Tiefe Minustemperaturen in den USA

"Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Kaltluft"

Wolkenkratzer in New York ragen aus verschneiten Bäumen hervor.
Wolkenkratzer in New York ragen aus verschneiten Bäumen hervor. © imago/Xinhua
Jörg Kachelmann im Gespräch mit Katrin Heise · 30.12.2017
Um die aktuellen Tiefsttemperaturen im Norden der USA zu erklären, schaut Wetter-Journalist Jörg Kachelmann auf die Landkarte. Kein Meer und kein Gebirge könne eisige Kaltluft aus den Polarregionen aufhalten, sagt er. In Zentraleuropa seien solche Kaltluftzufuhren nicht möglich.
In New York City droht es das drittkälteste Silvester seit 110 Jahren zu werden. Der US-Wetterdienst sagt bis zu minus 12 Grad Celsius für die Ostküsten-Metropole voraus.
Die Kältewelle im Norden der USA brach in den vergangenen Tagen zugleich mehrere Minusrekorde: In der Gemeinde Cotton im nördlichen Bundesstaat Minnesota wurden minus 40 Grad Celsius vermeldet. In Watertown im Norden des Bundesstaats New York waren es am Donnerstag minus 36 Grad. Die arktische Luft soll laut CNN in den nächsten Tagen Temperaturen bringen, die bis zu 22 Grad niedriger als üblich sind.

Kältewelle und Klimawandel kein Widerspruch

Jörg Kachelmann, Journalist und Buchautor mit Schwerpunkt Wetter, kan an diesen Messungen allerdings nichts Ungewöhnliches erkennen. Auch in einer "Klimawandel-Welt" gebe es Schwankungen:
"Alle natürlichen Schwankungen kommen immer noch vor, wenn auch im Durchschnitt auf einem höheren Niveau."

"Blöde Sachen wie Nord- und Ostsee"

Dass es in den USA derart kalt werden können - und bei uns in Zentraleuropa nicht - sei der Geografie geschuldet:
"Es kommt einfach kalte Luft von Norden. Die USA haben den großen Vorteil für Winterliebhaber, dass nicht so blöde Sachen wie Nord- und Ostsee im Weg sind. Wir hätten das auch, man müsste einfach nur Nord- und Ostsee zuschütten, und dann hätte die Luft aus dem Norden auch das Glück, dass sie nicht einfach gemeiner Weise einfach erwärmt wird. Dass ist das, was bei uns passiert. Und wenn man sich die Karte in den USA anguckt, dann ist da der Nordpol, und dann kommt Kanada, dann die USA – und nichts ist dazwischen, dass die Kaltluft aufhalten kann."
(huc)

Das Interview mit Jörg Kachelmann im Wortlaut:
Katrin Heise: Wir wollen jetzt über das Wetter sprechen, über das in den USA, vor allem in New York City droht das drittkälteste Silvester seit 110 Jahren. Der Wetterdienst sagt bis minus zwölf Grad Celsius voraus, aber das ist eigentlich noch gar nichts gegen das, was in Minnesota gemessen wird und wurde: minus 40 Grad. In Watertown im Norden des Bundesstaates New York waren es Donnerstag minus 36 Grad. Das sind schon ganz andere Grade.
Die arktische Luft soll laut CNN in den nächsten Tagen Temperaturen bringen, die bis 22 Grad niedriger sind als üblich, also doch ziemlich einmalig. Ich begrüße jetzt am Telefon Jörg Kachelmann, Journalist und Buchautor, Themenschwerpunkt Wetter. Schönen guten Morgen!
Jörg Kachelmann: Schönen guten Morgen!
Heise: Herr Kachelmann, wie erklären Sie die Kältewelle im Norden der USA?
Kachelmann: Es kommt einfach kalte Luft vom Norden. Und die USA haben den großen Vorteil für Winterliebhaber, dass nicht so blöde Sachen wie Nord- und Ostsee im Weg sind. Wir hätten das auch, man müsste einfach nur Nord- und Ostsee zuschütten, und dann hätte die Luft aus dem Norden auch das Glück, dass sie nicht einfach gemeinerweise immer erwärmt würde. Das ist das, was bei uns passiert.
Und wenn man sich die Karte in den USA anguckt, da ist der Nordpol, und dann kommt Kanada, und dann kommen die USA, und nichts ist, was sie aufhalten kann, die Kaltluft. Es ist kein warmes Wasser da, es ist kein Gebirge da wie bei uns: Alles ist quer, die Alpen sind quer, andere Gebirge sind quer. Das bedeutet, südlich dieser Gebirge bei uns ist es dann auch wieder wärmer, weil diese Kaltluft aufgehalten wird.
In den USA ist alles längs, die Rocky Mountains sind längs. Das bedeutet, wenn schon mal Kaltluft nach Süden vorankommen möchte, dann kommt sie mehr oder weniger eins zu eins voran. Das ist der große Unterschied zwischen den USA und bei uns. Das ist wirklich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Kaltluft.
Heise: Aber ehrlich gesagt, Sie sind so begeistert von dieser Kälte. Ich weiß gar nicht, ob 40 Grad Kälte bei mir so Begeisterung hervorrufen würde. Ich glaube, eher nicht.

"Eine gemischte Sache, wie bei allem verrückten Wetter"

Kachelmann: Mein persönlicher Rekord ist minus 46, einmal am Funtensee in Bayern, einmal in Kanada, wo ich mal zweieinhalb Jahre war. Ich habe gerne Winter. Ich weiß aber auch, dass es natürlich für Menschen, die es nicht leicht haben – Obdachlose und so weiter –, ganz furchtbar ist. Also von daher ist es immer eine gemischte Sache, wie bei allem verrückten Wetter.
Alle Meteorologen – und da gehöre ich dazu – möchten, dass aber auch wirklich immer die Post abgeht. Das haben alle Naturwissenschaftler so. Vulkanologen möchten auch, dass regelmäßig ein Vulkan ausbricht, natürlich auch immer wissend, dass es auch doof ist, wenn einer das tut. Auch Erdbebenforscher ziehen absichtlich dorthin, wo die größte Wahrscheinlichkeit ist, dass ein tierisches Erdbeben stattfindet.
Und so ist es eben bei den meisten Meteorologen auch, dass wir schon ein bisschen begeistert sind natürlich, wenn eben Winter auch Winter ist. Und jeder – auch ich – hätte gerne, wenn ich irgendwie das Hebelchen hätte, würde ich auch wollen, dass minus 40 Grad und drei Meter Schnee bei uns sind.
Heise: Dann bin ich froh, dass Sie nicht am Hebel sitzen, aber nun gut. In Amerika haben Sie ja auch gleichzeitig auf der anderen Seite in Kalifornien Hitze und Feuer zu beobachten. Also da knallen die Extreme ja auf mehreren tausend Kilometern Entfernung aufeinander.
Kachelmann: Das ist halt so. Das sind die Klimazonen dort. Da ist das kalte Wasser am Pazifik, da ist es sehr trocken. Vor allem jetzt das Schlimmere im Moment noch, die Feuer gehen ja noch gerade. Das ist ein bisschen ruhiger geworden, aber extreme Dreckluft halt - jetzt auch für diese Jahreszeit - auch in Kalifornien. Also man wollte eigentlich nur noch aus- und nicht mehr einatmen im Moment. Das bleibt auch noch ein paar Tage so.
Das ist halt wirklich ein sehr großes Land mit sehr großen Unterschieden. Wir haben das aber auch in Europa. Wenn man wirklich gucken würde und so, es gibt auch ein paar Gegenden in Europa, die sind wirklich auch gesäßkalt, jetzt der Norden Skandinaviens, während im Moment gerade im Osten Europas, Moskau, da sind mehrere Grade über Null. Da findet im Moment auch kein Winter statt.
Heise: Wir haben eben gerade Klima erwähnt und USA, und da fällt mir ein, wir haben wahrscheinlich alle wahrgenommen, wie Präsident Trump jetzt auf die Kältewelle reagierte, nämlich spöttisch und via Twitter fragte, wo denn die gute alte Erderwärmung bleibe. Jetzt mal ehrlich, ist das eigentlich ein Widerspruch zum Klimawandel, dass es jetzt so kalt ist?
Kachelmann: Nein, das eine ist Wetter, und ich meine, es gibt die normalen Schwankungen auch in einer Klimawandelwelt, deswegen ist es kein Widerspruch. Ich meine, dass er das schreibt, ist auch ein bisschen lustig, und es kommen natürlich ganz viele Journalisten auch wieder in Schnappatmung, wenn er das schreibt.
Ich meine, er ist halt auch ein Internettroll auf Twitter. Also ich möchte mich auch dem gar nicht verschließen, dass ich auch manchmal einen Tweet schreibe, einfach nur, um Leute zu ärgern, um zu gucken, was passiert.

Journalisten geraten in Schnappatmung

Heise: Jetzt sind Sie aber nicht der amerikanische Präsident. Das nur mal nebenbei, aber gut.
Kachelmann: Ja, aber es gibt halt auch Menschen – das ist vielleicht neu –, die eben nicht so präsidial ihre Rolle sehen, sondern auch denken, okay, ich werfe jetzt mal diesen Feuerwerkskörper in die Gegend und gucke mal, was passiert. Und das ist halt, glaube ich, auch etwas, was wir lernen müssen, dass wir nicht auf jeden Tweet des amerikanischen Präsidenten in dieser Aufregung … Es ist nicht alles eine Nachricht, und es gibt ganz viele Menschen, die wissen gar nicht, was Twitter ist, und ich vermute, es sind auch ein paar, die im Moment zuhören, die das nicht so aktiv benutzen und die von dem gar nicht …
Heise: Jetzt schweifen wir gerade ab und sind gar nicht mehr bei der Kältewelle. Also Kältewelle und Klimawandel passen zusammen.
Kachelmann: Sie haben nach Herrn Trump gefragt, und ja, das passt durchaus zusammen. Klimawandel, dass es wärmer wird im Durchschnitt, bedeutet nicht, dass es plötzlich nicht mehr kalt ist. Das weiß aber auch der amerikanische Präsident, und das wissen hoffentlich auch sonst alle. Alle natürlichen Schwankungen nach unten und oben kommen immer noch vor, wenn auch im Durchschnitt auf einem höheren Niveau.
Heise: Wenn wir nach Deutschland gucken, haben wir ja das Gefühl, dass die Winter immer kürzer und immer weniger schneereich werden, immer wärmer eigentlich.
Kachelmann: Sie werden im Schnitt immer wärmer auf die lange Strecke, aber auch da gibt es eben diese Schwankungen, und es wird auch mal wieder einen Winter geben, der wieder ganz kalt ist. Wir sind auch da ein bisschen …
Das Problem mit der medialen Wahrnehmung, dass, glaube ich, wenn wir auch wieder bei den Trumpesken Dingen des Lebens sind, dass sich heute die Wahrnehmung der Leute eben komplett verschoben hat, was normal ist. Wenn Sie gucken, wenn Sie im Archiv gucken, auch so, was diese Onlinemedien, die auf Klicks angewiesen sind, wie die plötzlich ausrasten, wenn die Temperatur nur auf null Grad runtergeht oder es irgendwo schneit, dann ist das bereits eine Schneekeule, eine Schneeschelle, Winterrussenpeitsche und was weiß ich.
Und die Wahrnehmung, was eigentlich normal ist und was nicht, ist sehr verloren gegangen, nicht nur beim Sommer, (…) sondern auch beim Winter, und deswegen ist alles ein bisschen aufgeregter als es früher war. Es ist nicht so wild jetzt, was passiert. Ja, morgen 15 Grad im Südwesten, wir bekommen auch ein Hochwasserproblem, weil der Schnee schmilzt, weil es gleichzeitig viel regnet, aber das ist nicht etwas, was jetzt außergewöhnlich ist für einen Winter in Deutschland.
Heise: Jörg Kachelmann und die Normalität des Wetters, Kältewelle in den USA, Winter hier. Danke schön, Herr Kachelmann!
Kachelmann: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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