der vordersten Reihe mit der Rührung rang", während Lukas, ihr Zukünftiger "im seitlichen Anblick seiner Angetrauten selig versunken" ist. Finden Sie das schrecklich? Altbacken? Überkommen? Gehört es verboten, geächtet? Ist es unzeitgemäß? Anything goes, also auch der Rückfall in die Vergangenheit? Mir scheint, jeder hätte in diesem Streit, der nicht entbrennen wird, weil gerade andere Diskussionen anberaumt sind, so recht wie unrecht.

    Ich jedenfalls fühle mich durch Willmann – der als Thrillerautor im Grunde doch bei seinem Leisten bleibt - nicht aufgefordert, literarische Sittenpolizei zu spielen. Was ich weiß, ist, dass ich mich die längste Zeit dieser Lektüre bestens unterhalten gefühlt habe; und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen seiner antiquiert anmutenden Attitüde. Sie passt nun mal zum Gegenstand des Buchs.

    Dem Autor dankt man den Mut, es gewagt zu haben, gegen jeden Strom zu schwimmen, der gerade fließt. Allein dafür gebührt ihm höchstes Lob und Anerkennung und viele Leser, die nicht enttäuscht sein werden, Greider auf seinem Rachefeldzug zu begleiten, Greider, der nicht wie einer wirkt, "der im Begriff war, mit gefährlichen Tieren in einen Käfig gesperrt zu werden", sondern "eher wie jemand, den man in die gefüllte Speisekamer" schließt, wie es so schön und bildhaft heißt.

    Der plausible Plot ist das eine, was diesen spannenden Bergwestern ausmacht, die Sprache ist das andere, ohne die man ja auch Mary Higgins Clark oder eine ihrer kunstlosen Geistesschwestern lesen kann. Bei Willmann erweist sich das eine als so wichtig wie das andere. Das eine bleibt auf Kosten des anderen so wenig auf der Strecke, wie er dem einen den Vorzug vor dem anderen gibt. Damit ist er formal und stilistisch ganz auf der Höhe des literarischen Anspruchs. Was will man mehr? Mehr sollte man nicht wollen wollen.

    Thomas Willmann: "Das finstere Tal". Liebeskind Verlag, 314 Seiten, Preis: EUR 19,80