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BND-Gelände in Pullach
Einblicke in eine verbotene Zone

Wo einst privilegierte Nazi-Größen komfortabel im Grünen lebten, residiert heute der Bundesnachrichtendienst: Die Siedlung "Sonnenwinkel" ist geheimnisumwittert - ein neues Buch erlaubt nun Einblicke.

Von Michael Kuhlmann | 15.12.2014
    Graues Schild mit blauer Aufschrift "Bundesnachrichtendienst" vor einer grauen Mauer und blauem Himmel
    BND-Zentrale in Pullach (dpa/picture alliance/Stephan Jansen)
    Grau und abweisend ragt es empor, das Hochhausensemble. Würde Fritz Lang heute seinen Film "Metropolis"drehen, dies wäre das perfekte Ambiente: der kommende Sitz des BND in Berlin. Größer könnte der Kontrast nicht sein zum Areal in Pullach. Einem Ort, der auf den ersten Blick nicht wie der passende Sitz für einen der wichtigsten Geheimdienste des Kalten Krieges wirkte. Aber die US-amerikanische Besatzungsmacht wusste es besser. Was Colonel Williard Liebel 1947 zu Gesicht bekam, umschreibt Buchautor Bodo Hechelhammer:
    "Eine großräumige, geschlossene und abgeschirmte Anlage mit zahlreichen Einzel- und Doppelhäusern sowie zusätzliche Baracken, die sowohl für die Unterbringung der Dienststellen als auch für die Familienangehörigen bestens geeignet war. Als besonderer Vorteil für ein Arbeiten und Leben in der Abgeschiedenheit erwies sich die vorhandene intakte soziale Infrastruktur: Eine Kantine, ein Kasino, Werkstätten wie eine Schuhmacherei, Schneiderei, ein Frisiersalon und sogar ein Schwimmbad waren vorhanden."
    Ein Erbe des NS-Regimes, dessen Größen sich hier ein komfortables Domizil im Grünen geschaffen hatten. Hechelhammers Co-Autorin Susanne Meinl erzählt, wie hier eine eigentümliche Gartenstadt entstand - statt parkartiger Gärten Gemüsebeete zur Selbstversorgung. Die Häuser: eine Vulgär-Adaption von Goethes Gartenhaus in Weimar; kleine weiße Kästen in piefiger NS-Architektur – ebenso schlicht wie uninspiriert. Der "Sonnenwinkel" spiegelte die braune Ideologie. Susanne Meinl fährt fort:
    "Heimatschutz-Architektur, naturnahe Gartengestaltung und biologisch-dynamische Bewirtschaftung galten seit Kriegsbeginn 1939 nicht mehr nur dem Ringen um die 'deutsche Seele", sondern auch der deutschen Vorherrschaft in Europa. Diese sollte in Pullach gleichsam 'geerdet' werden – da die Frontbewährung unter gleichzeitigem Verbleib der Familien in den Häusern zum Konzept dieser nationalsozialistischen Lebensgemeinschaft gehörte."
    Bewohner mussten zahlreiche Kinder haben
    Dass sich die Männer "an der Front bewährten", darauf pochte der Bewohner des größten Hauses, Reichsleiter Martin Bormann. Er scharte in der Siedlung zahlreiche Vertreter der gehobenen Parteihierarchie um sich – ursprünglich vor allem Mitarbeiter des "Führer-Stellvertreters" Rudolf Heß. Etwas freilich mussten die Bewohner vorweisen können: zahlreiche Kinder.
    "Wer durchblicken ließ, nicht genug für Nachwuchs zu sorgen, musste sich vom Amtschef und Vermieter in Personalunion ständige Vorhaltungen machen lassen und war 'oben' nicht gut angeschrieben. Der eine oder andere Bewohner des 'Sonnenwinkels', bei dem sich Nachwuchs nicht einstellen wollte oder die geplante Ehe scheiterte, musste den idyllischen Ort auch wieder verlassen."
    Andere Dinge als die Vermehrung freilich ließen sich im Krieg weniger gut überwachen. Zum Beispiel die jahrelangen Nebenaktivitäten von Hausmeister Anton Eder:
    "Unter den gestrengen, aber meist abwesenden Augen des Reichsleiters Bormann hatten Anton Eder und seine Helfer einen Schieberring aufgezogen, der sich quer durch München erstreckte. Während offiziell für 'Sonnenwinkel', Führerhauptquartier und Obersalzberg Tausende von Zentnern bewirtschaftete Lebensmittel erworben wurden, zweigte die Schiebergruppe ein unverdächtiges Quantum ab und nutzte es zum Tausch oder zur Bestechung. So gab es Möbel für fast die halbe Pullacher Fahrbereitschaft, Schuhe, Fahrräder, Radios, Kleidung und Schmuck."
    Die Gestapo brauchte Monate, um die Gruppe dingfest zu machen. Der Prozess gegen Eder und Co. lief wohlweislich hinter verschlossenen Türen ab. Denn er offenbarte, wie üppig die Parteigrößen lebten, während sie dem Volk draußen Verzicht predigten. Ende April 1945 packten sie hastig ein paar Habseligkeiten zusammen und flohen vor den anrückenden Alliierten. Auf diesen Moment freilich hatten viele Bewohner der Umgebung nur gewartet.
    Sowjetischer Spion enthüllte BND-Geheimnisse
    "An der Plünderung waren mindestens 140 namentlich bekannte Personen beteiligt. Ja, bis nach München gelangte Hausrat. Vor allem hochwertige Haustechnik wie Kühlschränke oder Herde. Die 'Besucher' kamen freilich nicht mit dem Bollerwagen dorthin. Wie heute noch belustigt in Pullach erzählt wird, fuhren die Plünderer sogar teilweise mehrfach mit LKW vor. Als die US-Amerikaner im Ort eintrafen, war die Siedlung weitgehend leer geräumt."
    Verantworten musste sich niemand. Die Amerikaner hatten Wichtigeres im Sinn: Sie siedelten in Pullach die "Organisation Gehlen" an - die Keimzelle des BND unter dessen ersten Chef Reinhard Gehlen. Die Wurzeln lagen im Wehrmachtsgeheimdienst "Fremde Heere Ost", der viele Erkenntnisse über die Sowjetunion besaß. Sie waren den Amerikanern wichtig – und so sahen sie über die oftmals braune Vergangenheit ihrer deutschen Mitstreiter großzügig hinweg. Für Außenstehende war das BND-Areal tabu. Lange wussten nicht einmal alte Pullacher genau, wer hier arbeitete und lebte. Und doch gelang es der Sowjetunion, einen Spion einzuschleusen: Heinz Felfe – pikanterweise einst Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS. Mehr als zehn Jahre lang, bis 1961, spionierte Felfe für den KGB.
    "Der Schaden für den BND und die CIA war enorm. Nach einem Schadensbericht der CIA soll Heinz Felfe über 15.000 geheime Vorgänge verraten und 100 CIA-Agenten enttarnt haben. Dem KGB waren somit weite Teile des BND-Personals sowie die Erkenntnisse des BND über die Sowjetunion bekannt."
    2003 beschloss die Regierung Schröder den Umzug nach Berlin. Viele BND-Mitarbeiter dürften sich bald den Band "Geheimobjekt Pullach" zur Erinnerung ins Regal stellen. Denn Susanne Meinl und Bodo Hechelhammer zeichnen detailliert und doch kurzweilig ein Bild dessen, was auf dem historischen Areal geschehen ist. Ein Beitrag zur Gründungsgeschichte des BND, aber auch zur oberbayerischen Landesgeschichte – und zur Geschichte der NSDAP. Was künftig aus deren einstiger Mustersiedlung werden soll, steht noch nicht fest. Das Bayerische Landesamt für Denkmalschutz jedenfalls hat sie 2011 unter Ensembleschutz gestellt.
    Bodo Hechelhammer/Susanne Meinl: "Geheimobjekt Pullach. Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND"
    Ch. Links Verlag, 240 Seiten, 34,90 Euro.